piwik no script img

Kommentar Radikale „Reichsbürger“Unterschätzte Hassprediger

Konrad Litschko
Kommentar von Konrad Litschko

Rhetorik und Verhalten der „Reichsbürger“ sind abstoßend und offen militant. Nun werden sie unter strengere Beobachtung gestellt – endlich.

In Georgensgmünd wurden mehrere Polizisten von einem „Reichsbürger“ angeschossen Foto: dpa

D er Spaß ist schon lange vorbei – nicht erst seit den Schüssen in Georgensgmünd. Als Spinner werden die „Reichsbürger“ bis heute verlacht, als Verwirrte, die sich mit Fantasiedokumenten ausrüsten und Ordnungsämter oder Richter nerven. Noch in jüngsten Publikationen des Verfassungsschutzes liest man von „querulatorischen Schreiben“ und „kruden Theorien“ der Bewegung.

Das trifft zu. Worüber man indes wenig liest: die unverhüllte Gewaltneigung der „Reichsbürger“. Dabei drohen diese schon lange in Schreiben an Behörden mit „Erschießungskommandos“, Migranten schickten sie Ausweisungsbriefe, wegen „Völkervernichtung durch Rassenvermischung“, einige wähnen sich nach eigener Auskunft aktuell im „Befreiungskampf“.

Es ist eine abstoßende Rhetorik – und eine offen militante. Nur wird diese bis heute unterschätzt. Auch so erklärt sich die Überraschung über die Gewalt von Georgensgmünd – und die Erklärung des bayrischen Innenministers, die Bewegung nun genauer beobachten zu wollen. Man hätte es längst tun sollen.

Denn auch gewalttätig wurden „Reichsbürger“ schon zuvor. Ein Anhänger warf Brandsätze auf den Bundestag, in Sachsen-Anhalt schoss einer auf Polizisten, in Sachsen fesselten Mitglieder einen Gerichtsvollzieher. Immer wieder fanden Polizisten bei Razzien in der Bewegung Waffen.

Gerade in Zeiten, in denen Rechtspopulisten und Flüchtlingsfeinde Forderungen nach einem „Widerstand“ gegen „Volksverräter“ popularisieren, gehören die „Reichsbürger“ unter strengste Beobachtung. Sind sie doch Teil einer wachsenden Parallelgesellschaft, die mit diesem Staat abgeschlossen hat und zunehmend zu allem bereit zu sein scheint.

Mehr als 800 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte gab es bereits in diesem Jahr und elf versuchte rechte Tötungsdelikte. „Spinner“, die diesem Staat den Kampf angesagt haben und Waffen horten, sind in dieser Entwicklung eine ganz ungute Komponente.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Konrad Litschko
Redaktion Inland
Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Ich bin gespannt, wie weit die verschärfte Beobachtung dieser gefährlichen Entwicklung denn noch gehen soll und ab wann - ja was denn nun - geschehen wird. Aus meiner Sicht kollidieren hier wieder einmal schutzwürdige Staatsinteressen und Mehrheitsinteressen der Bürger mit der Inanspruchnahme der schutzwürdigen Meinungsfreiheit einer äußerst aggressiven zersplitterten Minderheit, die dieses Recht sehr wohl für sich in Anspruch nimmt und es gleichzeitig abschaffen will - für die anderen-. Diese Grenze scheint mir schon längst überschritten. Aber nach rechts blickt man seltsamerweise in unserem Land höchst ungern. Ein Schelm, wer Böses bei sich denkt.

  • Ist seit Jahrzehnten immer dasselbe in diesem Land. Militanter Rechtsextremismus wird verharmlost, klein- und schöngeredet. Von der Anweisung nach dem Oktoberfest-Attentat, dass es sich um einen Einzeltäter zu handeln habe, über die unglaublichen Skandal rum um die NSU bis zu diesem Fall. Immer das gleiche Muster.

  • Musste wirklich erst ein Polizist sterben, bevor die Verantwortlichen begreifen, dass es keine harmlose Spinnerei ist, das 3. Reich fortzuführen und Gebiete unserer Nachbarn zu beanspruchen? Die Blindheit unseres Staates auf dem rechten Auge ist sehr bedenklich. Das hatten wir schon mal.

  • Ich glaube man sollte weder bei diesen Reichsbürgern noch bei islamistischen oder nationalistischen oder einfach kriminellen Gewalttätern unterschätzen in wie weit dort tatsächliche Verwirrung mit hereinspielt. Oder einfach eine Art von Hoffnungslosigkeit und Verzweifelung, die sich ein Bachbett sucht, in die sie fließen kann. Noch anders gesagt: Wenn dieser Idiot zufällig in einem muslimischen Land geboren worden wäre, wäre er in der gleichen Situation wahrscheinlich bei den Islamisten gelandet.

     

    Und klar, das sind alles Ideen und Vorstellungen verbreitet von Menschen mit durchaus politischen Zielen, selbst wenn sie dabei noch halbbürgerlich wirken. Das sind unzählige Rinnsale, die zu Bächen und Flüssen zusammenfließen.