Angst vor Deportationen in den USA: Niemand ist sicher
Deyvid ist einer von 400.000 Asylsuchenden in New York. Obwohl er legal hier ist, fürchtet er, unter Präsident Trump deportiert zu werden.
Es ist die Ungewissheit, die Deyvids Stimmung trübt, wenn Trump in dieser Woche ins Weiße Haus einzieht. Er werde sofort mit der größten Massendeportation beginnen, die es in der Geschichte der USA gegeben hat, hat Trump getönt, doch niemand weiß genau, wie ernst es ihm damit ist. Ganz gewiss hat er nicht von Anfang an die Infrastruktur, um die rund 12 Millionen undokumentierten Einwanderer in den USA wie Deyvid zu finden und zu verhaften. Manche glauben, er wolle nur Terror und Verunsicherung säen.
Streng juristisch kann Deyvid eigentlich nicht viel passieren. Nachdem er im März vergangenen Jahres nach einem langen Treck über Kolumbien in El Paso über den Rio Grande gekommen war, wurde er von den Grenzkontrollen registriert. Dann schob man ihn, wie so viele Einwanderer aus den konservativen Staaten entlang der Grenze, nach Norden ab.
Joan Sanchez, Flüchtlingshelferin
Hier in New York hatte er im vergangenen Herbst dann seinen ersten Gerichtstermin. Er ist nun offiziell als Asylsuchender im System und kann rein rechtlich nicht deportiert werden. Alleine seine illegale Arbeit könnte ihm zum Verhängnis werden. Erst im Februar darf er einen Antrag auf eine Arbeitsgenehmigung stellen, eine der vielen Absurditäten des chaotischen US-amerikanischen Einwanderungsrechts, das seit mehr als 30 Jahren einer Neuregelung harrt. So lange schon kann sich die Politik in Washington auf keine Formel einigen.
Familien über Jahre auseinandergerissen
Doch wirklich sicher kann sich niemand sein, der keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung oder eine Staatsbürgerschaft hat. „Wir müssen uns auf alles einstellen“, sagt Joan Sanchez, eine zierliche Mitfünfzigerin mit pinken Haarsträhnen, die seit vielen Jahren als Freiwillige Asylsuchende betreut. Sicher, sagt Joan bei einem Kaffee in Midtown Manhattan, sei nur, dass Trump irgendetwas tun wird. „Er wird seinen Wählern demonstrieren wollen, dass er es ernst meint.“ So wie das letzte Mal, als er am ersten Tag seiner Amtszeit die Einwanderung aus sieben vorwiegend muslimischen Ländern stoppte. Die Exekutivanordnung richtete ein heilloses Chaos an und riss Familien teilweise über Jahre hinweg auseinander.
Joan arbeitete schon damals für die Hilfsorganisation New Sanctuary Coalition. Die endlosen Geschichten, die sie von damals erzählen kann, sind haarsträubend. Es sind Geschichten von Familien, die zu einer ordnungsgemäßen Anhörung in ihrem Asylverfahren gemeinsam ins Gericht gehen, aber ohne den Vater wieder herauskommen, weil dieser ohne Angabe von Gründen verschleppt wurde. Geschichten von Razzien in Kirchen und Schulen, wo Freiwillige wie sie Asylbewerbern beim Ausfüllen ihrer Anträge helfen. Oder Geschichten von unmarkierten Fahrzeugen der nach 9/11 gegründeten Einwanderungs-Truppe ICE, die wahllos Leute von der Straße aufsammelte.
All das, befürchtet Joan, werde wiederkommen. Und vielleicht Schlimmeres, sagt sie mit einem tiefen Seufzer. Eigentlich sei sie zu erschöpft, um diesen Kampf noch einmal aufzunehmen. Oder um wieder Woche für Woche zu demonstrieren. Doch sie werde es trotzdem tun. „Ich habe mir schon dicke Socken besorgt.“
Die wird Joan sicherlich auch brauchen. Denn die Lage für Migranten in New York ist diesmal noch um einiges prekärer, als sie das vor acht Jahren war. Die liberale Bastion New York bröckelt. Zuletzt waren 51 Prozent der New Yorker für eine härtere Einwanderungsgesetzgebung. Das liegt nicht zuletzt am großen Zuzug von Migranten in den vergangenen zweieinhalb Jahren. 2022 verschifften die Gouverneure der republikanisch regierten Staaten Texas und Florida Massen von Menschen, die an ihrer Außengrenze ankamen, einfach in den Norden, vor allem nach New York.
Die einstmals liberalste Stadt der USA
Seither nahm die Stadt knapp 230.000 Flüchtlinge auf. Jeden Morgen steht eine mehrere hundert Meter lange Schlange vor dem Gebäude des Einwanderungsgerichts. Im Schnitt haben die Richter etwa sechs Minuten Zeit für jeden Fall. Gleichzeitig hat sich damit auch das Problem der Obdachlosigkeit dramatisch verschärft. Vor 2022 hatte die Stadt geschätzt rund 80.000 Obdachlose. Im Jahr 2023 stieg die Zahl erstmals in der Geschichte auf mehr als 100.000.
Die Stadt sucht seither verzweifelt nach Unterbringungsmöglichkeiten. Auf einem stillgelegten Flugplatz am äußersten Ende von Brooklyn wurde eine Zeltstadt errichtet. Ebenso auf Randall’s Island, einer Freizeitinsel im East River, auf der sonst Fußballturniere stattfinden und Familien mit herrlichem Ausblick auf Manhattan Picknicks veranstalten.
Anwohner beschwerten sich, dass Asylsuchende auf Spielplätzen übernachteten und sich dort wuschen. Pendler störten sich an den vielen Obdachlosen in den U-Bahnhöfen, Berichte von Schießereien und Messerstechereien in den Asylunterkünften beunruhigen die Menschen. Hinzu kommt, dass die Unterbringung die Stadt schon mehr als sechs Milliarden Dollar gekostet hat.
All das hat maßgeblich dazu beigetragen, dass selbst in der liberalsten Stadt Amerikas eine verblüffend große Anzahl von Menschen für Donald Trump stimmte. Und so können sich Menschen wie Deyvid selbst in New York nicht mehr ohne Vorbehalte willkommen fühlen.
Schmutziger Deal mit dem Bürgermeister?
Das liegt nicht zuletzt auch an der Haltung des New Yorker Bürgermeisters. Je mehr dem Ex-Polizisten Eric Adams das Problem ihm über den Kopf wuchs, desto weniger liberal wurde seine Politik. Zunächst ging er vor Gericht, um das von der Stadt verbriefte Recht auf Obdach aufheben zu lassen. Dann verkürzte er die Aufenthaltsdauer von Asylsuchenden in städtischen Einrichtungen. Schließlich legte er sich mit der Biden-Regierung an, weil er sich von ihr finanziell im Stich gelassen fühlte.
Dafür flog er am Wochenende vor Trumps Amtsantritt nach Florida. Böse Zungen mutmaßten, dass Adams Trump einen Freibrief für Deportationen erteilen wollte. Im Gegenzug verspreche er sich Milde in einem Korruptionsprozess gegen ihn, der im April ansteht. Bestätigt ist das allerdings nicht.
Natalia Menendez, Restaurantbesitzerin aus Mexiko
Für die mehr als 400.000 undokumentierten Einwanderer in New York ergibt das alles zusammen ein trübes Bild für die kommende Zeit. In der South Bronx, der Gegend mit der größten Dichte an Migranten, ist man dennoch entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen.
Das kleine mexikanische Restaurant La Morada gehört Natalia Menendez, deren Rezepte schon vom Kritiker der New York Times gelobt wurden. Natalia lebt seit 30 Jahren ohne Dokumente in den USA, ihr Sohn hat vor drei Jahren Asyl erhalten. Ihr Lokal ist gleichzeitig ein inoffizielles Gemeinde- und Informationszentrum für Einwanderer. Nataila und ihr Sohn tun alles für sie, vom Ausfüllen von Anträgen bis hin zu kostenlosen Mahlzeiten. Über dem Eingang hängt ein großes Banner mit den Worten „No Deportaciones/Deportations“.
„Wenn ich vor 20 Jahren die Nachrichten gehört hätte, die ich heute höre“, sagt die energische kleine Frau mit leuchtenden braunen Augen, „hätte ich mich heulend verkrochen“. Doch sie sei über die Jahre stark geworden und habe nicht vor, sich von Trump einschüchtern zu lassen. Schon alleine, um den neu Angekommenen die Hoffnung nicht zu nehmen. Und vielleicht, ganz vielleicht, glaubt sie, gibt sogar ein Donald Trump nach, wenn man ihm lange genug die Stirn bietet.
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