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Kommentar Deutsche Türkei-PolitikHöchste Zeit für Wirtschaftssanktionen

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Die Zeit des Wartens ist vorbei, der bisherige Umgang der Bundesregierung mit Erdoğan ist gescheitert. Jetzt gab es klare Worte, es müssen Taten folgen.

Die Bundesregierung muss jetzt durchgreifen, die zahme Methode funktioniert nicht Foto: dpa

D er Fall des in der Türkei inhaftierten Menschenrechtlers Peter Steudtner könnte ein Wendepunkt in der deutschen Türkei-Politik sein. Die deutlichen Worte Angela Merkels, die Urlaubsunterbrechung Sigmar Gabriels und die Einbestellung des türkischen Botschafters zeugen davon, dass die Bundesregierung nicht länger nur mit demonstrativer Gelassenheit auf die permanenten Provokationen des staatlichen Geiselnehmers Recep Tayyip Erdoğan reagieren will. Das ist erfreulich.

Die Zeit des Wartens, Bittens und Hoffens sollte endlich vorbei sein. Seit beinahe 160 Tagen sitzt unser Welt-Kollege Deniz Yücel unschuldig im türkischen Knast. Schon dieser Skandal dokumentiert: Die bisherige Politik der Bundesregierung gegenüber Erdoğan ist katastrophal gescheitert. Mit Hinterzimmerdiplomatie allein ist er schlicht nicht zur Einsicht zu bringen.

Seit dem Putschversuch vor einem Jahr baut der türkische Staatspräsident sein Land in rasantem Tempo in eine islamistische Diktatur um – aber die Bundesrepublik und die EU belassen es bislang bei zurückhaltenden Ermahnungen. Das ist ein Verrat an den zehntausenden politischen Gefangenen, ja an allen Demokraten in der Türkei. Wer dem Treiben des Despoten tatenlos zuschaut, macht sich mitschuldig. Schluss damit!

So begrüßenswert es ist, wenn die Bundesregierung nun „glasklare Ansagen und Erwartungen“ an Ankara formuliert: Das reicht nicht. Den klaren Worten haben entschlossene Taten zu folgen. Das autokratische AKP-Regime muss die Konsequenzen seines repressiven Handelns zu spüren bekommen – sonst wird es sich nicht bewegen.

Konkret heißt das: Die türkische Wirtschaft ist Erdoğans empfindliche Stelle, sie muss getroffen werden. Nicht nur dass sich Verhandlungen über eine Ausweitung der Zollunion derzeit verbieten: Ebenso wäre es höchste Zeit, auch über Wirtschaftssanktionen nachzudenken. Eine Reisewarnung wäre schon mal ein Anfang. Alle Rüstungslieferungen an die Türkei umgehend einzustellen, sollte ohnehin eine Selbstverständlichkeit sein. Solange die schwarz-rote Bundesregierung zu alledem nicht bereit ist, hat sie ein Glaubwürdigkeitsproblem.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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26 Kommentare

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  • Wie reagiert die deutsche Politik auf Erdogans Erpressungsversuche?

    Er lässten den Deuken Deniz Yücel verhaften. Die Bundesregierung wird unruhig, tut aber - nichts. Dann wird die Deukiin Mesale Tolu verhaftet. Wieder passiert außer wohlfeilen Worten nichts.

    Erst als der Biodeutsche Peter Steudtner verhaftet wird, poltert Siggi Pop los. Dieses Messen mit zweierlei Maß nenne ich rassistisch.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Ist der Ruf erst ruiniert, ...

     

    Erdo kann demnächst ungeniert 'ne Halbinsel oder auch 'ne halbe Insel annektieren.

    Zypern böte sich da idealerweise allein schon wegen ausbleibender Konsequenzen an.

  • 1. Wirtschaftssanktionen!

    2. Reisewarnungen!

    3. D-Bürger zurückrufen!

    4. Rheinmetall nicht in die Türkei

    5. Das Regime international an den Pranger

    6. kurdische Interessen thematisieren

    6. raus aus der NATO

    ... und damit kommen wir auf den Punkt. Nichts wird geschehen ausser Theaterdonner zur Wahl! Das Problem sitzt weder in Berlin oder München, es sitz Washington und im NATO-HQ und macht Geopolitik ... der USA und des Globalen Kapitals - diesen Beiden ist es sch**** egal, wer die Ostgrenze "sichert". Die EU spielt mit ihren Flücktlingsbegrenzern natürlich auch eine kleine Nebenrolle.

  • Der Autor verfällt in eine gewisse "Der Zweck heiligt die Mittel"-Mentalität: Reisewarnungen haben der Sicherheit von Deutschen im Ausland zu dienen und nicht der Wirtschaftskriegsführung. Als solche wären sie im Moment allenfalls für Erdogan-kritische politische Aktivisten angebracht. DIE sind in der Türkei im Moment nicht sicher, eine Warnung für alle Anderen wäre Übertreibung.

     

    Davon abgesehen: So kontrovers der Kurs Erdogans (auch in der Türkei) gesehen werden mag, ist doch die Türkei kein deutsches oder auch EU-Territorium, dem wir unsere Werte und unsere Auffassung von politischer Moral überstülpen können. Es wäre auch völlig zwecklos, jetzt die Türken mit unserem übergriffigen Gutmenschentum zu traktieren. Das spielt nur der Festungsmentalität in die Hände, die Erdogan in seinem Land heraufbeschwören will.

     

    Halten wir uns an die Fakten:

    Erdogan ist offensichtlich nicht daran gelegen, die Türkei in die europäische Wertegemeinschaft zu führen. Also hat "seine" Türkei in der EU nichts verloren. Sollte er auch den Kurs weiter verfolgen, seine NATO-Bündnisverpflichtungen hinter politische Befindlichkeiten zu stellen, wird man auch DARÜBER reden müssen. Aber all das macht uns Deutsche nicht zum paneuropäischen Demokratiepolizisten.

    • @Normalo:

      Das stimmt so nicht ganz. Die europäischen Grundrechte werden nicht durch die EU sondern durch den Europarat garantiert. Dort ist die Türkei Mitglied. In der Türkei gelten (zumindest sollten) die europäischen Grundrechte genauso wie in Deutschland oder in Staaten der EU.

      • @Velofisch:

        Stimmt, hatte ich vergessen.

         

        Ändert aber auch nichts daran, dass Deutschland keine Generalvollmacht von irgendwem hat, hier "korrigierend" einzugreifen. Soll man sie halt in Straßburg zur Freilassung der politischen Gefangnenen verdonnern und/oder aus dem Europarat schmeißen. Aber für Reisewarnungen, Wirtschaftssanktionen, Widerruf der Zollunion etc. fehlt die Grundlage.

  • Darauf wartet Erdogang doch nur: er proviziert so lange, bis die ersten härteren Massnahmen getroffen werden, womit er dann gegen die EU und D wettern kann. Kein Mensch wird dadurch freikommen, im Gegenteil: die Zahl der "Spione" wird rasant zunehmen, damit er mehr Druckmittel hat und "Erfolge" im Kampf gegen die Feinde der Türkei vorweisen kann.

    Die Weichspülerei ist die Folge der hohen wirtschaftlichen Verflechtungen, z.B. kommt ein Grossteil der Weissware aus türkischer Produktion, ebenso die "ialienischen Tomaten" u.a.

    • @Mitch Miller:

      Oh Gott. Die Tomaten werden alle. Da muss man sich natürlich alles bieten lassen. Zumindest, wenn man ohne Rückgrad geboren wurde...

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @warum_denkt_keiner_nach?:

        letztmals auf taz.de:

         

        Rückgrat (wie Gräte)...

  • Na ja, so richtig fällt dem Kommentator auch nichts ein. Wie sollen Wirtschaftssanktionen aussehen? Eins ist aber klar, weiterhin exportieren wir bundesdeutsche Waffen an den Natopartner - dazu hat bisher keiner Stellung bezogen - Ein Schelm, der sich dabei etwas denkt.....

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Theaterdonner.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @1714 (Profil gelöscht):

      Ohnmächtige Wut...

  • Muss man denn gleich von einem Extrem ins andere fallen? Es reicht doch völlig, alle Verhandlungen zum EU Beitritt usw. abzubrechen und alle Sonderregelungen zu streichen. Also die Türkei zu einem x-beliebigen Staat zurück zu stufen, der uns egal ist.

  • Mit Sanktionen wäre ich vorsichtig, solange noch Zehntausende an Deutschen in der Türkei sind, die Erdogan kühl lächelnd in Geiselhaft nehmen kann.

     

    Die Urlauber sind derzeit nur deshalb noch halbwegs sicher, weil Erdogan das Geld braucht. Sobald das durch Sanktionen oder eine Reisewarnung nicht mehr gegeben ist, wird er auch Touristen und Mitarbeiter der Tourismusbranche unter irgendwelchen Vorwänden inhaftieren lassen.

     

    Insofern sollte sich jeder Deutsche, der in der Türkei lebt oder urlaubt sich die Frage stellen, ob es nicht längst Zeit ist das Land zu verlassen. Und das bevor die offizielle Reisewarnung kommt!

  • Es ist hoffentlich klar, das Sanktionen das letzte Mittel der Außenpolitik sind, danach folgt der Krieg. Soweit ist die Türkei sicher noch nicht.

    Eine Reisewarnung dagegen wäre wirklich angebrach, diese würde ja auch den Tourismus treffen.

  • Ich kann so langsam keinen Unterschied mehr erkennen zwischen einer Militärdiktatur und der Erdogan Diktatur. Angela Merkel und der Bundestag sind Erdogan zu links, als ob es die AfD sei, die in der Türkei nun das sagen hat.

  • Das Problem sitzt weder in Ankara noch in irgendwelchen Vorstandsetagen. Der Grund der Untätigkeit gegenüber der türkischen Entdemokratisierung sitzt in München und damit am Koalitionstisch, oder am Stammtisch, bzw -Forum und an der Wahlurne. Merkels Zurückhaltung ist der Bereitschaft geschuldet die ca 30% der Deutschen haben, 7 Jahrzehnte zivilisatorischen Fortschrittes niederzureissen, sobald sie ihren Gartenzwerg in Gefahr wähnen - Mit welchem Hass Merkels ´wir schaffen dass´abgeleht wird lässt auf ein tiefes Verlangen nach Niedergang schliessen und wenn man sieht wie wenig die Grundgesetzorientierte Gesellschaft von diesen Leuten trotz ökonomischer Rekorde verinnerlicht wurde, kann verstehen, dass Merkel alles daran setzt, den Status Quo aufrechtzuerhalten. Mit einem renitenten Bevölkerungsdrittel dass nichts Neues schaffen will weil es Veränderung hasst, wird es keine konsequente Antidiktatorenpolitik oder die notwendige weitere europäische politische und soziale Integration geben, die notwendig ist um effektiv die Welt zu einem menschlicheren Ort zu machen.

  • Auf einen groben Klotz,....

    Es wird Zeit das die Bundesregierung einsieht, das der Türkische Möchegern-Sultan, mit verbalen Wattebäuschchen nichts anfangen kann. Die Zuckerbrotphase Merkels sollte endlcih beendet werden.

  • Danke für die klaren Worte. Nur wir leben in einer (Wirtschafts)kratie und das wird nicht passieren. Lieber lasst man paar Linke und Gutgläubige Menschen im Knast. Es ist auch nichts verwerfliches dran: In einer ähnlichen Situation war die Bundesregierung unter Schmidt(SPD) schon einmal. Damals holten die Engländer ihr Kind aus der südamerikanischen Diktatur und wir haben unseres dort sterben lassen. Die Franzosen haben auch Ihr Kind aus der Gefangenschaft Erdogans geholt und macht unsere Regierung. Wie schon ein andere Kollege von Ihnen sagte, sein Sie bitte nicht Realitätsfremd.

  • Es wäre eine Aufgabe für investigative Journalisten, herauszufinden welche türkischen Firmen Erdogan besonders unterstützen. Wir brauchen eine treffsichere Boykottliste. Der Tourismusboykott trifft wahrscheinlich überwiegend die Gegner Erdogans, was sich an den schlechten Wahlergebissen der AKP in den Touristenzentren ablesen lässt. Was ist aber mit den viel wichtigeren Bereichen der türkischen Wirtschaft, etwa der Textilindustrie, den Herstelllern von Elektro- und Haushaltssgeräten oder die Automobilindustrie? Viele internationale Autokonzerne lassen in der Türkei produzieren und exportieren von dort in die EU. Trotz Putsch brachen die Exporte der türkischen Automobilindustrie nach Deutschland und in die EU 2017 alle Rekorde. Wegen der Zollunion ist der Spielraum der Politik für wirtschaftliche Sanktionen begrenzt. Von der Zivilgesellschaft organisierte Boykottksmpagnen könnten viel mehr bewirken.

  • Ist Herr Erdogan nun gänzlich durchgeknallt? Jetzt mal dies: Falls "unsere" Wehr noch in Anatolien steht, bitte stehen lassen - und schomma warmlaufen lassen...

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Gion :

      Geht das schon unter Bellizismus?

      Dann wäre nicht nur Erdogan "durchgeknallt".

  • Eine Reisewarnung? Da hat der Autor offensichtlich den Zweck der Reisewarnungen nicht verstanden. Die Hinweise des Auswärtigen Amtes sind jedenfall bereits jetzt sehr aktuell.

     

    Wie sollte eine solche Warnung den Aussehen? "Die Regierung der Bundesrepublik ist derzeit auf den Präsidenten der Türkei nicht gut zu sprechen"? Bereits jetzt (Stand heute Vormittag) wird darauf hingewiesen, dass Menschenmassen gemieden und kritische Kommentare unterlassen werden sollten.

     

    Ich freu mich auf den Sommerurlaub 2017 in der Türkischen Riviera.

    • @DiMa:

      Die Reisewarnung sollte folgende Hinweise enthalten:

       

      Erteilen Sie Vollmachten für Konto, Wohnung, Arbeitgeber etc. für den Fall, dass Sie mehrere Jahre in türkischen Gefängnissen zubringen werden.

       

      Mit etwas Glück besucht Sie der konsularische Beistand im ersten Jahr Ihres Aufenthalts im Knast. Erwarten Sie vom konsularischen Beistand nichts außer warmen Worten.

      • @Gesunder Menschenverstand:

        Nunja, auch Sie haben den Zweck von Reisewarnungen nicht verstanden. Diese werden im Fall von Kriegen und Bürgerkriegen ausgesprochen.

         

        Das was Sie zum besten geben gehört in die Kategorie "Reisehinweise". Diese waren bereits am 19.07. recht scharf und die jetzige Änderung dürfte die Regierung in der Türkei kaum jemanden jucken.

         

        Ich habe übrigens nicht vor, an irgendwelchen Demonstrationen oder Tagungen teilzunehmen, geschweige den den Club während meines Aufenthaltes zu verlassen.