Annalena Baerbock zum Klimaschutz: Sind Sie die Letzte Generation?
Zum ersten Mal fährt Annalena Baerbock als Außenministerin zur Klimakonferenz. Ein Gespräch über die Frage, was wir dem Globalen Süden schulden.
wochentaz: Frau Baerbock, sind Sie Teil der letzten Generation?
Annalena Baerbock: Wenn Sie die Protestbewegung meinen, offensichtlich nicht.
Sie haben selbst immer wieder betont, dass Sie die letzte Generation sind, nämlich die, die das noch verhindern kann.
Was denn sonst … Die Menschen, die politische Verantwortung tragen, wir alle als Gesellschaft entscheiden zentral darüber mit, wie Kinder, die so alt sind wie meine Töchter, groß werden.
ist 41 Jahre alt und Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland. Von 2018 bis 2022 war sie Vorsitzende von Bündnis90/Die Grünen.
Was ist dann schlimmer: die Unbewohnbarkeit einer Insel oder Schaden an einem Gemälde?
Ich halte von diesen Gegensätzen gar nichts. Ich war gerade auf einer solchen Insel im Inselstaat Palau, wo Menschen Sorge haben, in den nächsten zehn Jahren ihr Zuhause zu verlieren. Sehr viel Schlimmeres gibt es wohl kaum. Aber was hat ein Gemälde damit zu tun?
Die Gruppe Letzte Generation klebt sich nicht nur an Bilderrahmen, sondern auch auf Straßen fest. Wann kleben Sie sich auf die Straße?
Ist das ernsthaft Ihre Frage an die deutsche Außenministerin?
Würde sich die Bürgerin Annalena Baerbock, die sieht, wie dramatisch der Klimawandel ist, auf die Straße kleben?
Ich bin Bürgerin dieses Landes: Nein.
Beeinflussen diese Proteste Ihre Klimapolitik?
2018 saß Greta Thunberg zum ersten Mal mit einem Pappschild vor dem schwedischen Parlament. Ein Jahr später sprach sie in der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Ich finde es mehr als bemerkenswert, wie eine Schülerin und die darauf folgende globale Jugendbewegung Fridays for Future Veränderungen vorangebracht hat. Als ich 2015 als klimapolitische Sprecherin der grünen Fraktion zur Pariser Klimakonferenz gereist bin, wurden diejenigen, die wie ich den Kohleausstieg gefordert haben, noch belächelt. Heute habe ich als deutsche Außenministerin den Kohleausstieg 2030 mit im Gepäck zur COP. Das zeigt, wie wichtig der Regierungswechsel in Deutschland – und ja, auch die Klimabewegung – war und ist.
Aber wie glaubwürdig ist das denn, wenn man aus einem Land kommt, in dem der Klimaexpertenrat gerade gesagt hat, hier werde das für 2030 gesetzte Ziel wohl kaum erreicht?
Die Fehler der Vergangenheit können wir nicht rückgängig machen, das gilt für die Klimapolitik genauso wie für die Russlandpolitik. Wir bezahlen die von der Groko vertagte Energiewende mit einem sehr teuren Preis: mit unserer Abhängigkeit von Russland und einer noch größeren Lücke zu unseren Klimazielen. Deswegen haben wir als neue Regierung vor einem knappen Jahr das Ruder übernommen und sofort herumgerissen, den Ausbau der Erneuerbaren massiv beschleunigt und eine radikale Klimawende eingeleitet.
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Ihrer Formulierung „radikale Klimawende“ widersprechen auf der COP 27 (und in Deutschland) viele Klimaaktive. Ist das radikal genug angesichts der dramatischen Entwicklung?
Dass eine radikale Klimapolitik das neue „Realistisch“ ist, sagen Grüne ja nicht erst seit gestern. Aber dafür brauchen wir in einer Demokratie zum Glück parlamentarische Mehrheiten. Die haben wir jetzt endlich. Wir wissen, dass wir uns auf unseren Vorhaben keine Minute ausruhen können. Robert Habeck arbeitet jeden Tag an neuen Gesetzen und Verordnungen, um den Windausbau zu beschleunigen. Cem Özdemir macht dasselbe für die Emissionen in der Landwirtschaft, Steffi Lemke gerade bei den Mooren, die wichtige CO2-Senken sind. Svenja Schulze als Entwicklungsministerin und ich als Außenministerin schließen internationale Klimapartnerschaften ab, um auch weltweit gemeinsam auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Wir wissen, dass wir noch längst nicht am Ziel sind.
Sind wir in Deutschland auf dem 1,5-Grad-Pfad?
Noch nicht, und mit nationaler Denke allein kommen wir auch niemals darauf. Wir tun daher alles, um so schnell wie möglich als europäische Klimaunion dahinzukommen. Wir haben in der EU darauf gedrängt, rechtzeitig zur COP unsere eigenen CO2-Minderungsziele bis 2030 nochmal deutlich nachzuschärfen, das ist gerade noch gelungen. Wir haben mit Blick auf unsere Energie- und Stromerzeugung in Deutschland die richtigen Weichen gestellt. Aber auch künftig werden wir Energie importieren müssen. Ein wichtiger Teil von Klimaaußenpolitik ist deshalb, heute die Voraussetzungen zu schaffen, dass wir auch bei den Importen auf diesen Pfad gelangen.
Auf der Konferenz hört man die Angst, Deutschland könne sich wieder in eine fossile Abhängigkeit begeben. Wie kann es sein, dass Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Senegal Pläne zum Ausbau von Gas-Infrastruktur verfolgt, von denen keiner versteht, wozu das gut sein soll und wie sie mit dem Pariser Abkommen zu vereinbaren sind?
Gas ist eine Brücke, aber jede Brücke hat auch ein Ende. Allerspätestens Mitte der 2040er Jahre darf nur noch grüner Wasserstoff transportiert werden. Bei neuen Investitionen jetzt darf es daher nur darum gehen, kurzfristig den Ausfall der russischen Gaslieferungen zu ersetzen.
Wenn also der Kanzler sagt, wir unterstützen den Ausbau von neuen Gasfeldern im Senegal, dann geht das nur, wenn diese Infrastruktur zur grünen Infrastruktur werden kann?
Das ist unser Prinzip, auf das wir uns im Koalitionsvertrag verständigt haben. Entsprechend hat der Bundeskanzler bei der Klimakonferenz unterstrichen, dass wir ohne Wenn und Aber aus den Fossilen aussteigen.
In Deutschland schwankt die Stimmung bei jenen, die für Klimaschutz aktiv sind, zwischen Verzweiflung und Lethargie. Wie nehmen Sie die Stimmung bei Ihren Reisen etwa nach Niger oder in die Südsee wahr?
Klimaschutz ist in Niger, im Südpazifik, aber auch in Chile oder nach den Überflutungen in Pakistan das wichtigste Thema. Diese Staaten erleben, dass die Klimakrise nicht nur ihre Ernte, ihre Lebensgrundlage, sondern ihre Heimat und Sicherheit bedroht. Viele hatten bei uns in Deutschland vor einem Jahr ja etwas verwundert gefragt, warum wir jetzt so aktiv Klimaaußenpolitik machen. In so gut wie allen meinen Gesprächen als Außenministerin spüre ich eine Erleichterung, dass wir als deutsche Regierung endlich das Klima als Sicherheitsthema sehen. In Regionen, wo das Vieh der Hirten stirbt und Menschen kein Einkommen haben, haben Terroristen gute Chancen, Anhänger zu rekrutieren.
Für diese Perspektivlosigkeit ist auch die mangelhafte deutsche Klimapolitik der Vergangenheit verantwortlich.
In den Ländern, die heute schon – in unserer 1,2-Grad-Welt – so massiv unter der Klimakrise leiden, erlebe ich vielerorts eine Mischung aus dem Vorwurf „Ihr habt uns das eingebrockt“ und der Erwartung „Ihr müsst auch hier bei uns vor allem technologisch handeln“. Und darin liegt auch die globale Chance: bei der wirtschaftlichen Entwicklung nicht die Fehler der Industriestaaten zu wiederholen, sondern sofort in saubere Industrien einzusteigen. Ich selbst stand im Niger bei 48 Grad ohne Schatten auf Felsbrocken in staubiger Landschaft, wo früher Baumwolle angebaut wurde. Da ist die Bekämpfung der Klimakrise eine Existenzfrage. Aber was mir dort begegnete, war keine Verzweiflung, sondern der eindringliche Appell, endlich etwas zu tun. Man weiß auch dort, dass man eigentlich alle sauberen Technologien in der Hand hält. Wir müssen sie endlich weltweit einsetzen. Nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch zur vielerorts in Afrika noch fehlenden Elektrifizierung, zur Tröpfchenbewässerung, zur Entsalzung von Böden, um sie wieder fruchtbar zu machen.
Auf der Weltklimakonferenz wurde gegen einigen Widerstand das Thema loss and damage, also Schadenersatz bei Klimaschäden, auf die Tagesordnung gesetzt. Wird da nur geredet oder ist man tatsächlich bereit, relativ schnell eine Umsetzung, im Konferenzsprech heißt das Fazilität, einzurichten?
Das war tatsächlich nicht ohne loss and damage auf die Tagesordnung der Klimakonferenz zu setzen. Dass jene Staaten, die besonders unter den Auswirkungen der Klimakrise leiden und am wenigsten dazu beigetragen haben, ihre Probleme nicht prominent auf der Klimakonferenz verhandeln konnten, war immer ein Hindernis bei den Klimaverhandlungen. Daher hatte ich auf dem Petersberger Klimadialog im Berlin im Juli erstmals als Industrieland offen gesagt: Wir müssen unsere bisherige Haltung ändern und loss and damage auf die Tagesordnung nehmen. Das haben wir nun hinbekommen, und das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir als EU mit Inselstaaten oder Ländern wie Chile und Mexiko zusammenarbeiten, die gemeinsam bei der Finanzierung und der CO2-Minderung vorangehen wollen.
Aber ganz konkret: Sind Sie dafür, dass auf dieser COP entschieden wird: Es gibt diese Fazilität?
Der Tagesordnungspunkt ist der Türöffner für alles Weitere. Als Bundesregierung haben wir mit der Global-Shield-Initiative der G7 und der V20 – dem Bündnis der verletztlichsten Staaten – auch einen ersten Baustein geliefert, wie die Umsetzung aussehen kann.
Also wird es keine Beschlüsse auf dieser Konferenz dazu geben, obwohl die Frage so dringlich ist?
Bevor ich überhaupt da bin, maße ich mir nicht an, die Dynamik einer Konferenz vorherzusagen, zumal bei einem Thema, das viele Jahre so umstritten war. Dass wir uns gleich am Anfang einigen konnten, das Thema auf die Agenda zu setzen, zeigt immerhin, dass multilaterale Verhandlungen trotz aller geopolitischen Spannungen möglich sind. Wenn sich die Industriestaaten, die wirklich aus vollem Herzen alles für den Klimaschutz tun wollen, und die Länder, die am meisten davon betroffen sind, zusammentun, können wir auch Ergebnisse erzielen.
Ist das nicht ein gutes Beispiel dafür, was seit 30 Jahren in der Klimapolitik falsch läuft? Dass wir froh sind, wenn über ein Thema geredet wird.
Klar kann man sich zu jeder Klimakonferenz darüber beklagen, wie schlecht und viel zu spät alles gelaufen ist. Das erleben wir und erst recht die Menschen im Globalen Süden jeden Tag: wie viel Zeit wir verspielt haben und wie dramatisch die Situation ist. Die Vergangenheit können wir aber nicht ändern. Ich verstehe meinen Job so, alles dafür zu tun, damit wir es in Zukunft besser machen, und zwar so schnell wie möglich. Ehrlich gesagt ist offen, wie das bei dieser COP gelingt, denn ob es einem gefällt oder nicht: Die Realität ist, dass wir uns mit über 190 Staaten einigen müssen, wenn wir Ergebnisse wollen. Und wenn man nicht bereit ist, darüber zu reden, werden wir auch niemals Beschlüsse fassen.
Was haben die betroffenen Länder von einer Tagesordnung?
Ich habe bei meinem Besuch auf Palau eine Erfahrung gemacht: Wenn wir als Industriestaaten endlich sagen, wir tragen eine Verantwortung für diese Krise und wir sehen unsere Verpflichtung, finanzielle Mittel bereitzustellen, um auf kleinen Inselstaaten Dörfer umzusiedeln, dann können wir zugleich darüber sprechen, dass das neue Dorf klimaneutral aufgebaut wird: Keine Dieselgeneratoren mehr, sondern erneuerbare Energien. Endlich können wir die Finanzfragen mit den Minderungszielen verbinden. Wir haben gesehen, wie aus Tagesordnungspunkten ganz konkrete Projekte entstehen. Das ist der Sinn von internationalen Konferenzen. Deshalb tun wir uns auf der COP parallel zu den Textverhandlungen mit Staaten zusammen, die konkret sagen: Wir fangen jetzt mit diesen Projekten an und warten nicht darauf, bis formal alle mehr als 190 Staaten einen neuen Text zustande gebracht haben.
Andere Länder des Globalen Südens fordern einen Schuldenerlass. Unterstützen Sie die Idee?
Wir haben gerade erstmalig als G7-Außenminister*innen mit Finanzakteur*innen darüber gesprochen, wie wir mit diesen massiven Schuldenständen umgehen können. Diese Schulden tragen dazu bei, dass Länder nicht in Zukunftsprojekte des Klimaschutzes investieren können, genauso wenig wie in Bildung. Entsprechend wird die Schuldenfrage auch eine Rolle bei der COP spielen. Allerdings wird es nicht einfach, zu einer gerechten Lösung zu kommen. Wir dürfen nicht vergessen, dass seit der letzten größeren Entschuldung mit China und privaten Fonds oder Banken neue Gläubiger dazugekommen sind.
Ist ein Schuldenerlass derzeit überhaupt denkbar? Das würde die Inflation noch höher treiben.
Für die globale Klimatransformation brauchen wir Billionen. In der jetzigen Situation müssen wir daher unterschiedliche Dinge tun. Zum einen die schon 2009 versprochenen 100 Milliarden Dollar jährlich endlich für Klimaprojekte bereitstellen. Aber zugleich haben die Pandemie und der russische Krieg die Situation massiv verschärft. Daher müssen wir auch bei den globalen Finanzbeziehungen etwas tun. Zwischen einem harten Schnitt und Maßnahmen zur Umschuldung, zur Restrukturierung von Schulden gibt es sehr viele Möglichkeiten. Viele Länder haben sich bei China verschuldet, um ihre Infrastruktur zu finanzieren. Wir können nicht mehr darüber hinweggehen, dass gewisse Länder inzwischen handlungsunfähig sind, weil sie ihre Schulden nicht tragen können.
Die 100 Milliarden Dollar, von denen die Rede ist, sind ja fast Peanuts. Wenn die Welt auf einen 1,5-Grad-Pfad kommen soll, geht es um Billionen-Dollar-Programme. Die Premierministerin von Barbados tritt dafür an, das gesamte Bretton-Woods-System, das Finanzsystem einschließlich der Weltbank, auf den Prüfstand zu stellen.
Das globale Finanzsystem muss dringend so umgebaut werden, dass die globalen Finanzströme in klimafreundliche Investitionen geleitet werden. Ein Instrument könnten Klimakredite der Weltbank mit besseren Konditionen sein. Und schon heute bietet die Weltbank Regierungen Budgetfinanzierungen an, die an die Umsetzung von Politikreformen geknüpft sind. Warum sollte es so etwas nicht für die Umsetzung von nationalen Klimastrategien geben?
Würden Sie in dem Zusammenhang gern den Weltbank-Chef David Malpass loswerden, der vor Kurzem erst wieder den menschengemachten Klimawandel in Frage gestellt hat?
Unser Fokus ist, die Reform der Weltbank insgesamt gemeinsam zu gestalten. Als ein Land, das leider lange gebraucht hat, endlich mit Verve den 1,5-Grad-Pfad anzupeilen, sollte man sich nicht prioritär an anderen Leuten abarbeiten, sondern zuerst vor seiner eigenen Haustür kehren. Dabei ist zentral, dass man die Augen nicht vor der Realität verschließt. Das beinhaltet den menschengemachten Klimawandel.
Aber mit einem Klimaleugner an der Spitze der Weltbank?
(Schweigen)
Okay, keine Antwort. Für Sie ist Klimapolitik die neue Geopolitik. Von Kooperation ist in der Geopolitik derzeit wenig übrig. Im vergangenen Jahr gab es bei der COP in Glasgow den Vorstoß, das Thema Klima aus den weltpolitischen Spannungen herauszuhalten. Geht das?
Gerade wegen der weltpolitischen Spannungen braucht es umso mehr Klimadiplomatie. Alles andere wäre Selbstmord für jeden einzelnen der 190 Staaten. Schließlich macht die Klimakrise wegen Russlands brutalem Angriffskrieg keine Pause. Staaten wie Äthiopien und Somalia leiden nun mehr als doppelt so stark unter Ernteausfällen. Nach vier Jahren ohne Regen kommt die Inflation und Lebensmittelknappheit durch Russlands Kornkrieg hinzu.
Sie würden über das Klima auch mit Russland verhandeln?
Als G7-Präsidentin habe ich dafür geworben, dass wir beim G20-Treffen in Indonesien gemeinsam mit unseren indonesischen, mexikanischen, südkoreanischen Partnern gegenüber dem russischen Außenminister, der ebenfalls am Tisch saß, deutlich machen, welche fatalen Folgen der russische Angriffskrieg auf die ganze Welt hat. So ist es auch mit Blick auf die Klimafragen. Die Dramatik dieses Jahres erhöht vielleicht sogar die Chancen auf eine Einigung, weil sie allen ihre Verwundbarkeiten gezeigt hat: Es ist unübersehbar, dass wir globale Probleme nicht alleine lösen können. Und wenn in Zukunft ganze Regionen durch Klimaschäden dysfunktional werden, können Lieferketten ausfallen und die Weltwirtschaft ins Chaos gestürzt werden. Das Gleiche gilt, wenn Regionen unbewohnbar werden. Dann werden die Migrationsbewegungen massive Auswirkungen haben.
Viele Länder, die bei der Klimakonferenz verhandeln, sind keine lupenreinen Demokratien. Welche dreckigen Deals muss man eingehen?
Was heißt lupenrein? Demokratie ist nie am Ziel, Gesellschaften sind immer im Wandel. Daher halte ich auch nichts von solchen plakativen Zuschreibungen. Zugleich ist bekannt, dass die Welt nicht nur aus Demokratien besteht. Aufgabe von Außenpolitik ist, zu definieren, wie wir unsere bilateralen Partnerschaften verantwortungsvoll gestalten. Das ist fast nie schwarz-weiß, aber auch nie ein „dreckiger Deal“, sondern verantwortungsbewusstes Abwägen: Die meisten Länder teilen trotz aller Probleme eine gemeinsame Basis, auf der man reden kann und muss: die Anerkennung des internationalen Rechts, das Bekenntnis zur globalen Zusammenarbeit und im Fall der Klimaverhandlungen vor allem auch das klare Eigeninteresse jedes Landes, seine natürlichen Lebensgrundlagen zu retten. Die allermeisten sind auf der COP nicht auf der Suche nach Kuhhandeln.
Aber ein großer Teil der Solarpaneels kommen aus China. Ein großer Teil der Regenwälder befinden sind in Gegenden, in denen die Regierungsführung nicht die beste ist. Ägypten ist ein Land, das Menschenrechte mit Füßen tritt. Muss man, um beim Klima voranzukommen, bei Menschenrechten Abstriche machen?
