: Mörderauf Mikro-film
Ein Staatsanwalt und ein Kriminaloberkommissar versuchen, die letzten NS-Verbrecher zu finden, bevor sie sterben. Viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr. Dabei geht es auch um die Frage: Wann wird Vergangenheit zu Geschichte?
Aus Ludwigsburg und Berlin Gesa Steeger
November 2017, 72 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Staatsanwalt Michael Otte und Kriminaloberkommissar Matthias Möckel stehen im Berliner Bundesarchiv. Genauer: im Mikrofilmraum. Zwischen den Studenten, Professorinnen und älteren Männern, die ihre Privatstudien betreiben, fallen die beiden Männer auf. Sie tragen Anzug, wie im Büro. Möckel in Groß und Grau, Otte in Klein und Schwarz. Sie sind Vertreter des Rechtsstaats, kommen in offizieller Mission: Sie wollen die letzten Naziverbrecher finden.
Seit zwei Tagen starren sie hier auf die Bildschirme. Immer auf der Suche nach dem nächsten Anhaltspunkt. Morgen ist ihr letzter Tag. Dann geht es zurück nach Ludwigsburg. Zurück zur Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen.
Auschwitz, Buchenwald, Sobibór, Babi Jar. Vernichtungslager, Massenerschießungen, Arbeitslager. Acht Jahrzehnte sind seit den Verbrechen der Nazidiktatur vergangen. Trotzdem arbeiten sich die Strafverfolgungsbehörden weiterhin an diesen Orten ab.
Denn es gibt sie noch, die Opfer und Täter von damals. Die einen warten auf Gerechtigkeit, die anderen haben ihr Leben damit zugebracht, sich dieser Gerechtigkeit zu entziehen. Täter wie Reinhold Hanning und Oskar Gröning. Ehemals SS-Wachmänner in Auschwitz. Männer, die nach dem Krieg dort weiterlebten, wo sie vorher schon waren: in der Mitte der Gesellschaft.
2015 wurde Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt. Mit 94 Jahren. Gerade hat er ein Gnadengesuch gestellt, es wurde aber abgelehnt.
Im Sommer 2016 verurteilte das Landgericht Detmold den 94-jährigen Reinhold Hanning zu fünf Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen. Er starb, bevor er seine Haftstrafe antreten konnte.
Die letzten großen NS-Prozesse in Deutschland werfen Fragen auf: Wann ist ein Mensch schuldig? Gibt es Gerechtigkeit? Hat die Justiz der BRD wirklich alles getan für die Aufklärung der NS-Verbrechen, und wann ist ein Mensch zu alt, um zu sühnen? Aus einer Studie der Körber-Stiftung geht hervor, dass nur 59 Prozent der deutschen Schüler ab 14 Jahren mit dem Begriff „Auschwitz“ etwas anfangen können. Wann wird Vergangenheit zu Geschichte?
Es sind Männer wie Möckel und Otte, die sich bemühen, Antworten zu liefern. Oder zumindest ein weiteres Stück des Puzzles. Das kann ein Name sein, eine Adresse oder ein Geburtsdatum. Michael Otte kneift die Augen hinter seiner randlosen Brille zusammen. Den ganzen Tag schon sitzt er vor dem Bildschirm. Er wirkt ein wenig erschöpft. Wenn er sich durch die alten Dokumente auf Mikrofilm klickt, nuschelt er mit, was seine Augen auf dem Bildschirm lesen: „Martin R., Truppenstammrolle, SS-Totenkopfstandarte. 18. März 1943 verwundet an der Ostfront.“
Koordiniert wird die Suche nach den Tätern in Ludwigsburg. Einer kleinen Stadt, unweit von Stuttgart. In einem ehemaligen Frauengefängnis nahm hier am 1. Dezember 1958 die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, kurz die Zentrale Stelle, ihre Arbeit auf.
Eine Zeit, in der das Wort „Aufklärung“ eher ein Schimpfwort war. Nach den Jahren der Gewalt wollte Deutschland vor allem nach vorne schauen. Ins Licht – Richtung Wirtschaftswunder. Nicht zurück ins Dunkle.
Erst ein Gerichtsprozess im Sommer 1958 brachte die Wende. Am 29. August 1958 verurteilte das Schwurgericht Ulm zehn ehemalige Angehörige des „Einsatzkommandos Tilsit“ zu langjährigen Haftstrafen. Wegen Massenerschießungen in mehreren tausend Fällen an der litauisch-deutschen Grenze. Frauen, Kinder, Männer, vor allem Juden. Dieser Prozess veränderte die junge Republik. Denn nach der Gründung der Bundesrepublik war die Aufarbeitung der NS-Verbrechen praktisch zum Erliegen gekommen. Die deutsche Bevölkerung, die sich anfangs kaum für den Prozess interessierte, zeigte sich zunehmend entsetzt über die Dimension der Verbrechen, die bei dem Prozess bekannt wurden.
Im Dezember darauf gründeten die Justizminister und Justizsenatoren der Länder die Zentrale Stelle. Ihr Auftrag: die systematische Aufarbeitung der NS-Verbrechen im In- und Ausland. Von der Bevölkerung geschätzt wurde sie zunächst nicht, bis in die 1960er Jahre hinein wurde neuen Mitarbeitern der Zentralen Stelle empfohlen, ihren Arbeitsort vor ihren Vermietern geheim zu halten. Die Behörde galt da noch als ein Haufen von Nestbeschmutzern. Störenfriede, schlecht für den Ruf der Stadt.
In den 1960er und 1970er Jahren arbeiteten hier rund 120 Menschen daran, die Schrecken der Vergangenheit möglichst klar und ordentlich zu sortieren, protokollieren und vor Gericht zu bringen. Heute sind nur noch 20 Angestellte übrig. Darunter Staatsanwälte, Kriminaler, Richter, Dolmetscher und Verwaltungsangestellte. Jäger und Sammler. Wenn sie genug Beweise haben, geben sie diese an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiter. Selber Anklage erheben darf die Zentrale Stelle nicht.
Seit 2015 leitet Jens Rommel die Behörde. Ein Mann mit gezähmten braunen Locken und blauem Polohemd unterm Sakko. Er führt durch das Haus. Mehr Sechzigerjahre-Bungalow als Frauengefängnis. Dass er hier noch seine Rente erleben wird, glaubt Rommel nicht. Sie arbeiten gegen die Zeit. Wenn es niemanden mehr gibt, gegen den man ermitteln kann, dann soll die Behörde zu einem Informationszentrum umgebaut werden. 2025 könnte es spätestens so weit sein.
„Wir stehen vor einem Wendepunkt. Aus erlebtem Geschehen wird geschichtliches Geschehen“, sagt Rommel über seinen nahenden Dienstschluss. Bis dahin will er aber weitermachen. „Wir haben den Auftrag, für diese Verbrechen ein Bewusstsein zu schaffen.“
Vorbei an Gängen voller Akten und den Büros der Ermittler geht es zum Herz der Zentralen Stelle. Einem schlichten Raum im Erdgeschoss. Aktenschränke reihen sich hier aneinander. Eine erdrückende Schlichtheit, macht man sich den Inhalt der Schränke klar: Tatorte im In- und Ausland, Tathergänge, Opfer, Täter. Ein Schrecken, gebannt auf 1,7 Millionen gelben Karteikarten. Hier irgendwo verzeichnet sind auch die Namen der Männer, die Leon Schwarzbaums Familie umbrachten.
Leon Schwarzbaum war Anfang 20, als seine Eltern nach Auschwitz deportiert wurden. Kurz darauf wurde auch er in das Lager geschickt. Seine Eltern hat er nie wieder gesehen. Sie wurden wohl direkt nach ihrer Ankunft umgebracht.
Januar 2018: Schwarzbaum sitzt auf einem hellen Sofa in seiner Wohnung in Berlin-Grunewald und blättert sich durch die Reste seiner Vergangenheit: Schwarz-Weiß-Fotos aus den 1920er und 1930er Jahren. Ausflüge ans Meer, frisch Vermählte. Dokumente des Lebens im polnischen Bendzin, Schwarzbaums Heimatstadt. Rund 22.000 Juden lebten hier vor dem Krieg. Die Fotos wurden nach der Befreiung in Auschwitz gefunden. Schwarzbaum blättert stumm. Er zeigt auf ein Foto seiner Abiturklasse. Eine Handvoll junger Menschen, die in die Kamera lächeln. „Was soll man sagen? Dass man überlebt hat und die anderen tot sind?“
Nächsten Monat wird Leon Schwarzbaum 97, ein Alter, in dem die Vergangenheit näher ist als die Zukunft. Auf seinem Beistelltisch steht ein Familienfoto: Vater, Mutter, Onkel und ein 14-jähriger Leon im dunklen Anzug.
Leon Schwarzbaum ist einer der wenigen Menschen, die Auschwitz überlebt haben. Im Prozess um Reinhold Hanning trat er als Nebenkläger auf. Hanning war Wachmann in Auschwitz, er muss sich wegen Beihilfe zum Massenmord verantworten, Schwarzbaum war zur selben Zeit Häftling. Während der Verhandlung richtete er sich direkt an den Angeklagten:
Leon Schwarzbaum
„Herr Hanning, wir sind fast gleich alt – 95 Jahre – und wir stehen bald beide vor dem höchsten Richter. Ich möchte Sie auffordern, uns die historische Wahrheit zu erzählen. Sprechen Sie hier an diesem Ort über das, was Sie und Ihre Kameraden getan oder erlebt haben – so wie ich es für meine Seite tue.“
35 Familienmitglieder von Schwarzbaum wurden vergast und getötet. Vermutlich sind rund 1,1 Millionen Menschen in Auschwitz ermordet worden. Ihm gehe es nicht darum, alte Männer ins Gefängnis zu bringen, sagt Schwarzbaum über die Täter. „Mir geht es um die Wahrheit. Was ist damals genau passiert? Was haben diese Männer gedacht?“
Männer wie Reinhold Hanning, die nicht selbst den Abzug drückten, sondern anderen dabei halfen, allein durch ihre Anwesenheit. Seit 2011 machen sich auch diejenigen schuldig, die damals in Vernichtungslagern gearbeitet haben. Die an den Rampen standen, die das Gepäck der Deportierten bewachten, diejenigen, die mit ihrem Gebrüll und ihren Waffen für eine Stimmung der Angst sorgten – und dafür, dass die Menschen ohne Kampf ins Gas gingen.
Den Anstoß für dieses juristische Novum brachte der sogenannte Demjanjuk-Prozess im Mai 2011. Das Landesgericht München urteilte damals, dass sein Dienst als Wachmann im Vernichtungslager Sobibór im Jahre 1943 ausreiche für eine Verurteilung zur Beihilfe zum Mord.
Demjanjuk starb, bevor er seine Strafe antreten konnte. Das Urteil blieb – und eröffnete der Justiz neue Wege. Auch der Zentralen Stelle Ludwigsburg und ihren Ermittlern. Seit 2011 gehen Möckel, Otte und Kollegen systematisch alle Konzentrationslager im In- und Ausland durch. Wann und woran sind die Lagerinsassen gestorben? Wer war wann dort beschäftigt? Und vor allem: Welche Menschen, die dort ihren Dienst taten, sind noch am Leben? Die Ermittler haben es vor allem auf die Jahrgänge zwischen 1918 und 1927 abgesehen. Auf Menschen, die in der NS-Zeit zwischen 18 und 25 Jahren alt waren und den Großteil der niederen Ränge der Wachmannschaften in den Lagern bildeten.
Für seinen Rechercheaufenthalt in Berlin hat sich Oberkriminalkommissar Möckel eine Liste gemacht. Ein DIN-A4-Blatt mit 27 Namen potenzieller Täter. Möckel bearbeitet das KZ Mauthausen. Noch vor Kurzem arbeitete er als Kriminalbeamter in Böblingen, in der Nähe von Stuttgart. Ein stiller, abschätzender Mann, den auch die Aussicht auf drei lange Tage im Archiv nicht aus der Ruhe bringt.
Möckel klickt sich durch die Dokumente. Auf dem Bildschirm zieht die Bürokratie der SS vorbei. Versetzungsanträge, Heiratsurkunden, Gesundheitszeugnisse. Möckel scannt die Zeilen ab. Was er braucht, sind Fakten. Geburtsdaten, Geburtsorte und Wohnanschriften. Wann war die gesuchte Person im Lager tätig und in welcher Position? Wichtig sei vor allem, zu klären, wie nah dran die Menschen gewesen sind, sagt Möckel. „Was haben die gewusst und getan?“ Hat er das geklärt, dann versucht er im nächsten Schritt, die Täter zu finden. Er klappert dann die Standesämter ab. Die Rentenversicherungen und Meldeämter.
„Manchmal suchen wir auch online“, sagt Möckel. Er erzählt von „Glücksfällen“, in denen er einen Namen googelte und der Gesuchte unter den Jubilaren einer Lokalzeitung auftauchte. Herzlichen Glückwunsch zum 90. Geburtstag. Bisher hat Möckel 2.100 Personen gefunden, die er überprüfen muss. 840 sind noch offen. Die meisten seien vermutlich längst verstorben, sagt Möckel. „Wenn da zehn am Leben sind, ist das schon gut.“
Seine Kollege Michael Otte bearbeitet das KZ Buchenwald. Bis vor zwei Jahren war Otte Staatsanwalt in Mecklenburg-Vorpommern „Mord und Totschlag“, sagt Otte und lacht. Er ist wendiger als sein Kollege – und derjenige mit mehr Dienstjahren. Bei Fragen ist meist er derjenige, der sofort anspringt. Seit zwei Jahren beschäftigt er sich mit dem KZ Buchenwald. Mittlerweile ist er Experte. Er weiß, wann es zu Massenerschießungen kam und wann die Häftlinge systematisch ausgehungert wurden. Gerade sucht er nach einem Mann, der vermutlich in einer dieser „Phasen der systematischen Tötung“, wie es Otte nennt, in dem KZ seinen Dienst leistete.
2015 war Otte einer derjenigen, die den ehemaligen SS-Sanitäter Ernst Hubert Zafke verhafteten. Damals noch als Staatsanwalt in Mecklenburg-Vorpommern. Auch Zafke sollte sich wegen Beihilfe zum Mord dem Gericht stellen. Wegen Verhandlungsunfähigkeit musste das Verfahren im Sommer 2017 eingestellt werden.
Hört man Otte zu, wird klar: Hier spricht ein Fahnder aus Leidenschaft. Und auch Möckel ist gespannt. Gegen jemanden monatelang zu ermitteln, sei eine Sache, da sind sich beide einig. Zu sehen, was das für ein Mensch sei, noch mal eine ganze andere. „Eine Traumkonstellation!“
In den ersten Vernehmungen habe Zafke nichts gesagt, erinnert sich Otte. Das sei aber meistens so. Weder Otte noch Möckel ist ein Fall bekannt, in dem sich einer der Beschuldigten freiwillig zu seinen Taten bekannt hätte. Auch von einer Selbstanzeige haben beide nie gehört.
Ihre Arbeit geht indes weiter: Ende 2017 meldete die Zentrale Stelle die Übergabe von Ermittlungen gegen zehn weitere mutmaßliche KZ-Bedienstete an die zuständigen Staatsanwaltschaften.
In diesem Jahr Die deutsche Justiz wird sich 2018 mit etwa zwei Dutzend Bediensteten in Konzentrationslagern und Angehörigen der SS beschäftigen müssen. Die Frauen und Männer, um die es geht, sind alle über 90 Jahre alt. Der älteste Beschuldigte ist ein 99-Jähriger, der SS-Wachmann im KZ Stutthof war. Bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart heißt es, seine Verhandlungsfähigkeit sei „äußerst fraglich“.
