Ankerverbot in Berlin: Bugwelle der Verdrängung
Eine neue Verordnung verbietet unbemanntes Ankern und Stillliegen auf der Spree. Hausbootbewohner:innen und Kulturflößen droht das Ende.
Tatsächlich herrscht derzeit große Aufregung um eine neue Rechtsverordnung. Die verbietet das Stillliegen von Booten außerhalb von genehmigten Liegeplätzen entlang von 35 Kilometern der innerstädtischen Spree künftig selbst für kleine Boote unter 20 Meter Länge. Geankert werden darf nur noch in Spree-Nebengewässern wie der Rummelsburger Bucht. Doch eine neue Anwesenheitspflicht auf den Booten macht das Wohnen auf ihnen quasi unmöglich.
Die Verordnung regelt eine Abweichung von der bundesweit gültigen Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung und tritt am 1. Juni für zunächst drei Jahre in Kraft. Bekannt wurde sie mit der jüngsten Veröffentlichung des Bundesgesetzblatts – überraschend für all jene, die auf Berlins Gewässern unterwegs sind. Bei einem eilig einberufenen vierstündigen Treffen des Vereins Spree:publik, eines Zusammenschlusses der Kunst- und Kulturflöße, sei der „Schock“ groß gewesen, berichtet Vorstandsmitglied Max Bayer der taz.
Was bleibt, sind viele Fragezeichen: Wie konnte eine Regelung so schnell Wirklichkeit werden, die vor drei Jahren noch erfolgreich verhindert werden konnte? Was ist die Motivation dahinter? Und: Wie geht man nun damit um? „So sehr eingeschränkt und in Gefahr habe ich den Freiraum Berliner Wasserstraße noch nie gesehen“, sagt Bayer.
Dabei hat das linke Floßkollektiv „Anarche“, zu dem auch Bayer gehört, angesichts eines angemieteten Liegeplatzes noch Glück. Hier kann das Boot auch weiterhin ohne Ankerwache, also ohne beaufsichtigende Person liegen. Anders verhält es sich etwa mit dem Kulturfloß „Unkraut“, das ohne eigenen Platz gleich in der Nähe liegt. „Wir fühlen uns nach aufgeben und wissen nicht, ob wir unsere Kultur- und Sozialevents überhaupt noch durchführen können“, heißt es aus dem Kollektiv. Die neue Verordnung werde „viele Bewohner:innen aus der Bucht vertreiben“, so die Einschätzung.
Wie konnte eine Regelung so schnell Wirklichkeit werden
Einer jener Betroffenen ist Emanuel Ott, der seit fünf Jahren auf einem „kleinen Holzhausbötchen“ in der Rummelsburger Bucht lebt. Als Selbstständiger muss er regelmäßig an Land arbeiten, auch wenn er das Boot „nie für lange Zeit“ verlasse. Doch selbst das soll künftig verboten sein. In den Bereichen der Spree, in denen entfernt vom Ufer geankert werden darf, neben dem Rummelsburger See etwa an der Großen Krampe in Müggelheim oder auf der Müggelspree, muss sich dann eine beaufsichtigende Person „ständig an Bord aufhalten“, wie es in der neuen Verordnung heißt. Ott sagt: „Es ist aber unmöglich, immer an Bord zu sein.“ Bislang war es erlaubt, das Boot einen Tag lang unbeaufsichtigt zu lassen.
Ott hat Angst, dass sein alternatives Lebensmodell „illegalisiert“ wird. Treffe die Wasserschutzpolizei künftig ein Boot ohne Besatzung an, werde eine Strafe von 55 Euro fällig, die im Wiederholungsfall auch verdoppelt werden könne. Wie er und die anderen Betroffenen mit der neuen Regelung umgehen werden, ist noch nicht entschieden: Die Möglichkeiten reichen von Abwarten und im Falle von Strafen möglichst kollektiv Widerspruch einlegen bis zur Gründung von Ankerverbänden mit anderen Booten, die dann von einer Ankerwache beaufsichtigt werden. Dies erlaubt die neue Verordnung explizit.
Ginge es nach dem schwarz-roten Senat, wäre in Zukunft nicht einmal das möglich. Wie eine Sprecherin auf taz-Anfrage mitteilte, hat sich die zuständige Senatsverkehrsverwaltung in einer Stellungnahme zu der neuen Verordnung „für ein flächendeckendes Stillliegeverbot auf nicht zugelassenen Liegestellen ausgesprochen“. Das wäre das Ende der Möglichkeit, auf Berliner Gewässern zu leben.
Das zuständige Bundesverkehrsministerium war jedoch der Auffassung, dass das „nicht die strengen Anforderungen erfüllt, die seitens der Verwaltungsgerichte hieran hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit gestellt werden“. Doch die Hoffnung, die Spree von nichtkommerziellen Angeboten zu befreien, hat man beim Senat noch nicht aufgegeben: Demnach hat das Bundesministerium „in Aussicht gestellt, strengere, weitergehende Maßnahmen in die Wege zu leiten, sofern die jetzt vorgesehenen Maßnahmen nicht erfolgversprechend sein sollten“.
Auch Angler:innen sind betroffen
Um welche Erfolge es geht, kann nur gemutmaßt werden. In der Vergangenheit hatten neben Lärmbeschwerden vor allem Schiffswracks, teils auch sinkende Boote in der Rummelsburger Bucht für Unmut gesorgt. Vor drei Jahren hatte sich daher der damalige Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), der seinen Wahlkreis in Lichtenberg hat, für ein Ankerverbot starkgemacht. Dazu kam es aber nicht, auch weil sich die damals noch grün geführte Senatsverwaltung dagegen ausgesprochen hatte. Zuvor hatte der Verein Spree:publik lautstark gegen ein Ankerverbot getrommelt.
Denn laut Spree:publik wird die Verordnung den beabsichtigten Zweck nicht erfüllen. „Leidtragende sind in erster Linie diejenigen, die auf den Booten leben, diese angemeldet haben und ordnungsgemäß mit ihnen umgehen“, sagt Bayer. Gegen sie sei es leicht, Strafen zu verhängen. Anders verhalte es sich mit Besitzer:innen von Schrottboten, die gar nicht ausfindig zu machen seien. Bayer bezweifelt, dass Berlin überhaupt die Mittel dafür habe, Bootswracks abzuschleppen und zu verschrotten. Das Problem werde fortbestehen, während die Bewohner:innen und Nutzer:innen von Kulturangeboten drangsaliert würden.
Und womöglich nicht nur die: Vor drei Jahren hatte die grüne Senatsverwaltung noch vor Auswirkungen auf alle anderen Wassernutzer:innen gewarnt: etwa auf Wassertourist:innen, die dann auch nicht mehr anlegen können. Bootsbewohner Emanuel Ott weist darauf hin, dass auch Angler:innen betroffen sind. Auch die müssten ankern, um ihrer Tätigkeit nachzugehen, das ist aber auf der Spree, abgesehen von ihren Nebenarmen, nun nicht mehr gestattet. Ott meint: „Ich bezweifle, dass diese Verordnung gut durchdacht ist.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört