Die Freunde und Feinde der Bauern: Der große Irrglauben
Die Mehrheit der Bauern sind tragische Figuren. Sie glauben, dass ihr Feind ihr Freund sei. Deshalb werden sie immer weniger.
Die Umweltaktivisten? Die Tierschützer und Grünen, die am Samstag in Berlin unter dem Motto „Wir haben es satt“ für eine Agrarwende demonstrieren? Der durchschnittliche Landwirt in Deutschland hält sie für seine Gegner. Der Bauernverband spricht von Demonstrationen „gegen die Landwirtschaft“. Die Kritiker der Agrarindustrie seien Träumer, Ignoranten und Heuchler, heißt es in den einschlägigen Internetforen der Branche. Dabei sind in Wirklichkeit die Ökos die besten Freunde der Bauern.
Aber diese Freundschaft wird bislang kaum erwidert. Wie die Mehrheit der Landwirte denkt, zeigt ihr Stimmverhalten etwa bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr: Die Grünen kamen bei den Bauern nur auf 5 Prozent, auch Linke und SPD schnitten miserabel ab. CDU und CSU dagegen überzeugten 61 Prozent der Wähler unter den Landwirten. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen erhielten die Christdemokraten sogar 71 Prozent. Die Grünen bekamen 1 klägliches Prozent.
Für den gemeinen Bauern ist also klar: Die Union ist mein Freund. Und damit auch der Bauernverband, dessen Linie CDU und CSU treu vertreten.
Doch da irren diese Landwirte gewaltig. Die seit Jahrzehnten von der CDU/CSU dominierte Agrarpolitik ist den Bauern nicht gut bekommen. Seit 1960 mussten dem Statistischen Bundesamt zufolge ganze 80 Prozent der Betriebe für immer schließen. Jedes Jahr werden es mehr.
Das liegt vor allem am Wachstumsdogma, das Union, Bauernverband und die meisten Agrarökonomen nach Kräften gefördert haben. In den 1950er Jahren war es sicherlich sinnvoll, dass die deutschen Landwirte ihre Produktion steigern. Doch seit Jahrzehnten sind sie vor allem dank neuer Technik so produktiv, dass sie mehr Lebensmittel auf den Markt werfen, als die Deutschen essen können. Auch der Export kann nicht genügend aufnehmen. Deshalb sinken die Preise. Rechnet man die Inflation heraus, kassierten die Bauern 2008 rund 6 Prozent weniger für jedes tierische Produkt als 11 Jahre zuvor.
„Wachse oder weiche“
Um trotz der geringen Stückpreise noch etwas zu verdienen, erhöhen viele Landwirte ihre Produktion. Sie bauen noch größere Ställe, und sie bewirtschaften noch mehr Land. Doch so gelangt nur noch mehr Ware auf den eh schon übersättigten Markt und der Preisdruck wächst weiter. Am Ende gehen weitere Betriebe pleite. Das trifft vor allem die kleinen, weil sie oft höhere Stückkosten haben.
Die von der Union verteidigten Agrarsubventionen haben den Trend zu „Wachse oder weiche“ sogar noch verstärkt. Denn die Europäische Union vergibt sie vor allem für den Besitz von Äckern und Wiesen: Wer viel Land hat, bekommt viel Geld vom Staat.
Das haben die Bauern davon, dass sie immer wieder solche Vertreter im Bauernverband und die Union wählen. In Wirklichkeit ist die CDU/CSU samt Agrarlobby der Feind der Landwirte.
Die Bauern sollten sich lieber mit der alternativen Agrarbewegung verbünden. Die Grünen, Umweltorganisationen wie der BUND und der Naturschutzbund oder Verbände wie der Tierschutzbund wollen Freunde der Bauern sein. Sie alle sprechen sich dafür aus, die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten und zu stärken.
Das würde auch gelingen, wenn sie sich durchsetzten. Sie fordern, dass Bauern Subventionen dafür bekommen, wenn sie zum Beispiel weniger Gülle in der Natur abladen. Oder dass mehr Tiere nicht nur im Stall, sondern auch auf der Weide gehalten werden.
