Rechte Gewalt: Neue Dimension des Grauens
Seit Jahren schwelt der Streit um die korrekte Zahl der Neonazi-Opfer. Bei 746 ungeklärten Todesfällen könnte ein rechtsextremes Tatmotiv dahinterstehen.
BERLIN taz | Gibt es mehr Opfer rechter Gewalt als bislang angenommen? Migrantenverbände, antirassistische Initiativen und Opfervertreter fordern schon lange, die offizielle Statistik nach oben zu korrigieren. Als vor zwei Jahren nur durch einen Zufall die Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle NSU aufflog, gelobten die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern deshalb, auch alle anderen bislang ungelösten Verbrechen noch einmal unter die Lupe zu nehmen.
Mehr als 3.300 unaufgeklärte Morde und Tötungsversuche zwischen 1990 und 2011 haben sie sich dafür noch einmal angeschaut. In 746 Fällen habe man dabei „Anhaltspunkte“ für ein mögliches rechtsextremes Tatmotiv gefunden, räumte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums jetzt ein. Woran sich diese Anhaltspunkte genau fest machen lassen – etwa daran, dass die Opfer Migranten waren, oder an besonderen Merkmalen der Tat –, konnte er auf Nachfrage der taz aber nicht benennen.
Seit Jahren schwelt der Streit um die korrekte Zahl der Todesopfer rechtsextremer Gewalt. Während das Bundesinnenministerium von 63 Opfern seit dem Jahr 1990 ausgeht, sprechen antirassistische Initiativen wie die Amadeu Antonio Stiftung von bis zu 184 Todesopfern seit der Vereinigung, und der Tagesspiegel kam nach intensiven Recherchen auf zuletzt immerhin 152 Opfer. Auch diese Fälle werden jetzt von den Behörden neu überprüft.
Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung zeigte sich erfreut über die Überprüfung. „Die Schnittmenge zwischen Gewaltkriminalität und Rechtsextremismus war in den neunziger Jahren in den neuen Bundesländern sehr hoch“, sagte sie der taz. „Wer lange Zeit in diesem Bereich gearbeitet hat, den kann die hohe Zahl der Verdachtsfälle daher nicht überraschen.“
Im westeuropäischen Vergleich falle die rechtsextreme Gewalt in Deutschland schon jetzt aus dem Rahmen, betonte Kahane. Zu osteuropäischen Ländern seien Vergleiche hingegen schwer zu ziehen, weil dort die Dunkelziffer noch sehr viel höher sei.
Behörden der Länder für Aufarbeitung zuständig
Die Ergebnisse der Untersuchung werden erst im nächsten Jahr vorliegen, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, frühestens im zweiten Quartal 2014. Für die Aufarbeitung der Fälle seien vor allem die Polizeibehörden der Länder zuständig. Erst dann werde man wissen, ob die Zahl der Morde mit rechtsextremem Hintergrund tatsächlich höher sei als bisher angenommen.
„Ich begrüße es, dass Bund und Länder das Thema so engagiert anpacken“, sagte die SPD-Abgeordnete Eva Högl, die bis Juli im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags saß, der taz. Rechte Gewalt dürfe nicht mehr verharmlost werden. Es brauche „eine bessere Aus- und Fortbildung, damit rechtsextreme Straftaten besser erkannt werden. Die Polizei sollte da mit den mobilen Opferberatungsstellen zusammenarbeiten.“
Anetta Kahane schließt sich diesem Wunsch an. „Man sollte mehr Geld in die Fortbildung der Polizei und ihrer Führungskräfte stecken“, sagte sie. Oder „zivilgesellschaftliche Initiativen stärken, die sich vor Ort engagieren, wenn irgendwo ein Flüchtlingsheim entsteht, und die den Rechtsextremen dort die Stirn bieten.“ Das NPD-Verbot, das jetzt beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beantragt wurde, sei hingegen „überflüssig und sinnlos“ und werde „sowieso vom europäischen Gerichtshof kassiert“, fürchtet sie: „Das kostet viel und bringt nichts.“
Leser*innenkommentare
Desillusionist
Gast
"(...) Bei 746 ungeklärten Todesfällen könnte ein rechtsextremes Tatmotiv dahinterstehen.(...)" - Der Sachverhalt von 746 ungeklärten Todesfällen sollte traurig genug sein, hier nicht mit Blick auf die Leser beifallsheischend mit Konjunktiven zu jonglieren, sondern die Ergebnisse der Untersuchungen abzuwarten und dann darüber zu berichten.
Trügern rittin
Gast
Das ist, wie man auch an den Kommentaren erkennt, wieder BILD-Teitung für Sozialpädagogen hier. Gewalt ist grundsätzlich abzulehnen. Warum sprecht Ihr Euch nur gegen Rechtsextreme aus und ignoriert gleichzeitig Links- und Ausländegewalt? Das nimmt diesem ansonsten wichtigen Artikel von vornherein die Glaubwürdigkeit. Es klingt aufgrund der Einseitigkeit eher nach Auftragsschreibe von Ströbele. Schade, Chance vertan
alf
Gast
Ja, du hast vollkommen recht.
Hinter rassistisch oder homophob motivierter Gewalt stecken sicherlich genauso auch Linksradikale! Hat die Trudi auch gemerkt!
trudi
Gast
Immer ruhig bleiben!
Hinter den Taten können ebenso Linksradikale (ja sowas gibts) oder "unpolitische" räter stecken. Aver wer auf Hysterie steht - bitteschön...
Aufklärung vs. Kapitalfaschismus
Gast
Faschisten sind die Reserve für die reale Kapitalherrschaft in Deutschland, um gegebenenfalls durch Terror die Gesellschaft unter Kontrolle zu halten.
Auch mit einem Verbot der NPD und analoger Reserveorganisationen des Kapitals, verschwindet der Faschismus nicht. Hierfür, für die Überwindung des Faschismus, müsste man den realen modifizierten (modernisierten) Kapital-Faschismus überwinden. Den bestehenden staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland überwinden, - die sog. "Soziale Marktwirtschaft" der herrschenden Finanz- und Monopolbourgeoisie und deren spezial-demokratischen "Sozialpartner" und ideologischen und gesellschaftspolitischen Administration.
Die Überwindung und Aufhebung des Faschismus hat die Überwindung und Aufhebung des Kapitalismus (sog. "Soziale Marktwirtschaft") als Voraussetzung.
Wer diese Wahrheit leugnet, der steht letztlich an der Seite der Faschisten - und des Staatsterrorismus des Kapitals.
Think
Gast
@Aufklärung vs. Kapitalfaschismus Da spricht ein echter Linker. Das Kapital ist böse; der Kommunismus ist gut. Egal, wieviele Millionen Opfer er noch fordert. Ansichtsexemplare linker Herrschaft kann man noch in Nordkorea, Kuba oder Eritrea sehen, falls man die DDR, UdSSR etc. vergessen haben sollte. Da ist mir der Kapitalismus erheblich lieber und leider wandern auch die wenigsten Linken aus.
BRUDER_NUMMER_ZWEI
Gast
@Aufklärung vs. Kapitalfaschismus Weise gesprochen, Bruder Nummer Eins! Die Werktätigen stehen sicher in ewiger und unverbrüchlicher Treue hinter Dir. Wenn sie neben RTL-2-Konsum und Facebook-Seiten mal dazu kommen.
Think
Gast
@BRUDER_NUMMER_ZWEI Brunder_Nummer_zwei, das Dumme daran ist, dass Linksreaktionäre ziemlich gut organisiert sind und ihre Sympathisanten in Schaltpositionen haben. Wo sonst kann eine linke RAF über Jahrzehnte ungestört morden und ein RAF-Aufbauhelfer im BT sitzen?
Stefan Mustermann
Zurecht wurde gestern ein Verbotsantrag gegen NPD beim Bundesverfassungsgericht gestellt.
Man sollte neben dem Grundgesetz auch die sämtlichen Menschenrechtskonventionen und Verträge der Europäischen Union (Charta der Grundrechte der Europäischen Union, UN-Charta etc.) dabei berücksichtigen, dann wird die richterliche Entscheidung im Nahmen des Volkes, zu Gunsten unseres Volkes gefällt.
Man sollte auch berücksichtigen, unter welchen Bedingungen die Autonomie unseres Landes 1947 legitimiert wurde. Dies ist ein wichtiges Argument, insbesondere wenn man die letzten Volksverhetzungen durch die NPD in Berlin dabei erwähnen würde, wie
http://www.taz.de/Volksverhetzung/!128798/
Wer wird unsere Kinder an den Schulen schützen können, wenn nicht Bundesverfassungsgericht jetzt!
Auch der NSU Prozess könnte eine wichtige Rolle spielen, um dem Verbot zu zustimmen.
Contra
Gast
@Stefan Mustermann Wer schützt unsere Kinder vor linkslastigen RAF-Sympathisanten oder Antifa-Anhängern im Lehrkörper? Wieso sollte man nicht auch Parteien verbieten, die wieder Wege zum Kommunismus suchen, die Mauer gut finden oder Diktatoren gratulieren?
774 (Profil gelöscht)
Gast
@Contra Die Mauer fanden nicht nur Linke gut.
774 (Profil gelöscht)
Gast
Die Polizei gegen rechtsextreme Gewalt. Das ist wie Benzin gegen Feuer. Polizei und Justiz waren im Dritten Reich die willfährigsten Helfer des Hitler-Regimes. Sagt mir einen Grund, weshalb es heute anders sein soll? Oder warum ließ man z. B. die NSU 13 Jahre lang unbehelligt morden?
UWB
@774 (Profil gelöscht) Vielen Dank für diesen "überlegten" Kommentar... Wer sonst als die Polizei soll bitte in einem demokratischen Staat extremistische Gewalt bekämpfen? Bürgerwehren, antirassistische Intiativen - oder doch besser die Armee? Ich bin es langsam leid, dieses ständige Auf und Ab, Schwarz und Weiß in Sachen NSU. Ja, VS und Polizei haben jahrelang neben der Realtität ermittelt, sind vielleicht sogar sehbehindert auf dem einen oder anderen (Hühner)auge. Aber worum geht's jetzt? Doch wohl darum, dass endlich eine Aufarbeitung der Lage, aber auch der Methodik stattfindet, Letztere unter Beteiligung zivilgesellschaftlicher Initiativen, um damit für die Zukunft BESSER zu werden. Stattdessen wird der übliche Hick-Hack unter dem Stichwort "war eh klar" geliefert. Unerträglich.
774 (Profil gelöscht)
Gast
@UWB Von oben herab. Das sind echt immer die besten.
gerstenmeyer
Gast
@774 (Profil gelöscht) ihre diffamierung der polizei gegenüber ist schon unverschämt,sorry !
774 (Profil gelöscht)
Gast
@gerstenmeyer Nein ich diffamiere nicht. Das darf schließlich nur die Polizei.
Diogenes
Gast
@774 (Profil gelöscht) Naja. Polizei untersteht halt dem "Regime". Wer soll sonst Verbrechen aufklären? Miss Marple allein kann das nicht schaffen.
774 (Profil gelöscht)
Gast
@Diogenes Die Polizei untersteht dem Regime? Irgendwo habe ich mal gelesen, bei der Polizei wären 40% rechtsradikal, obwohl wir doch gar kein rechtsradikales Regime mehr haben. Oder war damit die CDU gemeint?
johnny
Gast
Warum legt die Stiftung die Informationen nicht offen, wenn's doch Beweise gibt? Oder ist das reine Kaffeesatzleserei?
Kritiker
Gast
@johnny Wieso sollte die Stiftung das offenlegen? Es ist doch bekannt, dass sie mit Stasi-Spitzeln zusammenarbeitet. So braucht man keine Beweise und wenn ich denke, dass es genau auch diese "Stiftung" ist, die hinter jedem Busch "Rechte" sieht, sollte man eher die Stiftung austrocknen.
Popel
Gast
das ist doch alles noch nicht erwiesen, und schon liegen rote Rosen auf dem Bild der taz. Was soll diese unkritische haltung?
Emil
Gast
Kurz vor der Arbeitnehmerfreizügigkeit muß die Propagandamaschinerie noch mal hochgefahren werden.
Sind wir nur froh daß bei Jonny K. und in Kirchweyhe kein rechter Hintergrund besteht. Wenigstens das.
Gast
Gast
Natürlich ist jeder Toter einer zuviel. Vor Mutmaßungen sollten aber erst einmal die Fakten stehen. Alles andere sind "Voruteile" zur Bestätigung der eigenen Weltsicht.
Stellen Sie sich einmal vor, man wollte alle Morde seit 1990 mit islamischen Hintergrund (der Täter) untersuchen. Das wäre politisch unkorrekt, rassistisch und überhaupt gegen die Integration. Gäbe es nie, weil unerwünscht. Die Zahl wäre wohl auch erschreckend.
Rechte Morde sind zu verurteilen, Ehren- und sonstige religiös motivierte Morde ebenso. Rechte und religiös motivierte Morde haben eines gemeinsam: Den Glauben an eine einzig richtige Ideologie. Da ist jeder Toter eine® zuviel.
Kritiker
Gast
@Gast Die Stiftung hat ja wohl nie die Morde der Linken incl. Stasi verurteilt. Das zeigt schon, wo diese "Stiftung" steht. Eine Kevin-Wiegand-Stiftung gibt es z.B.nicht
Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit
Gast
Bei IM "Victoria" alias Anetta Kahane und den Kämpfer_Innen gegen "Rechts" sind die Gelder wohl wieder knapp. Jetzt gibt es vermeintlich wieder genug aufzuklären. Von irgendetwas muss die Dame, die laut ihres MfS Führungsoffiziers "...bereits beim zweiten Treffen ehrlich und zuverlässig berichtet und auch Personen belastet habe" ja auch leben.
Bestimmt wird jetzt alles wieder gut. Danke Anetta.
Kritiker
Gast
@Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit Bei dieser personellen und idellen Verbindung sollte man die Stiftung wirklich links liegenlassen.