Anti-Abschiebeaktivist über Ehrung: „Uns geht es nicht um Integration“
Mohammed Jouni kämpft mit anderen jungen Geflüchteten gegen Abschiebung. Am Montag bekommt er dafür das Bundesverdienstkreuz – und wundert sich.
taz: Herr Jouni, freuen Sie sich über die Auszeichnung?
Mohammed Jouni: Ich freue mich, und gleichzeitig sträubt sich auch etwas in mir.
Warum?
Wenn man unter anderem dafür ausgezeichnet wird, dass die diskriminierenden und rassistischen Strukturen in Deutschland es nicht geschafft haben, einen zu brechen: Was sagt das denn über das Versprechen der Chancengleichheit, der Bildungsgerechtigkeit in diesem Land aus? Wenn es so wäre, dass hier alle gleich partizipieren können, dann bräuchte es eine solche Ehrung nicht.
36, kam 1998 mit 12 Jahren ohne Familie aus dem Libanon nach Berlin. Er machte 2006 Abitur und studierte nach einer Ausbildung zum Krankenpfleger erst zwei Jahre Medizin und dann Sozialarbeit an der Alice-Salomon-Hochschule.
Sie sind 1998 mit 12 Jahren als Geflüchteter ohne Ihre Familie aus dem Libanon gekommen und heute Sozialarbeiter und Mitgründer einer Selbstorganisation junger Geflüchteter. Sind Sie nicht stolz?
Ich freue mich über die Auszeichnung, das soll keine falsche Bescheidenheit sein. Bescheidenheit ist ja auch kein Wert, mit dem man in dieser superkapitalistischen Gesellschaft weiterkommt, die einem immer beibringt, man müsse der Größte, der Klügste, der Schönste, der Selbstbewussteste sein. Aber ich habe mit dem Wort Stolz Schwierigkeiten, zum einen, weil in der Erziehung in meiner Familie Bescheidenheit ein wichtiger Wert war, zum anderen, weil ich dabei sofort an Nationalstolz denke: Stolz auf etwas, für das man gar nichts kann. Ich bin schon stolz darauf, dass ich als Erster in meiner Familie Abitur gemacht und studiert habe. Ich weiß, dass ich oft Glück gehabt habe. Aber ich habe auch Chancen ergriffen, wenn sie sich mir boten. Mir wurde als Geflüchtetem hier nichts geschenkt.
Sie bekommen die Auszeichnung auch für Ihre politische Arbeit mit der Selbstorganisation Jugendliche ohne Grenzen (JoG), die sich für ein Bleiberecht für alle und menschenwürdige Behandlung Geflüchteter einsetzt.
Es ist ja fast ein bisschen absurd, Menschen zu ehren, die dieser Gesellschaft den Spiegel vorhalten, darauf hinweisen, was hier schiefläuft – und mit dieser Politik dann trotzdem weiterzumachen. Ich lebe seit 23 Jahren in einem Staat, der abschiebt, der strukturelle und institutionelle Rassismen reproduziert, der Menschen in Lagern unterbringt, der geflüchtete Kinder gesondert beschult – und der jetzt Menschen ehrt, die sich dagegen einsetzen. Ich denke: Hört doch einfach damit auf, Flucht zu illegalisieren und Geflüchtete zu kriminalisieren. Wenn ihr wirklich eure europäischen Werte leben würdet, bräuchten wir solche Ehrungen nicht.
Sie bekommen diese Ehrung auch dafür, dass JoG tatsächlich politisch gewirkt hat: etwa bei der Altfallregelung, die ab 2007 vielen lange hier lebenden Geflüchteten aus dem Duldungsstatus zu besseren Aufenthaltsgenehmigungen verhalf.
Wenn uns, als wir 2004/2005 mit JOG angefangen haben und politisch etwas verändern wollten, jemand gesagt hätte, dass wir tatsächlich etwas erreichen würden, hätten wir das wohl als Träumerei abgetan. Ich glaube, das war damals wirklich revolutionär, dass betroffene Jugendliche sich für ihre eigenen Rechte eingesetzt haben. Dass wir daran mitwirken konnten, dass so viele Tausende zu ihrem Recht kamen, hierzubleiben, das war schon toll und hat uns motiviert, weiter für unser eigentliches Ziel, ein Bleiberecht für alle, einzustehen.
JoG 2004 gründete Mohammed Jouni mit anderen jungen Geflüchteten die Selbstorganisation Jugendliche ohne Grenzen (JoG). Die bundesweite Initiative setzt sich für Bleiberecht, Menschen- und Kinderrechte ein und wählt regelmäßig den „Abschiebeminister des Jahres“. Gemeinsam veröffentlichten JoG-Mitglieder 2018 das Buch „Zwischen Barrieren, Träumen und Selbstorganisation. Erfahrungen junger Geflüchteter“ im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht.
BBZ Das Beratungs- und Betreuungszentrum BBZ in der Turmstraße in Moabit unterstützt junge Geflüchtete seit 1994. Seit 2016 arbeitet Mohammed Jouni beim BBZ als Sozialarbeiter.
Die Ehrung Am heutigen Montag bekommt Jouni von Elke Breitenbach, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, im Auftrag des Bundespräsidenten die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, erste der acht Stufen des sogenannten Bundesverdienstkreuzes, überreicht. (akw)
Woher hatten Sie damals den Mut, JoG zu gründen?
Wir, meine Mitstreiter:innen und ich, brauchten damals einen Raum, um unsere Erfahrungen auszutauschen, um zu verstehen, dass wir keine Einzelkämpfer, nicht schuld an unserer Lage sind. Dass es nicht unser Schicksal ist, benachteiligt und diskriminiert zu werden, dass das nicht normal ist, sondern dahinter politische Entscheidungen stehen. Dass an uns nichts falsch ist. Den Raum hatten wir im BBZ …
… einer Beratungseinrichtung für junge Geflüchtete in Moabit, wo Sie jetzt selbst als Sozialarbeiter tätig sind.
Genau. Deshalb war mein erster Gedanke, als ich den Brief mit der Ankündigung der Ehrung geöffnet habe, dass die eigentlich Walid Chahrour gebührt, dem Leiter des BBZ. Er hat uns unterstützt und motiviert, uns gezeigt, dass wir nicht alleine sind, dass wir uns zusammentun müssen.
Wie ging das?
Hier habe ich zum ersten Mal in meinem Leben offen darüber gesprochen, wie es ist, in einem Heim zu leben, wo es stinkt, wo es laut ist, wo die Polizei früh morgens kommt und Leute abholt, die schreien und weinen. Das war viel zu schambehaftet, um mit Freund:innen darüber zu reden. Aber hier war das normal, die anderen Jugendlichen hatten die gleichen Erfahrungen. Und plötzlich war es auch normal, in Utopien zu denken, sich zu sagen: Ich habe als Subjekt das Recht, mir einen guten Job zu wünschen, eine schöne Wohnung, ein gutes Leben, anständige Behandlung.
Das klingt nach der guten alten Integration.
Nein! Im BBZ habe ich auch begriffen, dass das Ziel eben nicht Integration heißt. Ich muss mich nicht in eine rassistisch strukturierte Gesellschaft einfügen, sie akzeptieren und reproduzieren. Uns ging und geht es nicht darum, „integrierte“, gut ausgebildete, brauchbare Jugendliche zu werden, sondern darum, dass alle Menschen, die hier leben, ein Bleiberecht bekommen – egal, ob sie für diese kapitalistische Gesellschaft brauchbar oder ob sie alt oder krank sind oder kein Deutsch können, weil sie jahrelang in Lagern gelebt haben. Deshalb bleiben wir auch dran. Ich verstehe diese Auszeichnung als eine für uns alle. Deshalb habe ich sie auch nicht abgelehnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen