Schriftsteller über linken Populismus: Den Rechten etwas entgegensetzen
Wie halten es AutorInnen mit linkem Populismus und der „Aufstehen“-Bewegung? Vier Gastbeiträge.
W ie immer man dazu stehen mag – in der von Sahra Wagenknecht (Die Linke) initiierten Bewegung „Aufstehen“ nimmt die Idee eines Populismus von links konkrete Gestalt an. Sollte man von derlei Versuchen die Finger lassen? Oder ist die Zeit reif für neue politische Kommunikationsformen? Müsste vielleicht sogar die Literatur Schlüsse daraus ziehen und aus der Feuilleton-Bubble heraustreten? Maßgebliche Themen der Zeit leicht fasslich verhandeln und sie der scheinbaren Diskurshoheit der Rechten entziehen? Oder muss gegenüber jeglicher Form des Populismus die Integrität der Literatur verteidigt werden? Am 20. September wird über diese Fragen im Berliner Literaturforum im Brechthaus diskutiert. Mit Positionstexten, die die taz hier vorab dokumentiert, steigen die Schriftsteller*innen und Publizist*innen Tanja Dückers, Kathrin Röggla, Ingar Solty und Raul Zelik in die Debatte ein.
Politische Experimente brauchen Fehlerfreudigkeit
Soziale Ungleichheit und Prekarisierung der Mitte lassen die Volksparteien erodieren. Mit der ausbleibenden Resozialdemokratisierung der SPD, ihrem Groko-Eintritt und fortgesetzten Niedergang sowie mit der wirtschaftspolitischen Rechtswende der Grünen ist Rot-Rot-Grün als Politikalternative zum kriegerischen Neoliberalismus der „Mitte“ vom Tisch. Gleichzeitig füllt ein rechtsautoritärer Nationalismus das hinterlassene Vakuum.
#aufstehen verspricht, dem Rechtsruck durch eine außerparlamentarische Mehrheitsbewegung für Sozialstaat und friedliche Außenpolitik zu begegnen, um die Linke wieder in die Offensive zu bringen. An diesem Anspruch muss es sich messen lassen.
Bertolt Brecht lässt seinen Herrn K. sagen: „Ich habe bemerkt, dass wir viele abschrecken von unserer Lehre dadurch, dass wir auf alles eine Antwort wissen. Könnten wir nicht im Interesse der Propaganda eine Liste der Fragen aufstellen, die uns ganz ungelöst erscheinen?“ Heute wäre hinzuzufügen: Wir befinden uns in einer historisch neuen Situation, die Experimentieren von uns verlangt. Dazu gehört auch Fehlerfreudigkeit. Mit Brecht könnte man sagen: Wir müssen bereit sein, unseren nächsten Irrtum vorzubereiten. Und für einen kritisch-solidarischen Umgang, der andersmeinende Linke nicht gleich als „völkisch-nationalsozial“ oder „kosmopolitisch-neoliberal“ diffamiert, sondern die sachliche Auseinandersetzung sucht.
Was sind offene Fragen in Bezug auf linken Populismus? Was ist die Gesellschaftsanalyse? Befinden wir uns in einer populistischen Situation? Lassen sich die linkspopulären Erfolge von Corbyn, Sanders, La France Insoumise oder Podemos, auf die sich #aufstehen beruft, tatsächlich in Deutschland replizieren?
Geht es bei der Inner-Linken-Auseinandersetzung um die Migrationsfrage? Ist nicht vielmehr ihr Kern ein machtstrategischer, der sich bloß an der Migrationsfrage entzündet? Nämlich die Frage nach dem großen Bündnis? Lassen sich eine linkspopulistische Strategie der antimonopolistischen Demokratie, wie sie Sahra Wagenknecht vorschwebt, nicht mit einer antirassistischen Kampagne verbinden, so wie es Corbyn und Sanders vormachen? Glaubt man mit Zungenschlägen, die die Linksliberalen grosso modo für den Aufstieg der Rechten verantwortlich machen, Wähler zurückzugewinnen? Oder spaltet das nicht einfach nur die Linke und stärkt das rechte Original?
Oder gehen wir davon aus, dass es wirklich das von Andreas Nölke behauptete neue Cleavage Kosmopoliten/Kommunitaristen gibt? Damit wäre eine Parteispaltung wohl unvermeidlich. Ließe sich dagegen die Frage „offene/keine Grenzen“ nicht von ihrem „Sofort“-Maximalismus abtrennen und als ein Politik-Kompass verstehen, dessen unbedingt wünschenswerte vollständige Verwirklichung analog zur „Expropriation der Expropriateure“ nur im Zuge des Übergangs in eine nichtkapitalistische Zukunft passieren wird? Falls ja, wie verhindern wir, dass es zu einer Spaltung kommt, die beide Seiten nur dümmer macht?
Das antiemanzipatorische Moment
Es gibt eine Reihe populistischer Bewegungen, die in jüngster Zeit Erfolge feiern konnten, so wie beispielsweise Podemos in Spanien. Sie treten mit dem Anspruch an, endlich eine progressive emanzipatorische Politik zu vertreten, die sich nicht mehr nur auf intellektuelle Zirkel oder elitäre mittelständischer Milieus beschränkt (Prenzlauer Berg! Kreuzkölln!), sondern endlich auch massenkompatibel ist. Der linke Populismus will „Politik zurück zu den Menschen bringen. Und die Menschen zurück in die Politik“, wie es beispielsweise im Gründungsaufruf der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ heißt. Warum soll das nicht auch in Deutschland funktionieren?
So progressiv der Anspruch auch gemeint sein mag, so wohnt ihm doch gleichzeitig ein antiemanzipatorisches Moment inne. Das Volk erscheint als bloße fehlgeleitete Masse, als Ausdruck „falschen Bewusstseins“, wenn es sich vor den Karren reaktionärer Parteien oder Bewegungen spannen lässt, wie aktuell beispielsweise in der Migrationsdebatte. Demnach spricht die Linke entweder einfach die falsche Sprache (zu akademisch, zu intellektuell) oder sie spricht die falschen Themen an (Gender, Minderheiten und anderes „Gedöns“) – und nicht die Fragen, die „das Volk“ tatsächlich bedrückt. Kein Wunder also, dass die Massen irgendwann die Geduld verlieren und den falschen Propheten folgen.
Doch linke Populisten drehen den Spieß einfach um: Sie geben die richtigen Themen vor und mobilisieren damit Massen. Für sie gibt es nicht mehr links oder rechts, sondern nur noch oben und unten. Hier das Volk, dort die Eliten. Ein guter linker Populist hat ein machiavellistisches Gespür, was ankommt und was nicht, was die Wut und das Ressentiment gegen „die da oben“ bedienen kann. Der alte linke Gedanke, dass Emanzipation nur als Selbstbefreiung der Unterdrückten vorzustellen ist, verschwindet jedoch. An seine Stelle tritt die geschickte Choreografie cleverer Parteiführer.
Linker Populismus funktioniert tatsächlich nur von oben nach unten – und zwar innerhalb der eigenen Bewegung. Kaum eine linkspopulistische Strömung, die sich nicht irgendwann in einen autoritären Apparat verwandelt hätte (Venezuela mit Chávez, Perón in Argentinien). Ausgerechnet die populistischen Postmarxisten, die für sich doch gerne in Anspruch nehmen, zu neuen Ufern aufbrechen zu wollen, orientieren sich am traditionellen linken Dogmatismus. Linker Populismus hat mit dem Konzept einer leninistischen Avantgardepartei mehr gemeinsam als mit einer emanzipatorischen Bewegung für das 21. Jahrhundert.
Im Namen der Sprache schreiben
Im Zeitalter der sozialen Plastik, in der Kunst und Politik ihr intermittierendes Verhältnis deutlicher denn je zeigt und Kunstschaffende stolz auf ihre Reality-Effekte sind, fällt es schwer, ihre Nachrichtentauglichkeit von der konkreten politischen Wirkung zu unterscheiden. In jedem Fall beschäftigt uns Kunst als Vexierbild, das sich der Kritik je nach Blickrichtung (Kunst oder Politik) zu entziehen scheint. In der Literatur lösen sich derzeit die Werkkonturen auf, der Roman erscheint als Theaterstück, als Filmvorlage, mal in den sozialen Medien und mal mit Autorenperformern, die Debattenförmigkeit performativ einbringen können. Jegliche Wirkungsdiskussionen sind in diesem Rahmen zu sehen.
Die derzeitige politische Rhetorik linker Parteien legt nahe, dass die Barbarei auszubrechen droht, der Faschismus naht, man müsse sich engagieren und wieder alle erreichen, das heißt den Dialog suchen zu denen, die abgehängt sind, das ist sehr diffus, es geht immer ums Ganze, angeblich jenseits einer Interessenpolitik. Die derzeit beliebte Repräsentionsfrage, also wessen Geschichte von wem erzählt werden soll, ist eine literaturferne Debatte, weil es immer Geschichten im Plural sind, die ein Roman beinhaltet und darin Identitäten im Plural thematisiert werden auf unidentitäre Weise.
Kathrin Röggla
Die Veranstaltung findet im Rahmen des Diskussionsnetzwerks „Richtige Literatur im Falschen“ statt. Der Berliner Abend wird durch einen Vortrag des Dramaturgen Bernd Stegemann eröffnet, einem der Vordenker von „Aufstehen“.
Die Diskussion leitet der Schriftsteller Enno Stahl.
20.9., 19 Uhr, Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestr. 125
Und doch stellt sich mir in jedem Text ganz konkret die Frage, was hier und jetzt erzählt werden muss, die nach der Dringlichkeit und die nach der Organisation der Vielsprachigkeit. Literarische Texte möchten nicht auf eine Sache hinaus, sie sprechen aus vielen Gründen, die sich durchaus verdichten können, aber nicht in einer Position aufgehen.
Ich schreibe allenfalls im Namen der Sprache, den sprachlichen Schichten einer Gesellschaft, in deren Kraftfeld ich mich finde, (das ist niemals eine Bubble). Ihr bin ich unterworfen und begehre sprachlich auf. Ich habe einen Einsatz, gehe mit einem Text ein Risiko ein, das mache ich weder interesselos noch als Dienstleistung irgendeiner Partei. Es geht dabei um Zukünftigkeit, die es zurückzuerobern gilt.
Lieber Realität als Sprachoperationen
Eigentlich ist naheliegend, dass LiteratInnen sich für Linkspopulismus begeistern, denn er ist so etwas wie der linguistic turn linker Politik: Sprache statt Materialismus. Durch Narrative soll auf der einen Seite eine Gegnerschaft „zu den Eliten“ markiert werden, gleichzeitig belässt man aber Aussagen so im Unbestimmten, dass möglichst viele Menschen ihnen zustimmen können. Wir basteln uns ein politisches Subjekt.
Was mir daran nicht gefällt? Vielleicht bin ich altmodisch, doch entscheidend erscheint mir nach wie vor die richtige Beschreibung der Realität. 10 Prozent der Deutschen besitzen 60 Prozent des Vermögens, die ärmere Hälfte hingegen gerade einmal 2,5 Prozent. Was das bedeutet, kann ich jeden Tag beobachten, wenn ich bei mir in der Straße über die Obdachlosen hinweg in die U-Bahn steige. Ich brauche keine Sprachoperationen, um zu verstehen, dass die Gesellschaft gespalten ist und dass einige davon profitieren, während andere wortwörtlich langsam dahinsterben.
Diese Einstellung gilt auch für das Schreiben: Literatur, die mich interessiert, sollte etwas mit Realität zu tun haben. Insofern fände ich Bücher, die von Gesellschaft erzählten und das vielleicht sogar aus der Perspektive von unten tun, sehr erfreulich. Ob diese Texte dann so geschrieben sind, dass alle sofort verstehen, worum es geht, oder ob man beim Lesen ein bisschen nachdenken muss, scheint mir hingegen nicht so bedeutsam. Elitär ist nicht in erster Linie eine literarische Form, die ihren LeserInnen etwas abverlangt, sondern die Einstellung, die Massen für so blöd zu halten, dass man sie mit abgedroschenen Floskeln und halbfalschen Gedanken agitieren muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen