Anpassung des Mindestlohns: Es muss in Richtung 14 Euro gehen
Unter der hohen Inflation leidet vor allem der Niedriglohnsektor, die soziale Spaltung wächst. Es braucht eine deutliche Anpassung des Mindestlohns.
B eschäftigte im Niedriglohnsektor leiden derzeit in besonderem Maße unter den hohen Inflationsraten. Sie müssen einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie ausgeben und verlieren damit mehr als alle anderen an Kaufkraft. Das verschärft die soziale Ungleichheit in Deutschland.
Zwar wurde im Oktober 2022 eine bereits seit Längerem beschlossene außerordentliche Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde wirksam. Knapp 6 Millionen Beschäftigte konnten davon profitieren. Mittlerweile ist dieser Mindestlohnzuwachs jedoch durch die anhaltend hohen Preissteigerungsraten wieder weitgehend zunichte gemacht worden. Wenn die Mindestlohnkommission nun Ende Juni ihre Empfehlung für eine weitere Erhöhung des Mindestlohns ausspricht, wird es vor allem darum gehen, die Kaufkraft der Niedriglohnempfänger zu sichern.
Kriterien ernstnehmen
Berücksichtigt man dabei nur die prognostizierten Inflationsraten für die Jahre 2023 und 2024 von zusammen etwa 9 Prozent, so müsste der Mindestlohn in jeden Fall über 13 Euro ansteigen. Sollen darüber hinaus auch die angesichts einer Inflationsrate von knapp 7 Prozent hohen Kaufkraftverluste des Jahres 2022 ausgeglichen werden, so müsste sich der Mindestlohn schon deutlich auf die 14-Euro-Marke zubewegen.
Laut „Richtlinie für angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union“ soll ein angemessener Mindestlohn nicht unter 60 Prozent des jeweiligen nationalen Medianlohns von Vollzeitbeschäftigten liegen. Dafür wäre aktuell sogar ein Mindestlohn von etwa 13,50 Euro nötig. Nimmt man die Kriterien ernst, so kann die Entwicklung nur in Richtung 14 Euro gehen. Eine entsprechende Anpassung kann in mehreren Schritten vollzogen werden. Eine deutliche Erhöhung wäre für viele Niedriglohnbranchen auch eine Chance, dem zunehmenden Arbeitskräftemangel zu begegnen. Schon heute werben große Lebensmitteldiscounter wie Aldi und Lidl auf Plakatwänden mit einem Einstiegslohn von 14 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen