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Antiobiotikaresistente KeimeBauern sind nur ein bisschen schuld

Ist die Tierhaltung die Hauptursache für gefährliche Krankheitserreger? Wissenschaftler des Bundesinstituts für Risikobewertung bezweifeln das.

Die Schweine können erst recht nichts für resistente Keime Bild: reuters

BERLIN taz | Für die meisten Deutschen ist die Sache klar: Krankheitserreger werden vor allem deswegen widerstandsfähig gegen Antibiotika, weil sie in der Tierhaltung mit massivem Einsatz der Medikamente bekämpft werden. Dieser Meinung sind 53 Prozent derjenigen, die von antibiotikaresistenten Bakterien gehört haben, 64 Prozent der Verbraucher beunruhigt das Thema. Das zeigt eine kürzlich veröffentlichte repräsentative Umfrage im Auftrag des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).

Sorgen wegen Antibiotikaresistenzen scheinen gerechtfertigt zu sein: Nach EU-Schätzungen sterben jährlich rund 25.000 Menschen in Europa infolge von Infektionen mit resistenten Erregern. Aber dass daran vor allem die Landwirtschaft schuld ist? So klar ist der Fall nicht.

Für Infektionen beim Menschen seien ausgerechnet die bekanntesten Erreger – die aus dem Stall stammenden Varianten der Methicillin-resistenten Staphylococcus-aureus-, kurz: MRSA-Keime – „derzeit von untergeordneter Bedeutung“, schreiben Wissenschaftler des BfR nach der Auswertung verschiedener Studien. „Nachweise dieses Keims beim Menschen machen in Deutschland weniger als 5 Prozent aller nachgewiesenen und typisierten MRSA aus.“ Genanalysen zufolge stammten 95 Prozent aus der Humanmedizin.

Betroffen seien nicht in erster Linie normale Verbraucher. So gebe es „kaum Hinweise, dass MRSA über Lebensmittel auf den Menschen übertragen werden“. Am häufigsten kämen die Erreger bei Landwirten und Tierärzten vor, die bei ihrer Arbeit mit ihnen in Kontakt kommen. Aber diese vom Tier stammenden MRSA ließen sich fast immer mit anderen Wirkstoffen bekämpfen, so das BfR.

Gefährlicher seien Bakterien, die „ESBL“ genannte Enzyme bilden und Antibiotika der „Cephalosporine“-Gruppe der 3. und 4. Generation zerstören – denn diese Medikamente seien „wichtig für die Therapie zahlreicher Infektionen“. Zudem könnten ESBL-Keime ihre Resistenzeigenschaften untereinander austauschen, so dass möglicherweise noch krankmachendere Bakterien entstehen.

Wie wichtig ist die Rolle von Tieren für die Keime?

Dass Tiere „als Quelle für solche Keime bzw. die Resistenzgene eine Rolle spielen“, ist für das BfR klar. Nur wie wichtig diese Rolle ist, könne bisher nicht sicher festgestellt werden.

Das BfR ist dem CSU-geführten Bundeslandwirtschaftsministerium unterstellt, das oft die Interessen der Branche vertritt. Aber auch andere Wissenschaftler wie Michael Kresken von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie sagen: „Für uns als Humanmediziner ist die Schlussfolgerung wichtig: Wir dürfen nicht pauschal auf die Landwirtschaft einprügeln, sondern müssen erst einmal im eigenen Hause kehren.“ Viele Antibiotika-Verordnungen in Deutschland hält er für unnötig oder nicht gezielt genug. „Das heißt aber nicht, dass man mit dieser Hochleistungslandwirtschaft einfach so weitermachen kann. Es ist ein Gefahrenpotenzial da. Wir geben keine Entwarnung."

Selbst das BfR empfiehlt, dass Human- und Tiermediziner eine gemeinsame Strategie ausarbeiten. Die Tiergesundheit müsse erhöht werden, zum Beispiel indem robustere Rassen gezüchtet, die Ställe keimfreier und Tiere behandelt werden, die tatsächlich krank sind.

Vor allem der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) suggeriert aber seit Jahren, dass in erster Linie die Agrarindustrie mit ihrem massenhaften Antibiotika-Verbrauch für die Resistenzen verantwortlich sei. In einer Pressemitteilung vom 12. Januar über widerstandsfähige Keime in Putenfleisch aus Discountern etwa geht die Organnisation ausführlich auf die Ursache Landwirtschaft ein, ohne zu erwähnen, dass auch die Humanmedizin verantwortlich ist, teilweise sogar stärker als die Agrarbranche.

Ist es gerechtfertigt, den Fokus so stark auf die Landwirtschaft zu legen? Katrin Wenz, Antibiotika-Expertin des Verbands, meint: Ja. „Der BUND befasst sich intensiv mit den Folgen der industrialisierten Landwirtschaft", sagt sie der taz. "Das gehört zu unseren wichtigsten Themen.“

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15 Kommentare

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  • Falls jemand an einer der Originalpublikationen des BfR zum Thema interessiert ist:

     

    Hannah Sharp, Sharp H, Valentin L, Fischer J, Guerra B, Appel B, Käsbohrer A

    Abschätzung des Transfers von ESBL- bildenden Escherichia coli zum Menschen für Deutschland

    Berl Münch Tierärztl Wochenschr 127, 444–477 (2014)

    DOI 10.2374/0005-9344-127-444

    http://vetline.de/download/storage/282/5805

  • Meines Erachtens sollte jeder bei der Fehlersuche im System zunächst einmal bei sich selbst beginnen...

    Das fängt damit an, ob ich die Meinung des Arztes, der mir bei einer Erkältung Antibiotika verschreiben möchte, mal einfach in Frage stelle und selber über meinen Körper und was für ihn gut ist entscheide. Es darf auch mal NEIN gesagt werden - denn eines dürfte klar sein: Ärzte sind mittlerweile Unternehmer, die sich in Abhängigkeit der Pharmaindustrie stellen (müssen) und dementsprechend auch viel verschreiben...

    Es geth weiter bei der Frage, wie viel Fleisch und in welcher Qualität möchte ich es essen. Wer darauf achtet, dass sein Steak nicht in Massentierhaltung entstanden ist (und seinen Fleischkonsum einschränkt, da es sonst viel zu teuer wäre), der leistet schonmal einen ungeheuer großen Beitrag gegen die übertriebene Verabreichung von Antibiotika ind er Tierhaltung.

    Wenn sich alle Verbraucher und Patienten so entscheiden würden, hätten wir gar nicht mehr das Problem, uns über dieses Thema und wer Schuld daran trägt, dass sich multiresistente Keime gebildet haben, unterhalten zu müssen.

    Nur leider ist es immer einfacher der Politik, den Landwirten, den Aufsichtsbehörden, den Umweltverbänden oder den Ärzten Schuld zuzusprechen.

    Ich möchte noch ein Zitat von meinem Lieblingsmusiker Funny van Dannen hinzufügen: "Warum sind in Deutschland die Anderen Schuld, wenn man selbst zu doof ist zum Denken"?

    Die Macht, Mechanismen aufzubrechen, die falsch laufen in unserem hochgelobten kapitalistischen System, liegt letztendlich beim Verbraucher, ob es um Nahrung, Kleidung oder dem Erhalt unserer Umwelt geht...aber viele sind einfach zu bequem, um sich etwas mehr Mühe zu geben...leider!

  • Es wird höchste Zeit damit aufzuhören, noch fehlende wissenschaftliche Erkentnisse durch Ideologien, Aktionismus und Schuldzuweisungen zu kompensieren. Es sollte doch für unsere akademischen Kreise möglich sein, die Problematik wertneutral an einem Tisch zu diskutieren. Alles andere schadet dem Menschen und den Tieren.

    • @Krick Friederike:

      Alles andere schadet dem Profit....

    • @Krick Friederike:

      Akademische Kreise lassen sich gerne sehr gut bezahlen, nur, um das Rad dann doch nicht neu zu erfinden. Diskutiert wurde genug und Forschungsregebnisse liegen seit Jahrzehnten auf dem Tisch.

       

      Entweder man setzt nun in die Tat um, was man weiß, oder man diskutiert in 50 Jahren immer noch.

       

      Fleischkonsum rationieren! Jetzt! Streng!

      • @Dudel Karl:

        Da wurde ich wohl gründlich missverstanden. Mit Fleischkonsum streng rationieren lässt sich Problem ja eben nicht lösen. Human- und Verrinärmedizin gehören an einen Tisch. Und die NGOs sollten mit ihrer Panikmache aufhören. Dann könnte es etwas werden.

  • Die Ursache für Antibiotikaresistenz liegt wohl ehr darin, dass Ärzte bei simplen Erkrankungen von uns Menschen immer noch massenhaft Antibiotika verschreiben ... irgendwas haben da diese 53% nicht mitbekommen!? ;)

  • Liebe/r Mowgli!

     

    Nirgends steht, dass 5% aller Todesfälle auf landwirtschafts-assoziierte Keime zurückzuführen sind. Mit "unter 5%" sind tatsächliche Infektionen gemeint, also weder Besiedlung noch Todesfälle. In Deutschland ist ein einziger Todesfall im Zusammenhang mit LA-MRSA sicher nachgewiesen (bei einem zweiten fall ist es noch nicht ganz sicher) und in Dänemark sind in den letzten Jahren fünf Patienten verstorben, die mit LA-MRSA infiziert, gleichzeitig aber durch andere Krankheiten stark immungeschwächt waren.

     

    Ganz sicher jedoch ist, dass die multiresistenten Keime ursprünglich vom Menschen auf das Tier übertragen wurden und sich dort weiterentwickelt haben (zu MRSA CC 398). Die "Verwandschaftsverhältnisse" und Abstammungslinien lassen sich zweifelsfrei nachweisen.

     

    Auch dem BfR "Lobby-Interessen" zu unterstellen, geht an der Realität weltweiter wissenschaftlicher Forschung völlig vorbei. Führend in Deutschland ist auf dem Gebiet z. B. MedVetStaph, ein Forschungsverbund aus Veterinär- und Humanmedizinern, in dem auch das BfR vertreten ist. Neben Fachleuten des Robert-Koch-Instituts, des Bundesamtes für Verbraucherschutz und einiger anderer unabhängiger Institutionen.

  • Zitat: "Katrin Wenz, Antibiotika-Expertin des Verbands, meint: Ja. „Der BUND befasst sich intensiv mit den Folgen der industrialisierten Landwirtschaft", sagt sie der taz. "Das gehört zu unseren wichtigsten Themen.“"

     

    Das glaube ich gerne: In Deutschland leben rund 80 Mill. Menschen, davon arbeiten rund 645.000 in der Landwirtschaft - das sind weniger als 1 Prozent. Der Rest kennt Landwirtschaft nur aus Bilderbüchern und ekeligen Peta-Videos im Fernsehen. Rund 80 Prozent der Deutschen leben zudem in Städten - eigene Anschauung vom Landleben gibt es allenfalls im Urlaub. Da haben NGOs und Parteien ein leichtes Spiel, auf Basis von Unwissen Angst und Ablehnung zu schüren. Mit Aufklärung hat das schon lange nichts mehr zu tun: Hier geht es darum, Spenden einzutreiben (moderner Ablasshandel) und Wähler bei der Stange zu halten. Warum kümmern sich der BUND, Greenpeace, die Grünen und Co nicht mehr um das Tempolimit auf Autobahnen (CO2 einsparen!) oder die Gefahren der inzwischen allgegenwertigen Handystrahlung? Weil es marketingtechnisch nicht funktioniert, die Hetze gegen die Bauern aber, die funzt!

    • @Susanne Günther:

      Ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang Sie jetzt von den Beschäftigten in der Landwirtschaft reden?

      Dem BUND geht es letztendlich schließlich nicht nur um die Gesundheit der Verbraucher, sondern auch die der Tiere. Auch ist der BUND bestimmt ziemlich weit davon entfernt gegen "die Bauern" zu hetzen. Nicht jeder Bauer betreibt schließlich industrielle Massentierhaltung. Aber für Sie scheint es da keine Unterschiede und keine Alternativen zu geben.

  • So leicht ist es also, die deutsche Öffentlichkeit in den Schlaf zu singen: Ein paar noch wenig bekannte Fachbegriffe, etwas gezielte Fakten-Verwirrung - schon will niemand, der glaubt, er hätte was zu melden, sich noch dabei erwischen lassen, dass er öffentlich von A auf B schließt. Könnte ja sein, man blamiert sich mit seinem Un- bzw. Halbwissen.

     

    Aber was hat Jost Maurin eigentlich geschrieben in seinem Text? Er hat geschrieben, dass:

     

    1. nur 5% aller Todesfälle unmittelbar auf resistente Keime zurückgehen, die aus Presse, Funk und Fernsehen bereits bekannt sind und direkt aus Ställen stammen

    2. die Stall-Keime zwar gegen eine bestimmte Penicillin-Art (Methicillin) resistent sind, mit anderen Antibiotika aber durchaus behandelt werden können

    3. die übrigen Todesfälle (95%) auf bislang nicht durch alle Zeitungen gejagte Keime aus der Humanmedizin zurückgehen

    4. diese Keime Enzyme bilden, die nicht nur Methicillin zerstören, sondern eine ganze Gruppe von Antibiotika

    5. die „Killer-Keime“ ihre Resistenzeigenschaften untereinander austauschen können

     

    Aha. Und wo steht, dass sich die besonders gefährlichen Keime (Nr. 3) nicht aus den nicht ganz so tödlichen (Nr. 1) entwickelt haben – und weiter entwickeln? Nirgends. Was mich nicht wundert. In diesem Land geht es ja schließlich nie um die Ursachen von oder die Verantwortung für etwas. Es geht immer nur darum, dass gewisse Leuten eine Chance bekommen, ihr „Profil zu schärfen“.

     

    Und nun? Wer ist denn nun verantwortlich dafür, dass jedes Jahr 25.000 Europäer an resistenten Erregern sterben? (Zum Vergleich: 2010 gab es europaweit ganze 17.675 Verkehrstote.) Offensichtlich niemand. Und welches Risiko besteht in Zukunft? Offenbar keins. Zumindest nach Ansicht des BfR, das dem Bundeslandwirtschaftsministerium untersteht, welches die Interessen der deutschen Landwirtschaft zu vertreten hat.

     

    Wie war das noch mal mit dem Bock und dem Gärtner?

    • @mowgli:

      Das BfR ist in seinen Bewertungen laut Gesetz unabhängig ("Fachliche Unabhängigkeit:

      Damit die Bewertungen unbeeinflusst von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen erfolgen können, ist das Institut nach Maßgabe des Gründungsgesetzes bei seinen Bewertungen unabhängig.").

      Solche bösartigen Unterstellungen sollten Sie sein lassen. Das BfR hat - im Gegensatz zum BUND o.a. - einen ausgewogenen Bericht vorgelegt, wo die Probleme auf beiden Seiten klar benannt sind. Sind sie evtl. Humanmediziner und fühlen sich jetzt auf den Schlips getreten? Schauen Sie doch mal in die Niederlande - ein Vorbild, was Krankenhaushygiene und Antibiotikamanagement betrifft.

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @Andrea Rahn-Farr:

        Da glaubt wohl jemand noch ans Christkind!

  • Der BUND ist nunmal für den Naturschutz, ob nun Tierschutz oder auch Lebensmittel zuständig. Das "massenhafte fressen von Pillen" gehört aber nicht unbedingt zur Kompetenz des BUNDes.

     

    Das wäre so als würde man einen Biologen darum bitten einem die Prostata zu untersuchen. Beides gehört zum selben Gebiet Biologie, allerdings sollte man sich dann nicht beschweren, wenn er über Bakterien schwafelt, statt über Krankheiten.

     

    Wenn der BUND ein "Fachfremdes" Thema wie Humanmedikamente aufgreift, dann ist klar, dass da wenig Kompetenz dahinter stecken kann, bzw. nur an deren Ende. Schön wäre es, wenn der BUND dann externe Kompetenzen dazuholen würde. Aber verpflichtet ist er dazu nicht. Der leser sollte sich dann aber auch im klaren sein, dass er Einseitig informiert wird.

  • Der BUND sollte sich vor der "Der Wahrheitsgehalt interessiert nicht solange die Nachricht gefällt"-Mentalität lieber schnell entfernen, auch wenn sowas kurzfristig super funktioniert ist der langfristige Glaubwürdigkeitsverlust immens. Und damit würde der BUND sich und seiner Sache einen Bärendienst erweisen.