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Antisemitismus und RassismusWenn Moral zum Werkzeug wird

Rechte passen ihre Meinungen gerne so an, dass die Argumentation passt. Marginalisierte Gruppen werden auf diese Art oft gegeneinander ausgespielt.

Antisemitische Schmierereien an den Hauswänden im 14. Arrondissement von Paris Ende Oktober Foto: Julien Mattia/Le Pictorium/imago

O ft werde ich gefragt, wen ich eigentlich mit diesem „Wir“ meine, das sich durch meine Texte zieht. Sehr treffend haben es Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah im Vorwort zum Sammelband „Eure Heimat ist unser Albtraum“ beschrieben:

„Nicht die Herausgeber_innen und Autor_innen dieses Buchs entscheiden, wo das „Wir“ endet und das „Ihr“ beginnt. Sondern jede_r Leser_in bestimmt für sich selbst: Will ich in einer Gesellschaft leben, die sich an völkischen Idealen sowie rassistischen, antisemitischen, sexistischen, heteronormativen und transfeindlichen Strukturen orientiert? Oder möchte ich Teil einer Gesellschaft sein, in der jedes Individuum, ob Schwarz und/oder jüdisch und/oder muslimisch und/oder Frau und/oder queer und/oder nicht-binär und/oder arm und/oder mit Behinderung, gleichberechtigt ist?“

Marginalisierte Gruppen werden ständig gegeneinander ausgespielt: Es gibt Leute, die belächeln beispielsweise Safer Spaces für Frauen. Doch wenn es darum geht, Argumente gegen die Selbstbestimmung von trans Frauen zu finden, werden Safe Spaces plötzlich wieder interessant.

Marginalisierte gegeneinander ausgespielt

Zugänglichkeit und Inklusion von Behinderten ist für diese Menschen nur dann relevant, wenn nach einem Argument gegen gendergerechte Sprache gesucht wird. Das Sicherheitsgefühl von Frauen im öffentlichen Raum wird erst dann angesprochen, wenn nach einem Grund dafür gesucht wird, obdachlose Menschen aus den Parks zu vertreiben.

Und auf die Situation von Obdachlosen, Altersarmut oder medizinische Unterversorgung wird genau dann aufmerksam gemacht, wenn Steuergelder in die Hand genommen werden sollen, um die Situation Geflüchteter zu verbessern.

Rechte und Konservative, die sonst eigentlich davon sprechen, dass man es mit der Erinnerung an die Shoa und dem Antisemitismus-Thema nicht übertreiben solle, interessieren sich auf einmal für die Sicherheit von Jüdinnen und Juden, wenn ihnen das ermöglicht, so gegen Muslime hetzen zu können.

Mein „Wir“ bleibt davon meist unbeeindruckt. Nicht nur, weil hier mit Unwahrheiten und Vorurteilen gespielt wird, um die Behauptung aufzustellen, eine marginalisierte Gruppe sei eine Gefahr für die andere. Diese Konkurrenz ist ein „Ihr“-Problem, denn wir haben den Anspruch, möglichst alle mitzudenken, Menschen als Individuen wahrzunehmen und nicht als Gruppen abzuwerten. Wir tun das, um gemeinsam an der gerechteren Gesellschaft zu arbeiten.

Antisemitismus nicht mit Rassismus bekämpfen

Je besser die Zeiten, desto einfacher ist das. Je sicherer ich mich fühle, desto besser kann ich auf andere achtgeben. Doch wenn ich das Gefühl habe, selbst mit meinem Schmerz und meiner Angst kein Gehör zu finden, dann fällt es mir schwer, anderen zuzuhören. Deshalb schreibe ich hier etwas, das eigentlich klar sein sollte:

Antisemitismus lässt sich nicht mit Rassismus bekämpfen. Wir müssen aufstehen gegen die Verschärfung des Asylrechts und des Staatsbürgerschaftsrechts. Wir müssen uns gegen antimuslimische Stimmungsmache und Gewalt wehren.

Und außerdem gilt: Die eigene Rassismuserfahrung rechtfertigt keinen Antisemitismus und ist kein Grund dafür, Antisemitismus in Deutschland kleinzureden. Wir müssen antisemitischen Parolen laut widersprechen. Wir müssen uns schützend vor jüdische Einrichtungen stellen.

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Selbst aktiv werden und sich genauer positionieren. Bündnisse durchdenken und Anlässe suchen:



    gemeinsame Kämpfe gegen die Ausbeutung bei Amazon und nicht gegen Israel rumschreien. So wie bisher in den letzten 50 Jahren.

  • Frau Ayivi hat natürlich recht, wenn sie feststellt, dass Konservative und auch Rechte sich ihre Argumente situativ raussuchen. Nur daraus eine Kritik abzuleiten ist wohlfeil, denn umgekehrt auf linker Seite ist es kein bisschen anders. Da wird da aus dem Kopftuch gerne mal ein Symbol der Freiheit und Selbstbestimmung während sich nicht weniger absurd auf der anderen Seite die AfD auf einmal um Schwulenrechte sorgt, Nicht schön aber leider nun mal war.

    Und auch wenn sie es nicht wahrhaben will und fälschlicherweise als rechtes narrativ bezeichnet ist es einfach ein Fakt, dass marginalisierte Gruppen nicht per Se gut sind und sich sehr wohl gegenseitig gefährden können. Aktuell sieht man es doch ganz gut an den antisemitischen Ausschreitungen die mehrheitlich von einem arabisch-islamischen Milieu getragen werden. Das festzustellen heißt nicht einen autochthonen Antisemitismus zu verneinen, aber die Augen davor zu verschließen heißt das Problem nicht anzugehen und es letztlich den Rechten leicht zu machen. Auch Marginalisierte sind Menschen mit all ihren Fehlern.

  • Die Realität entsprechend der eigenen Agenda selektiv zu verarbeiten, ist natürlich einer ältesten Tricks im Buch der Demagogie. Aber mir wäre neu, dass das ein speziell "rechtes" Konzept sei. Das gibt es aus JEDER Richtung (ich hoffe ich trete jetzt nicht irgendwem furchtbar auf den Schlips, der tatsächlich in der Illusion lebt, linke Narrative seine immer stringent und alle Aspekte betrachtend...).

    Davon abgesehen sollte man - auch um der eigenen Diskursfähigkeit willen - differenzieren zwischen solcher zielgerichteten Rosinenpickerei und einer rhetorischen "Riposte", also einem Hinweis an die Gegenseite, dass sie sich gerade selbst widerspricht. Die ist aus meiner Sicht völlig legitim und kann regelmäßig auch prima GEGEN die Rechten eingesetzt werden.

  • Warum ignoriert der Kommentar, dass sich Jüdinnen*Juden sich von sogenannten "Progressiven" ausgeschlossen sehen? David Baddiel hat das sehr gut herausgearbeitet und die Erkenntnisse für UK gelten weitgehend auch für D.



    Das jüngste Beispiel ist der Antisemitismus von Fridays for Future International.



    taz.de/Buch-ueber-...mitismus/!5821171/

    • @Neville Longbottom:

      Checken Sie mal die sog. "Progressiven".

      Moderaten Linken stellen sich da die Nackenhaare auf.

  • An sich ein guter Kommentar. Das Einzige, das mir fehlt, ist, dass der Beitrag die (z.B.) innerfeministischen Zwischenbereiche nicht benennt. Es ist ja nicht so, als ob es innerfeministisch Einigkeit darüber gäbe, ob Trans*frauen 'richtige' Frauen seien. Man denke nur an die diversen Debatten zwischen Emma- und Missy-Feminist:innen. Das zeigt, dass es hier an sich kein einfaches wir/die gibt, weil die Trennungslinien doch noch komplizierter verlaufen. Es zeigt mMn. auch, dass die Einleitung von Aydemir und Yaghoobifarah zu kurz greift, wenn sie das "wir" nur auf eine subjektive, individuelle Verortung verkürzt. Aktivismus ist eben auch ein Gruppenthema.

  • Danke dafür.

    Rechte Hetze ernährt sich derzeit hauptsächlich von Polarisierung. Hungern wir sie aus.