Anti-TTIP-Demo in Berlin: Riesige Menge gegen sperrige Kürzel
Es war die größte Demonstration seit dem Irak-Krieg: Bis zu 250.000 Menschen gehen gegen TTIP auf die Straße – und wehren sich gegen Diffamierungen.

Damit hat Berlin am Samstag die größte Demonstration seit über zwölf Jahren erlebt. Selbst die politisch erfolgreiche Anti-Atom-Bewegung mobilisierte an einem Ort niemals mehr als halb so viele Menschen, wie jetzt in Berlin gegen die umstrittenen Freihandelsabkommen demonstriert haben. Eine größere Kundgebung gab es zuletzt am 15. Februar 2003, als schätzungsweise eine halbe Million Menschen gegen den Irak-Krieg auf die Straße gingen.
Dass so viele Menschen gegen die eher sperrigen Kürzel demonstrieren, liegt daran, dass die Handelsabkommen viele Lebensbereiche berühren und sich daher ein ungewöhnlich breites Bündnis zusammengetan hat. Dass ein solches hinter der Veranstaltung steht, wird zwar bei fast jeder Demonstration behauptet; im Fall von TTIP und Ceta ist es aber ausnahmsweise mal wahr.
Aufgerufen haben der Deutsche Gewerkschaftsbund und – wichtig für die konkrete Moblisierung – sämtliche seiner Mitgliedsgewerkschaften. Daneben alle großen Umweltverbände, viele Entwicklungs- und Verbraucherorganisationen, Sozialverbände, aber auch Organisationen wie der deutsche Kulturrat. „Hier demonstrieren Unternehmer zusammen mit Gewerkschaftern, Linksradikale mit CSU-Kommunalpolitikern, Milchbauern mit Veganern“, rief Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz zum Beginn der Abschlusskundgebung. „In dieser Vielfalt werden wir TTIP und Ceta besiegen.“
Gegen TTIP oder für ein besseres Abkommen
Alle RednerInnen äußerten deutliche Kritik an den geplanten Abkommen, weil es die Macht von Konzernen stärke und die Demokratie aushöhle. Im Detail waren jedoch durchaus Unterschiede wahrzunehmen. So sprach sich der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann zwar klar gegen „Geheimdiplomatie“ und private Schiedsgerichte aus, lobte aber auch, dass sich die EU-Kommission bereits bewegt habe: „Ohne unseren Druck, ohne unseren Protest, wäre gar nichts passiert.“ Die SPD-Politikerin Gesine Schwan erntete Pfiffe für ihre Aussage, sie wolle die TTIP-Verhandlungen nicht abbrechen, sondern für ein besseres Abkommen kämpfen.
Auch die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung sowie die rechten Parteien AfD und NPD hatten ihre Mitglieder zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen. Zu sehen war davon aber nicht viel. Augenzeugen berichten von einzelnen Menschen mit AfD-Plakaten. Die NPD trat nicht öffentlich in Erscheinung, wohl aber die zur rechtsextremen Szene gehörende „Identitäre Bewegung“. Deren Mitglieder wurden aber laut Augenzeugenberichten nach kurzer Zeit aus der Demo gedrängt.
Mit einem eigenen Lautsprecherwagen dabei waren hingegen Vertreter der neuen Montagsdemonstrationen, die wegen rechter und verschwörungstheoretischer Positionen in der Kritik stehen; die Friedensbewergung hatte die Zusammenarbeit darum eingestellt. Plakate, auf denen die USA kritisiert wurden, waren auch an vielen anderen Stellen in der Demonstration zu sehen. (mk)
In anderen Reden wurde klar gegen die Abkommen plädiert. „Stoppen Sie TTIP und Ceta, sonst können Sie Ihre Kulturhoheit in der Pfeife rauchen“, rief Kulturrats-Präsident Prof. Christian Höppner an die Adresse der Bundesländer gerichtet. „Diese Abkommen haben nicht eine fairen Handel zum Ziel, sondern dienen ausschließlich kurzfristigen Gewinninteressen von Konzernen“, erklärte BUND-Chef Hubert Weiger. Auch für Attac-Vertreter Roland Süß war klar: „Der heutige Tag zeigt: TTIP ist in Deutschland nicht durchsetzbar“, sagte er. „Die Bundesregierung muss endlich die Reißleine ziehen und die Verhandlungen der EU-Kommission stoppen.“
Panikmache, Antiamerikanismus?
Vertreter der Bundesregierung, aber auch Wirtschaftsorganisationen wie der BDI und Medien wie Spiegel Online hatten im Vorfeld versucht, die Demonstranten als schlecht informiert dazustellen und ihnen Panikmache oder Antiamerikanismus vorgeworfen. Das sorgte in Berlin für große Empörung. „TTIP zu kritisieren heißt nicht, antiamerikanisch zu sein“, sagte Ben Beachy von der US-Umweltorganisation Sierra Club. An die Adresse von SPD-Chef Sigmar Gabriel, der am Samstag ganzseitige Zeitungsanzeigen geschaltet hatte (“Bangemachen gilt nicht!“) sagte Weiger: „Herr Gabriel muss niemanden von einem Irrweg abhalten. Die Menschen, die hier sind, sind des Lesens mächtig.“
Mit großer Wut in der Stimme sprach auch der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Ulrich Schneider. „Ich habe selten erlebt, dass ein so großes Bündnis so übel diffamiert wurde“, rief er. Der auf Spiegel Online geäußerte Vorwurf, die Demonstranten arbeiteten mit Rechtsextremen zusammen, sei „unerträglich“, sagte Schneider: „Mit Braunen und Rechten und Rassisten haben wir nichts zu tun.“
Genützt hat die Kritik im Vorfeld aber ohnehin nichts, wie die gewaltige Beteiligung an der Demonstration zeigt. Dementsprechend positiv fiel am Ende auch die Bilanz des Trägerkreises aus: „Heute ist ein großer Tag für die Demokratie.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Treffen in Riad
Russland und USA beschnuppern sich vorsichtig