Man kann sich die Welt nicht schön zaubern. Es gibt Situationen, in denen unsere Werte in Widerspruch zueinander stehen, und Dilemmata, die sich nicht auflösen lassen. Aber das heißt nicht, dass ich Abstriche automatisch bei Menschenrechten machen muss. Man muss sich bei jeder Entscheidung immer wieder ehrlich fragen: Trägt es zum Vertuschen oder Verstärken von Menschenrechtsverletzungen mit bei? Die COP in Ägypten hat mich nicht daran gehindert, die Menschenrechtslage in jedem Gespräch mit Präsident Sisi deutlich anzusprechen. Im Gegenteil: Am Rande des Petersberger Klimadialogs in Berlin habe ich die Freilassung der politischen Gefangenen, auch von Alaa Abdel Fattah gefordert. Und wir stellen unseren Pavillon bei der COP ägyptischen Menschenrechtsgruppen zur Verfügung, die sonst kaum die Chance bekommen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden.
Beißt sich Klimapolitik nicht doch mit menschenrechtsbasierter Außenpolitik, etwa bei Chinas Solarpaneels?
Würde weniger Klimaschutz zu mehr Menschenrechtsschutz in China oder Ägypten führen? Wohl kaum. Ich habe gerade bei meinem Besuch in Kasachstan und Usbekistan eine Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien in Aussicht gestellt. Ich habe aber überall dazugesagt, dass Voraussetzung für langfristige Investitionen die Einhaltung von Regeln ist, und dazu gehört auch der Schutz persönlicher Freiheitsrechte. Auf diese Weise könnte Klimaschutz dazu beitragen, auch die Bürger- und Menschenrechte zu stärken. Aber dafür müssen wir auch unsere eigenen Regeln definieren und nicht wie in der Vergangenheit hoffen, dass sich die Menschenrechtslage schon irgendwie verbessert – und erst recht vor einer Verschlechterung nicht die Augen verschließen. Deshalb planen wir in der EU ein Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit – das gilt logischerweise auch für Solarpaneels, falls sie durch Zwangsarbeit gefertigt würden.
Was muss rauskommen, dass sie sagen: Diese Weltklimakonferenz wurde nicht gegen die Wand gefahren?
Zur Ehrlichkeit gehört: Diese COP allein wird uns nicht auf den 1,5-Grad-Pfad bringen. Alle Länder müssten ihre Klimapläne sofort drastisch nachschärfen. Das wird bis zum 19. November nicht passieren, so realistisch und ehrlich muss man sein. Trotzdem: Jedes in Scharm al-Scheich angeschärfte nationale Klimaziel zählt, jedes neue Klimaprojekt, jeder Solarpark, jede große Waldinitiative, jedes Land, das wie Kenia mit deutscher Unterstützung erklärt, dass es seinen Strom auf 100 Prozent Erneuerbare umstellen wird. Denn jede eingesparte Tonne C02 hilft, uns vom derzeitigen 2,7-Pfad Richtung 2 und 1,5 Grad zu bringen. Dafür braucht es massiven Technologietransfer und auch Technologiesprünge in den nächsten Jahren, um schneller aus den Fossilen aussteigen zu können. Die geopolitische Lage macht das nicht leichter. Aber wir müssen verhindern, dass als Folge des russischen Krieges 2022 ein verlorenes Jahr für die Klimaverhandlungen wird.
Sie waren auf vielen Klimakonferenzen, kommen aber zum ersten Mal als Vertreterin der Regierung. Was ist das für ein Gefühl?
2015 war ich mit meiner kleinen Tochter, die ein halbes Jahr alt war, in Paris dabei. Ich habe mir vorgestellt: Wenn sie so alt ist wie ich damals – 35 –, dann werden wir im Jahr 2050 erleben müssen, ob wir das mit der Dekarbonisierung der Industriestaaten erreicht haben. Jetzt als Ministerin dort zu verhandeln, das ist für mich auch etwas Persönliches.
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