Diskriminierung durch Ableismus: Es kann jede Person treffen
Spätestens im Alter sind wir alle auf Barrierefreiheit, Außenfahrstühle und leichte Sprache angewiesen. Trotzdem wird wenig gegen Ableismus getan.
Ich sitze bei Freunden auf der Dachterrasse. Was es Neues gibt? Der Eigentümer überlegt jetzt, einen Fahrstuhl anzubauen. Das würde zwar an den Mieten in diesem Fall nichts ändern. Trotzdem gefällt der Vorschlag überhaupt nicht: Ein Außenfahrstuhl an einem Altbau, das gilt als peinliches Symbol der Gentrifizierung. Hässlich und außerdem: Treppensteigen passt doch? Das muss man doch schaffen! Irgendwer kennt wen, der mit 85 noch problemlos in seine Bude im Vierten gekommen ist.
Thema erledigt. Einen Winter und eine Covid-Erkrankung später sind wir wieder verabredet. Ich freue mich, aber mein Körper eher weniger. Ich quäle mich von Stufe zu Stufe. Mein Kopf ist heiß, meine Brust zieht sich zusammen. Atemnot. Ich beginne zu schwitzen. Mir prägen sich die Schmerzen ein, aber auch die Scham: Auf der Treppe zusammenzubrechen und nicht mehr aufstehen zu können, das ist die eine Angst.
Die andere ist, dass mich jemand so sieht. Es wäre nicht das erste Treppenhaus, in dem Fremde oder Vertraute sich über meine plötzliche „Unsportlichkeit“ lustig machen. Warum tun sich so viele – auch diejenigen, die sonst großen Wert auf Antidiskriminierung legen – so schwer, wenn es um Ableismus geht?
Ableismus ist eine Form der Diskriminierung, von der jede Person plötzlich betroffen sein kann. Spätestens im Alter! Und überhaupt: Niemand ist immer voll leistungsfähig (was auch immer „Leistung“ alles sein mag). Außerdem profitieren auch Nichtbehinderte von Maßnahmen zur Barrierefreiheit. Aufzüge, Reduktion von Lärm, Rückzugsmöglichkeiten, Bildbeschreibungen, leichte Sprache oder Untertitel kommen ganz verschiedenen Menschen in unterschiedlichen Situationen zugute. Im Kulturbereich haben Künstler*innen und Publikum viele Verbesserungen der Behinderten- und chronisch Kranken Bewegung zu verdanken.
Es braucht strukturelle Veränderung
Und trotzdem: Ob in Kultur, Bildung oder Aktivismus – zu viele sind beim Thema ängstlich, abwehrend oder zu bequem. Vielleicht, weil hier kein schneller Effekt für ein diskriminierungssensibles Image zu erzielen ist. Vorurteile und die sogenannten „Barrieren in den Köpfen“ abzubauen, das ist nur ein Teil. In Zugänglichkeit und Barrierefreiheit muss auch konkret investiert werden. Am deutlichsten zu sehen ist das bei architektonischen Anforderungen.
Im Bereich Antirassismus kommt man mit symbolischen Aktionen leichter davon. Ein Workshop wurde gemacht und ein Statement gegen Rassismus auf die Website gepackt. Aber ein Schild, das sagt: „Wir sind gegen Behindertenfeindlichkeit, alle sind herzlich willkommen!“ über der Treppe zum Eingang ist offensichtlich unglaubwürdig.
Wie in allen Bereichen der Öffnung braucht es strukturelle Veränderungen. Der Gedanke, in noch einem Bereich mehr geben zu müssen, kann besonders Künstler*innen und Einrichtungen mit wenig Ressourcen überfordern.
Was hilft, ist, voneinander zu lernen, gegenseitige Unterstützung und Wohlwollen. Das Zugeständnis an mich selbst, nicht immer sofort perfekt sein zu müssen, hat mir den Kulturbetrieb zugänglicher gemacht.
Leser*innenkommentare
Budzylein
Barrierefreiheit spielt nicht nur innerhalb von Wohnhäusern eine Rolle, sondern auch für die Zurücklegung von Wegen außerhalb derselben. Leider erwähnt der Artikel nicht die gerade in der taz immer wieder zu lesenden Forderungen nach Abschaffung des motorisierten Individualverkehrs zugunsten des Radfahrens, was als selbstverständlich voraussetzt, dass jeder, der nicht das Glück hat, dass sich seine Wohnung und seine Zielorte in der Nähe der Haltestellen des ÖPNV befinden, in der Lage ist, Wegstrecken von mehreren Kilometern mit dem Rad zurückzulegen. Wer einen Fahrstuhl braucht, um seine Wohnung zu erreichen, kann oft noch mit einem Auto fahren, aber nicht mehr mit einem Fahrrad.