Anzeige wegen Interview zu 219a: Neue Eskalationsstufe
Die Bedrohung nimmt zu: Wegen eines Interviews zum Thema Schwangerschaftsabbruch ist die Ärztin Alicia Baier angezeigt worden.
Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs geriet in den vergangenen Jahren vor allem deshalb in die Schlagzeilen, weil Ärzt:innen seinetwegen angezeigt wurden, die auf ihren Webseiten über ihre Leistungen beim Schwangerschaftsabbruch informieren. Er verbietet es zum Beispiel, öffentlich zu machen, ob und wie Ärzt:innen Abbrüche vornehmen – „ihres Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise“. Erst im Mai wurde wieder ein Gynäkologe deshalb veurteilt.
Nun ist eine Ärztin wegen des Paragrafen angezeigt worden – weil sie öffentlich über das Thema Schwangerschaftsabbruch gesprochen hat. Bereits vor einem Jahr gab die Ärztin Alicia Baier dem feministischen Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung ein Interview über „self-managed abortion“, konkret über medikamentöse Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch. Diese sind für Frauen schonender und können vor allem selbständig durchgeführt werden.
Baier, 30, ist Mitbegründerin und Vorstandsmitglied von Doctors for Choice Germany, einem deutschlandweiten Netzwerk von Mediziner:innen, das sich für einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität und Familienplanung einsetzt. Im Interview kritisiert Baier etwa die restriktive Gesetzeslage in Deutschland sowie Probleme, die Frauen aus dieser Situation heraus erwachsen. „Medikamentöse Abbrüche“, fordert Baier im Interview, „sollten selbstverständlicher Teil der Gesundheitsversorgung sein.“
Im Januar 2021 bekommt Baier Post von der Staatsanwaltschaft. Sie ist wegen Paragraf 219a angezeigt – weil sie darüber gesprochen hat. „Damit ist eine neue Eskalationsstufe erreicht“, sagt Baier. „Menschen, die sich im Bereich reproduktiver Rechte engagieren, sollen mundtot gemacht werden.“ Das Verfahren selbst wird einige Monate später zwar eingestellt. Die Staatsanwaltschaft sieht keinen ausreichenden Anlass zur Erhebung einer öffentlichen Klage.
Betroffene Berufsgruppen
Baier beruhigt das nicht. „Diesmal habe ich Glück gehabt“, sagt sie und fragt: „Aber was bedeutet diese Bedrohung für mich und andere Ärzt:innen und Aktivist:innen?“ Wie frei diese in der Öffentlichkeit noch sprechen könnten, ohne eine Anzeige befürchten zu müssen, sei unklar. Welche Berufsgruppen sonst noch angezeigt werden könnten – Journalist:innen etwa –, sei ebenfalls offen.
Der Paragraf gilt schließlich nicht nur für Ärzt:innen. Auch der katholische Bischof Georg Bätzing war schon einmal wegen Paragraf 219a angezeigt. Auf der Beratungsseite des Bistums Limburg war darüber informiert worden, dass für einen Abbruch ein Beratungsschein nötig ist. Diese Formulierung, heißt es noch immer etwa auf der Seite katholisches.info, wolle „schwangere Mütter animieren, ihr Kind straffrei ermorden zu lassen“. Auch die Anzeige gegen Bätzing wurde eingestellt.
Angezeigt wurde Baier nicht wie sonst üblich von einem der beiden Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen oder Yannic Hendricks, von denen Letzterer die Anzeigen als sein „Hobby“ bezeichnet – sondern von Andreas Düren. Düren, ein Fotograf aus Augsburg, engagiert sich seit Jahren gegen Frauenrechte. 2019 gründete er zusammen mit seiner Frau den christlich-fundamentalistischen, als gemeinnützig anerkannten Verein „sundaysforlife“.
Bedrohungslage sei „immens“
Dessen Ziel ist es, „aufzudecken, was Abtreibung dem ungeborenen Kind und der Frau antut“, steht auf der Vereinswebseite. Die „Abtreibungsindustrie entmenschlicht ungeborene Kinder“. Diejenigen, die derlei Unwahrheiten verbreiten, würden geduldet, kritisiert Baier – aber wahrheitsgemäß über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren ist in Deutschland verboten. Sie fordert dringend „mehr Schutz vor Angriffen aus dem rechten beziehungsweise christlich-fundamentalistischen Lager“.
Die Bedrohungslage durch den Paragrafen 219a sei „immens“, sagt auch Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Bundestag, zu Baiers Fall. Schauws fodert die ersatzlose Streichung des Paragrafen. Eine Alternative, um Rechtssicherheit herzustellen und ungewollt Schwangeren die Informationen zu geben, die sie brauchen, „gibt es nicht“.
Die beiden Ärztinnen Kristina Hänel und Bettina Gaber haben bereits Beschwerde gegen den Paragrafen 219a beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Je nach Ausgang der Sondierungen gäbe es – etwa mit einer Ampelkoalition – möglicherweise auch in der kommenden Legislatur gute Chancen, den Paragrafen endlich zu streichen.
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