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Anti-Terror-Maßnahmen der USAKampf mit offenem Ende

Gastkommentar von Josef Alkatout

20 Jahre nach 9/11 dauert der präventive Krieg gegen den Terror an. Orient und Okzident treiben auseinander. Dabei können sie nur gemeinsam gewinnen.

George W. Bush hält eine Rede nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Foto: ZUMA Wire/imago

B ereits in der Antike begann mit dem Austausch von Regeln zwischen verfeindeten Völkern die Verrechtlichung internationaler Politik. Seitdem wird das Geflecht aus Freundschaftsverträgen und multilateralen Abkommen immer enger durch und um die Weltgemeinschaft gesponnen. Die Idee dahinter war immer: Je mehr sich die Nationen der Erde untereinander abstimmen, desto weniger bekämpfen sie sich.

Im 20. Jahrhundert gelang mit der Kodifizierung der in bewaffneten Konflikten anwendbaren Schutzvorschriften ein weiterer großer Wurf. Westliche Diplomaten erreichten, dass jedes Land der Welt die Genfer Konventionen unterschrieb. Seitdem setzen diese dem bis dahin als unregulierbar, weil unmenschlich angesehenen Kriegsgeschehen Grenzen.

Völkerrechtliche Verträge decken freilich nicht jeden regulierungswürdigen Bereich ab. Dort, wo sie bestehen, werden sie zudem nicht immer redlich eingehalten. Und doch haben sie einen nicht zu unterschätzenden Anteil daran, dass die Menschheit, langfristig betrachtet, immer friedlicher miteinander umgeht. Auf unserer Welt eines unnatürlichen Todes zu sterben wird mit jedem Jahr weniger wahrscheinlich.

Dieses System von multilateraler Abhängigkeit und Kooperation begünstigt vor allem westliche Staaten, deren politische Bestrebungen Landesgrenzen überschreiten und deren Streitkräfte in entlegenen Erdteilen unsere Interessen schützen sollen. Auch der geregelte Zugang zu internationalen Handelswegen dient vor allem den euro­atlantischen Konzernen. Unser sozialer Friede und Wohlstand hängen somit vom Vertrauen ab, das Länder sich entgegenbringen.

Misstrauen gegenüber der muslimischen Welt

Aus abendländischer Sicht haben die Anschläge des 11. September 2001, die knapp 3.000 Todesopfer forderten, das Vertrauen in die muslimische Welt getrübt. Viele Muslime halten das Terrorattentat ihrerseits für einen von Privatpersonen ausgeführten Mordüberfall. Auch rechtlich ist die Einordnung nicht eindeutig: Handelte es sich um den Auftakt zu einem bewaffneten Konflikt zwischen Afghanistan als Gaststaat al-Qaidas und den USA? Oder um die terroristische Antwort auf ruchlose Operationen amerikanischer Streitkräfte im Orient?

Bild: privat
Josef Alkatout

ist Rechts­anwalt in Genf und New York sowie Dozent für inter­nationales Strafrecht an verschiedenen Universitäten. Zuletzt erschien von ihm: „Ohne Prozess. Die Entrechtung unserer Feinde im Kampf gegen den Terror.“

Ungeachtet der unklaren Ausgangslage läuteten die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten nach den New Yorker Anschlägen jedenfalls ihren Kampf gegen den Terror ein, der bis heute andauert. Seitdem gelten die einst von uns selbst in die Welt gebrachten Verpflichtungen des Kriegsvölkerrechts und der außerhalb von Gefechtszonen gültige menschenrechtliche Schutz für den Feind praktisch nicht mehr.

So wurden nach dem 11. September zahlreiche Menschen entführt und in von westlichen Geheimdiensten betriebenen Geheimgefängnissen gefoltert. Auch der jahrzehntelange, ohne strafrechtliches Urteil angeordnete Freiheitsentzug auf der amerikanischen ­Marinebasis Guantánamo Bay erscheint bedenklich. US-Präsident Joe Biden hat zwar, wie vor ihm Barack Obama, versprochen, das Lager zu schließen.

Dies wird der US-Kongress jedoch weiterhin zu verhindern wissen; und so wird das über 800 Jahre alte Recht eines Menschen, einen Richter über seine Inhaftierung befinden zu lassen, ausgerechnet vom Westen ignoriert. Letztlich empfinden die knapp zwei Milliarden Muslime die großflächig ausgeführten Angriffe bewaffneter Drohnen als willkürlich.

Die Geschosse aus den unbemannten Flugobjekten, für die seit diesem Jahr das Weiße Haus direkt verantwortlich zeichnet, stellen für die meisten Bewohner den einzigen Kontakt mit dem Abendland dar. Dies kann nicht in unserem Interesse sein. Gemäß der für ihre Informationsarbeit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Nichtregierungsorganisation IPPNW fielen den Militäreinsätzen, die den Terror besiegen sollen, allein in den ersten zehn Jahren über eine Million Menschen zum Opfer.

Der Westen bricht die eigenen Regeln

Laut dem Whistleblower Edward Snowden möchten Staatenlenker denn auch vor allem eines: Sich gegen die Anschuldigung wappnen, sie blieben tatenlos: „Unsere Politiker haben mehr Angst vor […] dem Vorwurf, sie nähmen den Terror nicht ernst genug, als vor dem Verbrechen selbst.“ Obgleich die oben genannten kriegsregulierenden Abkommen nach Ende der Feindseligkeiten eine rasche Rückkehr zur Normalität vorgeben, sieht sich der Westen weiterhin im Ausnahmezustand.

Daran ändert auch der Abzug amerikanischer Kampftruppen aus Afghanistan wenig. In Guantánamo festgehaltene Verdächtige bleiben weiterhin „Kriegsgefangene“ für die Ewigkeit, während ihre Glaubensbrüder in Afrika sowie im Nahen und Mittleren Osten zum Abschuss durch Drohnen freigegeben werden. So entwickelt sich die Auseinandersetzung mit dem Terror zum präventiven Verteidigungskampf ohne Ende und ohne geografische Einschränkung.

Diese Verklärung althergebrachter Konventionen ist nicht nur Wasser auf den Mühlen derjenigen, die einen Keil zwischen Orient und Okzident treiben möchten. Sie birgt ebenfalls die Gefahr eines Dammbruchs, der auch anderen Staaten die Möglichkeit bietet, das Recht ihren Interessen „anzupassen“, da es die USA, die am längsten bestehende Demokratie der Welt, schließlich selbst tun.

Vor mehr als zwei Jahrtausenden warnte der römische Politiker und Philosoph Cicero vor fehlender Rücksichtnahme und Respektlosigkeit gegenüber fremden Völkern. Ein solches Verhalten schade der Gerechtigkeit und höhle letztlich die eigene Gesellschaft aus. Aus heutiger Sicht ließe sich ergänzen, dass es in einer globalisierten Welt keine fernen Völker, sondern nur noch unterschiedlich weit entfernte Nachbarn gibt. Und auf die sind wir angewiesen. Denn ohne den Zuspruch der Muslime wird der Kampf gegen den Terror nicht zu gewinnen sein.

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1 Kommentar

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  • Den letzten Absatz kann ich gut unterschreiben. Nur eines stört mich: Ich werde hier, wie alle übrigen Leser*innen, als „der Westen“ angesprochen, weil ich nun mal in Deutschland lebe. Selbst noch die taz, in der Josef Alkatuot seine Gedanken veröffentlicht hat, erscheint als Teil diese (Zwangs-)Gemeinschaft. Damit tappt der Autor in genau die Falle, die „westliche“ Repräsentanten aufgestellt haben.

    „Unsere Politiker“ haben ja nicht umsonst „mehr Angst vor […] dem Vorwurf, sie nähmen den Terror nicht ernst genug, als vor dem Verbrechen selbst“. Sie sind Menschen wie wir. Menschen mit Problemen. Menschen, die oft genug an sich selbst zweifeln. Im Fall von Politikern bedeuten Selbst-Zweifel halt vor allem Zweifel an der Fähigkeit, im Namen anderer richtig zu entscheiden. Sie haben vermutlich permanent Angst davor, ihre Zweifel bestätigt zu bekommen. Deshalb die Überreaktion. Die soll vorbeugen.

    So jemanden entscheiden zu lassen, auch über Menschen, die solche Probleme nicht im selben Umfang haben, ist immer und überall riskant. Im Westen, im Osten, im Süden, im Norden und auch „in der Mitte“, in der sich jede Gemeinschaft naturgemäß selber verortet. Würden die Menschen das verstehen, wären sie einander näher. Nur gibt es ohne Verstand kein Verstehen. Und um den Verstand gebracht ist ein Mensch leicht.