Antiziganismus im Alltag: Ganz plötzlich kein Zimmer frei
Kelly Laubinger von der Sinti-Union bucht für einen gastierenden Autor ein Zimmer. Das Hotel storniert – wegen ihres Namens. Nun geht sie vor Gericht.
Mit dem Hotelier Thomas Hildebrandt an einem Tisch zu sitzen, sei kein gutes Gefühl gewesen, berichtet Laubinger von dem Schlichtungsgespräch. Ihre Forderungen, darunter eine öffentliche Entschuldigung und ein Antidiskriminierungstraining für ihn selbst und seine Mitarbeiter:innen, habe er abgelehnt. Aus Sicht des Hoteliers stellte sich die Szene anders dar: „Bei dem Gespräch war sie zu keinem Dialog bereit. Selbst als ich auf ihre Forderungen weitgehend eingehen wollte, lehnte sie ab“, schreibt er auf taz-Anfrage.
Der Teufel liegt im Detail
Es sind die Details, über die sich beide Seiten nicht einigen können. So verlangte Laubinger ein Anti-Rassismus-Seminar für das ganze Team, Hildebrandt schlug vor, alleine daran teilzunehmen, „da 60 Prozent meiner Mitarbeiter die deutsche Sprache schlecht bis gar nicht sprechen“. Eine Entschädigung wollte er an eine örtliche „Brennpunktschule mit über 30 Nationen, auch mit Sinti- und Roma-Kindern“ zahlen. Überhaupt sei er „seit 25 Jahren durch meinen Rotary-Club engagiert in Burkina Faso“. Daher sei es „erniedrigend“, so der Hotelier, wenn er und sein Team als „Rassisten und Nazis beschimpft“ würden.
Sie selbst habe ihn nie so genannt, betont Laubinger. Doch für sie ist Hildebrandts Verweis auf das Engagement im Ausland eher ein Zeichen dafür, dass der Mann nicht verstanden habe, worin die Diskriminierung bestand. Denn die Sinti sind eben nicht „ausländisch“: Die Minderheit ist seit über 600 Jahren in Schleswig-Holstein ansässig und genießt seit 2012 Verfassungsrang, so wie die dänische und die friesische Minderheit. Dennoch werde „unterstellt, wir seien nicht deutsch genug oder nicht gut integriert“, sagt Laubinger, deren Verein sich dafür einsetzt, die Minderheit sichtbarer zu machen.
Beim Mediations-Gespräch und auch gegenüber Medien hatte Hildebrandt die damalige Entscheidung bedauert und von einem Missverständnis gesprochen. Laubinger hätte ihn anrufen und die Sache klären können, sagt er. Kelly Laubinger schüttelt den Kopf: Die Ablehnung sei so deutlich gewesen, dass sie keine Basis für ein Gespräch gesehen habe: „Das Zimmer stand plötzlich nicht mehr zur Verfügung, als ich explizit im Namen der Sinti Union SH buchen wollte.“ Für die Enkelin von Holocaust-Überlebenden war diese harsche Abfuhr „ein Stich ins Familien-Trauma“.
Im vergangenen Oktober sollte der Berliner Autor Max Czollek in Neumünster im Rahmen einer „antirassistischen Lesereihe“ aus seinem Buch „Versöhnungstheater“ lesen. Auf der Suche nach einem Zimmer war Laubinger auf Hildebrandts Hotel gestoßen, das sozusagen um die Ecke liegt. „Gäste können zu Fuß gehen – ideal auch für zukünftige Veranstaltungen“, sagt sie. Online reservierte sie ein Zimmer und bekam eine Zusage. Als sie die bestätigte, erhielt sie eine Mail, die die taz einsehen konnte: „Leider darf ich Ihnen kein Zimmer vermieten, da wir mit der Familie Laubinger leider schlechte Erfahrungen gemacht haben“, schreibt eine Mitarbeiterin des Hauses. Das doppelte „leider“ lässt ahnen, dass sie selbst nicht froh darüber war.
„Maximal schlechte Kommunikation“
Heute bedauere er die Absage „aus tiefstem Herzen“, sagt Hotelier Hildebrandt. Die Kommunikation im eigenen Haus sei „maximal schlecht gelaufen“. Mit Sinti habe er den Namen „Laubinger“ – der in der Minderheit ähnlich weit verbreitet ist wie „Müller“ oder „Meier“ in der deutschen Mehrheitsgesellschaft – nicht in Zusammenhang gebracht.
Doch warum genau er nicht an eine Laubinger vermieten wollte, bleibt vage. Der Lokalzeitung Holsteiner Courier sagte Hildebrandt, Gäste dieses Namens hätten früher einmal nicht bezahlt. Dem Fernsehsender Sat 1 sagte er dagegen, ein Laubinger habe ein Zimmer „verwüstet“. Auf die Frage der taz nach diesem Widerspruch antwortet der Hotelier unbestimmt, es habe „vor einigen Jahren in unserem ersten Hotel einen sehr unangenehmen Vorfall mit dem Namen Laubinger gegeben“. Deswegen habe er abgelehnt, obwohl nicht einmal eine Person namens Laubinger hätte übernachten sollen. „Menschen machen Fehler, auch ich“, schreibt er.
Nachdem Laubinger den Fall bekannt gemacht hatte, gab es zahlreiche Reaktionen – positive wie negative. Hildebrandt spricht von „Hass und Hetze“, die ihn getroffen hätten: „Das wird dem Vorfall nicht gerecht.“
Kelly Laubinger nimmt es gelassen: „Ich kriege bestimmt mehr Hass-Kommentare als er“, sagt die Verbands-Geschäftsführerin. Aber sie erhielt auch Zuspruch, darunter von Politiker:innen wie der EU-Abgeordneten Delara Burkhardt (SPD).
Kommt es zu einem Verfahren, ist es für sie bereits der zweite Prozess, mit dem sie gegen Diskriminierung vorgeht. In einem ersten Verfahren hatte sie gegen einen Fitnessstudio-Besitzer geklagt, der sie wegen ihres Namens nicht aufnehmen wollte. Das Gericht gab ihr recht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“