Solche Maßnahmen sind schon aus Umwelt- und Tierschutzgründen nötig. Bislang verschmutzen vor allem die Bauern das Grundwasser mit Nitrat aus Düngern, das sich im Körper teils in giftiges Nitrit verwandelt. Die Landwirtschaft ist auch einer der größten Verursacher von Treibhausgasen. Sie ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Artenvielfalt abnimmt. Und die meisten Tiere werden erbärmlich gehalten.
![](https://taz.de/picture/2510188/14/wochenendkasten.png)
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Die alternative Agrarbewegung fordert auch, dass die EU-Landwirtschaft weniger für den Export produziert. Gleichzeitig müssten die Importbeschränkungen beibehalten oder ausgebaut werden. Verbote von Hormonfleisch oder bestimmten Desinfektionsmethoden etwa begrenzen Importe zum Beispiel aus Nordamerika. Es gibt auch noch hohe Zölle auf Einfuhren, beispielsweise von Milchprodukten.
Wenn die Landwirtschaft ihre Exportorientierung aufgibt, wären die Bauern nicht mehr so stark dem Weltmarkt mit seinem gnadenlosen Preisdiktat ausgeliefert. Und wenn etwa Russland plötzlich ein Boykott gegen Käse aus der EU verhängt, könnte ihnen das weitgehend egal sein.
Eine Öko-Reform der Landwirtschaft würde dazu führen, dass weniger Nahrungsmittel produziert und Überschüsse abgebaut würden. Denn Weidehaltung etwa braucht mehr Platz und ist bei hohen Viehzahlen je Betrieb sehr schwierig. Am Ende bekämen die Bauern endlich faire Preise.
Mehr Geld für die Bauern
Allerdings müssten die Konsumenten etwas mehr zahlen für ihre Lebensmittel, wenn die Bauern mehr Geld erhalten sollen. Aber diese Mehrbelastungen dürften sich in Grenzen halten. Denn die Landwirte erhalten nur 21 Prozent von jedem Euro, den die Verbraucher für Nahrungsmittel ausgeben. Den Rest kassiert zum Beispiel der Handel.
Diese geringen Preissteigerungen könnten durch Steuererleichterungen oder höhere Sozialleistungen für Arme erträglich werden. Finanziert werden könnte das beispielsweise, indem auf Fleisch künftig der normale Mehrwertsteuersatz von 19 statt der aktuellen 7 Prozent erhoben würde.
Zollschranken, weniger Exporte, mehr Tierschutz- und Umweltauflagen – da werden Union und Bauernverband sofort schreien: Solche Schritte würden ja das Wachstum vieler landwirtschaftlicher Betriebe bremsen! Das sind doch Eingriffe in den freien Markt! Aber mit dem freien Markt hat die Landwirtschaft jetzt schon wenig zu tun. Sie bekommt seit Jahren rund 50 Prozent ihres Einkommens vom Staat. Wenn die Apfelernte mal wegen Frost im Frühjahr schlecht ist, macht er noch mehr Geld locker. Den Diesel vieler Traktoren subventioniert er sowieso. Der Staat greift eh schon tief in die Landwirtschaft ein.
Das ist auch grundsätzlich okay. Schon weil die Erzeugung von Lebensmitteln unverzichtbar für jeden Staat ist. Keiner sollte sich bei den wichtigsten Nahrungsmitteln zu stark abhängig machen von Importen. Es liegt auch im Interesse der Gesellschaft, dass die Agrarbranche auf dem Land Arbeitsplätze schafft. Außerdem lassen sich bei heimischer Ware Umwelt- und Tierschutz zuverlässiger kontrollieren.
Die linke Agrarbewegung steht dazu, die Globalisierung in der Landwirtschaft einzuhegen. Union und Bauernverband dagegen opfern kleine Betriebe auf dem Altar des ach so freien Marktes.
Die Landwirte müssen endlich aufhören, sich die falschen Freunde zu suchen. Sonst gibt es bald nur noch wenige Agrarfabriken – und keine Bauernhöfe mehr.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss