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Antizionistischer AngriffBar unter Beschuss

Seit Monaten wird das Bajszel von antizionistischen Aktivisten angegriffen. Am Wochenende gab es einen Brandanschlag.

Spuren des Brandanschlags auf die Bar in der Emserstraße Foto: Jonathan Guggenberger

Berlin taz | Emserstraße, Berlin-Neukölln. Hier liegt das Bajszel. Bar und Veranstaltungsort. Genauer: Es liegt am Kirsten-Heisig-Platz. Benannt ist der nach der gleichnamigen Jugendrichterin, die entschlossen gegen jugendliche Gewalttäter vorging und sich 2010 das Leben nahm.

Bei einem Ortstermin vergangene Woche verlässt ein Feuerwehrauto die Einfahrt zur nahen Wache. „Gebrannt hat es bisher noch nicht“, sagt Alexander Carstiuc. „Aber als Feind sind wir markiert.“ Das war vor der Nacht von Samstag auf Sonntag. Inzwischen hat es gebrannt. Unbekannte warfen einen Brandsatz auf die Frontscheibe des Lokals und verklebten die Türe. In der Bar hielt sich noch eine Mitarbeiterin auf.

Carstiuc ist einer der drei Betreiber des Bajszel. Schon kurz nach dem 7. Oktober seien sie ins Visier antizionistischer Aktivisten geraten, sagt er. Vor dem Brandanschlag durch Farbattacken auf das Lokal und Hamas-Graffiti. Alles, weil sie hier regelmäßig antisemitismuskritische Veranstaltungen abhielten.

Noch immer sind die Graffiti an den Hauswänden zu erkennen. In plakativem Rot leuchten sie von den gelben Wänden wie Menetekel. Unverkennbare Drohungen sind es: Die roten Dreiecke, mit denen die Hamas feindliche Ziele für zukünftige Angriffe markiert. „Glory to Al Qassam“ steht darunter geschrieben. Die Qassam-Brigaden sind Teil der islamistischen Hamas. Sie sind für die Massaker am 7. Oktober verantwortlich.

Farbattacken mit rotem Dreieck der Hamas

Attacken wie diese sind keine Einzelfälle. Unlängst ist das rote Dreieck der Hamas zum gängigen Symbol anonymer Angriffe auf jüdische, antisemitismuskritische oder als zionistisch identifizierte Personen und Einrichtungen geworden. Auf Clubs wie das About Blank, Zeitungen wie den Tagesspiegel und jüngst auch auf Kultursenator Joe Chialo (CDU).

Wer dahinter steckt? Ob es sich um koordinierte Aktionen handelt? Das ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Alexander Carstiuc aber hat die Angreifer schon zweimal gesehen. Auf der Flucht habe er sie erkannt: „Junge Frauen, Hipster-Milieu“, sagt er.

Bereits am 20. Oktober war es zu Störungen von Veranstaltungen gekommen. Auslöser sei das Thema gewesen: die sogenannte Nakba, die Vertreibung von Palästinensern infolge des Unabhängigkeitskriegs im Jahr 1948.

Seit Mai finden Farbattacken gegen das Bajszel statt

Kurz nach den Störungen seien es wieder „junge, hippe Leute“ gewesen, die ins Bajszel gestürmt kamen und die dort aufgehängten Plakate israelischer Geiseln von den Wänden rissen. Mitte Mai fingen dann die Farbattacken an und das Beschmieren der Außenwände mit den terroristischen Feindmarkierungen.

„Eine Radikalisierung der propalästinensischen Bewegung“ sieht Alexander Carstiuc als Grund dafür. Ausschließen kann er allerdings nicht, dass es sich bei den Angreifern auch um Islamisten handele, die sich in Neukölln organisieren.

Einschüchtern lassen wollen sich Alexander, Andrea und Xandi, das Betreibertrio, trotzdem nicht. Sie kennen sich schon seit Jahren, haben zusammen Bars und Politik gemacht. Erfahren sind sie im Umgang mit Störern.

Gäste unterstützen die Be­trei­be­r*in­nen

Dieses Mal scheint es aber ernster zu sein. Zur Sicherheit stehen sie mit der Polizei im Austausch. Auch mit dem Bezirksamt und der Nachbarschaft. Am meisten aber verlassen sie sich auf ihre „engagierten Gäste“. Die würden beim „Überstreichen helfen und uns schützen“, wie das Trio einhellig sagt.

Aus Solidarität hat sich vor wenigen Tagen auch ein breites Bündnis aufgestellt. Aufgerufen hatte die Gesellschaft für kritische Bildung. Gefolgt waren zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Deutsch-Israelische Gesellschaft und Frauen für Freiheit.

Neben Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) und Frauenrechtlerin Seyran Ates finden sich auf der Unterstützerliste auch linke Organisationen wie die Königlich-Bayrische Antifa. Was sie eint: Sie alle wissen, dass der Angriff aufs Bajszel auch ihnen gilt.

Und der Brandanschlag in der Nacht zum Sonntag? „Wir werten das als Mordversuch“, sagt Alexander Carstiuc.

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19 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Schlimm genug, dass in anderen Teilen der Welt überhaupt Kriege herrschen.

    Dass sich so manches Idiotentum mit solchen Aktionen den Krieg dann im Prinzip vor die Haustür holt, ist einfach nur bekloppt!

  • Sorry, aber spätestens beim Herunterreißen der Plakate mit den Geiselfotos muß klar sein: Das sind antisemitische Angriffe, nicht „bloß“ antizionistische!

    • @Saile:

      Da stimme ich Ihnen zu.



      Aber im Nachtrag zu Ihrer Kritik an meinem Beitrag zu "Nicht mehr grün hinter den Ohren" muss ich Sie auf @UNSUWE verweisen (wegen der zu Militaristen Verkommenen...).

  • Wir waren heute etwa 300 Personen bei der Kundgebung um 19 Uhr vor dem Bajszel.

    Die Polizei sieht keinen Zusammenhang zwischen den Feindmarkierungen und dem Brandanschlag. Der Brandanschlag wird auch nur Sachbeschädigung von der Polizei bewertet. Aber die Blindenbinde bei unserer Polizei ist ja nichts Neues.

    Solidarität mit dem Bajszel!

    • @Gesunder Menschenverstand:

      ich dachte immer, brandstiftung (brandanschlag), sei ein schwerverbrechen

  • Last Minute Aufruf!

    Um 19:00 Uhr findet heute eine Solidaritätsdemonstration vor dem Bajszel statt.

    Emser Straße 8/9 Berlin Neukölln.

    Gegen jeden Antisemitismus!

    • 6G
      611245 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Passt auf euch auf! Bin leider in B-W.



      Free Gaza-From Hamas!

  • 6G
    611245 (Profil gelöscht)

    Leider nichts neues. Kunzelmann et al lassen grüßen.



    Die unheilvolle Melange der letzten zehn, fünfzehn Jahre aus Postkolonialismus, critical whiteness und wie diese ganzen postmodernen Tellekt-Uell-In Richtungen alle heisen zusammen mit der Massen-Migration aus antisemitisch geprägten Gesellschaften schafft nun „die Tat zum Gedanken“.

    Juden wurden und werden von Hochschullehrerinnen als „weiss“ und „Kolonialisten“ gelabelt.



    Da man ihrer in Israel noch nicht recht habhaft werden kann, müssen eben solange noch andere Staaten herhalten.



    Erinnert sich noch jemand an Mumbai? Oder Brüssel?

    Nennenswerte Gegendemos zu den „free palestine“ Islamisten finden mangels Masse sowie aufgrund realer Gefahr für Leib und Leben nicht statt.

    Ersatzweise gibts ja die AntiAfD Demos. Oder CSDs. Da passiert nix, gibt Party und man hat ein gutes Gefühl.

    • @611245 (Profil gelöscht):

      Danke, Sie sprechen mir aus der Seele!

    • @611245 (Profil gelöscht):

      ihrer empörung kann ich verstehen.

      die falschen gegensätze. die Sie konstruieren (stichwort AntiAfD Demos und CSDs), verstehe ich nicht.

      den populistischen und falschen verknüpfungen, die sie mit ihrer migrationsfeindlichen rhetorik unternehmen, finde ich ekelhaft.

    • @611245 (Profil gelöscht):

      Haben sie sich überhaupt mal mit den Dingen wie Postkolonialismus beschäftigt um von einigen auf alle zu schließen zu können? Wohl kaum. Und was ist an an Demos gegen die AfD oder an Spaß am CSD auszusetzen?

      • @Andreas J:

        Naja, es schon eine gewisse Ironie dass auf fast allen Pro-Palästina-Demos gesagt wird, dass die Juden/Israel eine Kolonialmacht im nahen Osten sind.

        www.zum-leben.de/a...hen-kolonialismus/

        www.lpb-bw.de/geschichte-palaestinas

        Dabei ist es genau anders herum. Die Juden haben schon immer in der Region gelebt. Schon vor der islamischen/arabischen Eroberungsfeldzüge.

        Und ich denke mit dem letzten Absatz soll zum Ausdruck gebracht werden, dass man nicht so sehr auf dem CSD gefährdet ist, wie auf einer Gegendemo zu Pro-Palästine.

        • @Pawelko:

          Also, Herr Pawelko, ich muss mich doch sehr wundern! Hier geht es um einen widerlichen antizionistischen Angriff mutmaßlich pro-palästinensischer Aktivisten gegen politische Gegner.



          Und Sie haben hier nichts besseres zu tun, als zionistisch-revisionistische Propaganda zu betreiben? Was leitet sich denn aus der jahrtausendealten Anwesenheit von Juden in Palästina ab (die im übrigen niemand bestreitet)? Etwa die Annexion des WJL und Gazas und die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung von dort, wie es das Programm der regierenden israelischen Parteien ist?



          An Ihrer Stelle würde ich mir schwer Gedanken machen, wie noch ein irgendwie gedeihliches Zusammenleben, Gewaltfreiheit, Meinungsfreiheit und politischer Dialog in unserer Bundeshauptstadt gewährleistet werden können. Darum geht’s. Aber Sie gießen wohl lieber Öl ins Feuer.



          Wenn schon Ideologiekritik, dann richtig und nach allen Seiten. Wäre ich Berliner, würde ich übrigens zusammen mit @Jim Hawkins und @Gesunder Menschenverstand solidarisch vor dem Bajszel stehen.

  • Eine Bekannte hat das Bajszel als feindlichen Ort (literally "enemy territory") bezeichnet, das war das letzte Treffen das wir zwei hatten.

    Dass sie nicht bereit war zu differenzieren, zu sehen, dass es durchaus politische Widersacher, oder andere Meinungsträger geben kann, ohne dass diese direkt Feinde sein müssen, war für sie nicht vermittelbar. Dass die Betroffenenperspektive von jenen die gerade den größten, mörderischen, exterminatorischen Genozid seit der Shoa erfahren haben eine Perspektive ist die gehört werden muss! Dieser Punkt wurde übergangen, stattdessen der Genozid den die Hamas & Bevölkerungsgruppen aus Gaza am 7. Oktober durchgeführt haben negiert, geleugnet und relativiert (less people died!).

    Dabei ist sie nicht einmal eine sehr politische Person gewesen, aber in ihrem spezifischen (anglo) Künstler*innen, Student*innen und Sozialarbeiter*innen Umfeld war ihre Meinung quasi hegemonial, jüdische Menschen die sich nicht explizit öffentlich distanzierten waren aus ihrem Freund*innenkreis ausgeschlossen worden, denn auf der Geburtstagsfeier auf der wir uns sahen, waren diese sogar gar nicht eingeladen worden und ich konsequenterweise auf die nächste ebenfalls nicht.

  • "...Plakate israelischer Geiseln von den Wänden rissen."

    Warum triggert die Palästina-Bewegung so sehr die Plakate der Geiseln? Weltweit auf Palästina-Demos werden Menschen attackiert, die ein Foto der Geiseln hochhalten. Auch an deutschen Universitäten.

    Ich meine, Kritik an Israel kann ich zumindest irgendwie noch verstehen auch wenn ich das anders sehe. Aber woher der Hass auf die unschuldigen Geiseln?

    Sollten sich in dem Punkt nicht einmal alle einig sein?

    • @Pawelko:

      Der verfolgte Narrativ ist letztlich der von der Gesamtschuld des israelischen Volkes für die Unterdrückung der Palästinenser, gegen die sich die Hamas nur wehrt - auch wenn das hierzulande nicht mehr so offen gesagt wird wie unmittelbar nach dem 7. Oktober. Die Bilder der Geiseln stellen für die Anhänger dieses Narrativs eine Umkehr der so definierten und für sie zentralen Täter-Opfer-Rollen dar. Also müssen sie weg.

  • Linker Antisemitismus in Reinform. "Wehret den Anfängen" ist mittlerweile zu spät. Ich hoffe, man kriegt die Gangster.

  • Alerta! Antifaschisten seid wachsam vor diesen vermeindlichen Freiheitskämpfern!

  • Ich wünsche Alexander, Andrea und Xandi viel Glück und Solidarität!!!