Neue Fälle Zum Tatkomplex Mauthausen ermitteln die Staatsanwaltschaften gegen drei Beschuldigte der Jahrgänge 1920 bis 1923. Beim KZ Ravensbrück, wo vor allem Frauen inhaftiert wurden, stehen zwei Frauen und ein Mann der Jahrgänge 1922 bis 1925 im Visier, die zu den SS-Wachmannschaften zählten. Beim KZ Buchenwald geht es um mehrere Beschuldigte, zu denen noch keine Details bekannt sind. Hinzu kommen Ermittlungsverfahren gegen zwei SS-Wachmänner, die in Auschwitz arbeiteten.
Alte Fälle Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat im November zwei 92 und 93 Jahre alte SS-Männer aus dem KZ Stutthof bei Danzig angeklagt. In Frankfurt am Main soll schon bald ein 96-jähriger SS-Mann aus dem KZ Majdanek vor Gericht stehen. In München haben die Ermittler einen 95-jährigen Auschwitz-Wachmann im Visier. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück untersucht den Fall eines 94-Jährigen, der im ukrainischen Babi Jar an dem Mord an mehr als 33.700 Juden beteiligt gewesen sein soll; Celle prüft die Anklage gegen einen 93-jährigen Auschwitz-Hundeführer, und in Hamburg wird der Einsatz des 91-jährigen Bruno D. im KZ Stutthof überprüft. Außerdem laufen Ermittlungen gegen drei Frauen, die ebenfalls in Stutthof Dienst taten. (klh)
Im September 2017 spürten Redakteure der ARD zwei mutmaßliche Mitglieder einer SS-Einsatzgruppe auf, die im September 1941 rund 30.000 Menschen erschossen haben sollen. Zwei alte Männer, die ihr ganzes Leben unbehelligt mitten in Deutschland verbracht haben. Zwei alte Männer, die gegenüber der Kamera jedes Wissen um den organisierten Massenmord leugneten. Otte und Möckel wollen sich die SS-Einsatzgruppen vornehmen, sobald sie die Konzentrationslager durchgegangen sind.
Was Staatsanwalt Otte weiß: Niemand, der dem System half, war unschuldig. „Es soll mir keiner kommen und sagen: Wir haben nichts gewusst.“ Das Argument, dass man hätte mitmachen müssen, um sich selbst zu schützen, lässt er nicht gelten. Die schlimmste Strafe für Befehlsverweigerung sei damals die Versetzung an die Front gewesen, sagt Staatsanwalt Otte. „Es gab keinen Befehlsnotstand.“
Befehlsnotstand, das bedeutet, dass einem Menschen Gefahr für Leib und Leben droht, falls er einen Befehl nicht ausführt. Aufgrund einer solchen Zwangslage bleibt der Befehlsempfänger laut Strafgesetzbuch straffrei.
Aber so war es nicht, so sieht es auch Möckel. „Da hat eine systematische Entwürdigung und Entmenschlichung stattgefunden“, sagt er und erzählt von Folter im KZ Mauthausen. Beide Ermittler sind sich einig: Die Taten der letzten NS-Verbrecher dürfen nicht ungestraft bleiben. „Das sind wir als Deutsche den Opfern und Angehörigen schuldig.“
Leon Schwarzbaum sind neben dem Fotobuch noch zwei Dinge seiner Heimatstadt Bendzin geblieben. Ein Gemälde der Synagoge, die 1939 abbrannte, und ein kleines Wunder: die Tora dieser Synagoge. Sein ganzer Schatz. Nach dem Krieg zog er nach Berlin, lernte seine Frau kennen und eröffnete einen Antiquitätenladen. Der Tag der Deportation seiner Eltern hat ihn immer begleitet. Jeden Tag. „Vergebung kann es nicht geben“, sagt Schwarzbaum. „Nicht von mir. Nur von den Toten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen