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Kommentar Bundespräsidenten-KandidatEiner für alle? Das ist eine Illusion

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Steinmeier als Bundespräsident? Ein unsinniger Vorschlag. Nur: Einen Konsenskandidaten wie Gauck hat man nicht alle fünf Jahre zur Hand.

Kaum als Bundespräsidenten-Kandidat vorgeschlagen, schon durchgefallen: Frank-Walter Steinmeier Foto: dpa

G ewissermaßen ist Frank-Walter Steinmeier der Idealtypus des Anti-Gaucks: Am Sonntagmittag wirft der SPD-Chef Sigmar Gabriel seinen Außenminister als potenziellen Präsidentschaftskandidaten auf den Markt, am Sonntagabend ist dieser bereits durchgefallen.

Den Grünen kommt der Vorschlag zu plötzlich, der Union ist der Kandidat zu sozialdemokratisch, der Linkspartei zu neoliberal. Stand jetzt könnte die SPD für einen Kandidaten Steinmeier höchstens auf die Unterstützung der FDP zählen, was zusammen 421 Stimmen in der Bundesversammlung machen würde – 570 weniger, als Joachim Gauck erhielt, als er vor fünf Jahren als ganz großer Konsenskandidat von Union, SPD, Grünen und FDP angetreten war.

Das Modell Gauck lässt sich nun mal nicht beliebig wiederholen, auch wenn ein neuer Konsens natürlich hervorragend ins harmonieorientierte Zeitalter der Großen Koalition passen würde. In einem Koalitionsvertrag lassen sich Differenzen zwischen den politischen Lagern vielleicht noch einigermaßen austarieren (die einen bekommen den Mindestlohn, die anderen dafür die Pkw-Maut). Die eine Person aber, die zumindest die Illusion erweckt, sämtliche Interessen der Bundesversammlung zu vereinen, findet sich einfach nicht alle fünf Jahre.

Es ist doch so: Den Kandidaten mit Migrationshintergrund, aber bloß kein Muslim, zumindest kein praktizierender, lieber noch einer aus einem christlich geprägten Kulturkreis, am besten also einen glücklich verpartnerten Pfaffen aus dem Schwarzwald mit konservativem Wertesystem und Solarzellen auf dem Dach – den gibt es nicht. Schon die Vorstellung, dass Joachim Gauck die Interessen von Grünen-, SPD-, CDU-, CSU- und FDP-Wählern gleichermaßen abbildet, war im Grunde genommen nicht mehr als Selbstbetrug.

Wer sich dennoch wünscht, dass im Schloss Bellevue die unterschiedlichen Positionen des Parteiensystems möglichst breit gespiegelt werden, kommt an einer Verfassungsänderung nicht vorbei: Höchstens eine Doppelspitze für die Bundesrepublik würde annähernd für Parität sorgen. Ein Mann, eine Frau, für jedes Lager ein Vertreter. Wolfgang Schäuble und Claudia Roth zum Beispiel, die sich in den kommenden fünf Jahren mit der Weihnachtsansprache abwechseln.

Taugt auch nichts? Schon aus praktischen Gründen? Dann müssen wir uns von der Vorstellung eines vermeintlich neutralen Staatsoberhaupts in einer heterogenen Gesellschaft vielleicht verabschieden.

Der nächste Präsident, die nächste Präsidentin darf ruhig anecken. Ein Konsens, der bloß niemanden stört, ist überhaupt nicht nötig

Natürlich, das Amt des Bundespräsidenten ist aus guten Gründen überparteilich angelegt. Ein Bundespräsident lässt seine Parteimitgliedschaft ruhen und mischt in den Niederungen der Tagespolitik nicht mit. Überparteilichkeit bedeutet aber nicht, auf eigene Positionen zu verzichten. Umso weniger, als in den kommenden Jahren ein Präsident gefragt ist, der gegen antidemokratische Tendenzen Stellung bezieht – der also geradezu gezwungen sein wird, sich in aktuellen Debatten zu positionieren.

Der nächste Präsident, die nächste Präsidentin darf ruhig anecken. Ein Konsens, der bloß niemanden stört, ist überhaupt nicht nötig. Dass nun eine Regierungspartei vorprescht und ohne Absprache einen eigenen Kandidaten präsentiert, dass sie damit in letzter Konsequenz eine Kampfabstimmung zwischen den einzelnen Parteien mit jeweils eigenen Kandidaten provozieren könnte, ist nur folgerichtig. Und wenn am Ende ein Bundespräsident Wolfgang Schäuble (ohne Kopräsidentin Claudia Roth) steht? Dann lernen wir eben wieder, Differenzen zu ertragen. Kann in einer Demokratie auch nicht schaden.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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11 Kommentare

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  • weisses haar, schwarze brille, schmale lippen - frank (ver)walter steinmeier hat uns als chef des kanzleramtes im falle murat kurnaz gezeigt, dass er nicht in der lage oder willens ist, für einen einzelnen bürger zu sorgen. wie will er uns als willfähriger vollstrecker der agenda 2010 überzeugen, für ein ganzes volk zu sorgen.

  • Der Präsident ist eigentlich eine Farce, außer den Linken wären alle bereit, genau diesen Steinemeier zu wählen. Und viel Schaden kann er eigentlich auch nicht anrichten. Als er mal Bundeskanzler werden wollte, hat er eher fürs Präsidialamt kandidiert und formuliert, dass er ein Anhänger von Hartz-IV, der Agenda 2010 und niedrigen Renten für Normalos ist, macht es doch um so zynischer, aber die anderen KandidatInnen wären genauso.

  • Lammert wirds machen oder keiner.

     

    Der Kriegskurs geht weiter – zündeln, bis es kracht.

  • Naja, Steinmeier ist auf jeden Fall der am besten dafür geeignete Kandidat aus dem Kreise der GroKo. Warum ihn dann nicht vorschlagen?

  • Ja - gewiß Herr Tobias Schulze -

     

    Auch schön - Sie haben jetzt auch mal -

    Nunja - drüber gesprochen,

    Danke.

     

    (..in unvordenklicher Zeít hieß es noch -

    Kropfbesprechung - auch wieder wahr!;)

    • @Lowandorder:

      wann treffen wir uns uns auf ein Bier oder ein Gesetz?

  • ...die Wahl des Bundespräsidenten (Warum schlägt keine Partei Carolin Emcke als Kandidatin vor?) war schon immer eine Wahl der politischen Richtungsentscheidung. Die Wahl von Gustav Heinemann 1969 bereitete die sozial-liberale Koalition vor. Die Wahl von Karl Carstens 1979 war das klare Signal der Abkehr von sozial-liberaler Politik. Der aktuelle Bundespräsident Joachim Gauck verlor zunächst blamabel gegen Christian Wulff, der seinerseits als Bundespräsident dafür stehen wollte, eine Willkommenskultur in der Bundesrepublik zu schaffen.

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @Der Alleswisser:

      Carolin Emcke? Lol. Die Qualifikation bestünde dann in was nochmal? Weltbeste NabelschauerIn? Gefühlsberichterstattung?

    • @Der Alleswisser:

      Ist jetzt eigentlich jeder Mensch für das Amt geeignet, der in letzter Zeit einen Preis bekommen hat? Es geht um ein politisches Amt. Und das sollte auch eine Person aus der Politik ausüben. Oder sollten wir noch schauen, wer die nächsten goldenen Bären bekommt?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        So ähnlich, ja. Die suchen einen, der für sie den Goldenen Bären in Empfang nimmt. Nur haben sie vergessen, so jemanden zuvor langfristig aufzubauen. Er soll plötzlich vom Himmel fallen.

         

        Es gibt ihn schon, den "Pfaffen". Nur hat er bisher nicht im Rampenlicht gestanden. Kein Schwein kennt ihn, weil die Politik ihn eigentlich icht will - außer als Bundespräsus alle vier Jahre.

         

        Übrigens: Steinmeier als Kandidaten zu verheizen, ist die strategische Glanzleistung eine Mannes, der unter Realitätsverlust leidet. Es erhöht Gabriels Chancen auf den Thron in keiner Weise, wenn er seinen einzigen verbliebenen Rivalen demontiert. Es braucht schon auch noch ein paar Wählerstimmen um zu gewinnen. Sch...ß Demokratie, ich weiß...

        • @mowgli:

          Was glaubst du denn, warum Gabriel grade so scharf kritisiert wird, er wäre ja schuld an der "Verzögerung" von CETA?

          Es geht um das "neue Sebstverständnis" Gabriels... also nach außen tiefrot aber innen rosa/gelb, d.h. nach außen eine Lüge nach der anderen ins linke Lager hauen, nach innen einfach weitermachen wie bisher. Sorry, aber ich würde jeden Besenstil Gabriel vorziehen, dieser Mensch ist für mich fast so ein rotes Tuch wie Schäuble und Merkel.