Angriffe auf russische Truppen: Moskaus Blutzoll
Neben dem Angriff in der Silvesternacht meldet die Ukraine eine weitere Attacke gegen russische Besatzungstruppen. Von mehreren Hundert Opfern ist die Rede.
Die verheerenden ukrainischen Angriffe auf russische Besatzungstruppen in der Silvesternacht haben offenbar ein noch größeres Ausmaß als bisher bekannt. Nachdem Russland am Montag den Tod von 63 seiner Soldaten beim ukrainischen Beschuss einer russischen Soldatenunterkunft in der Stadt Makijiwka am Rand von Donezk bestätigt hatte, vermeldete der ukrainische Generalstab am Dienstag einen weiteren Großangriff in Tschulakiwka im russisch besetzten Südteil des Gebiets Cherson.
„Die Verluste des Gegners belaufen sich auf 500 Tote und Verletzte“, hieß es in der Mitteilung aus Kyjiw. Bereits beim Angriff in Makijiwka hatte die ukrainische Seite von 400 Toten und 300 Verletzten auf russischer Seite gesprochen. Die amtliche russische Zahl von 63 Toten wird allgemein als weit untertrieben eingeschätzt, auch russische Quellen gehen von mehreren Hundert Opfern aus.
Der Angriff in Tschulakiwka erfolgte in einem Kontext zunehmender Schusswechsel zwischen ukrainischen und russischen Truppen über den Dnipro-Fluss. Dessen Unterlauf bildet seit der Befreiung der Stadt Cherson im November die Frontlinie im Südwesten der Ukraine.
Während Russland den Angriff in Tschulakiwka bis Dienstagnachmittag nicht bestätigte, stellt die offizielle Bezifferung russischer Verluste in Makijiwka ein Novum dar. Es scheint, dass Moskau den Angriff, der sich im seit 2014 von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiet ereignete, propagandistisch ausschlachtet, um der russischen Öffentlichkeit das Ausmaß der „Bedrohung“ klarzumachen.
Munition im Keller, Soldaten darüber
Beide Angriffe in der Silvesternacht wurden mit von den USA an die Ukraine gelieferten Himars-Präzisionsraketen ausgeführt. Seit September hatte Russland keine Verluste seiner Armee in der Ukraine mehr veröffentlicht.
Es gibt sogar offizielle Fotos der in Schutt und Asche gelegten Soldatenunterkunft in Makijiwka – eine Berufsschule, wo Munition im Keller lagerte und Soldaten in den Etagen direkt darüber schliefen, was Experten als fatale Kombination brandmarken. Makijiwka liegt nur rund 13 Kilometer östlich der Frontlinie bei der Großstadt Donezk, wo russische Truppen versuchen, die von der Ukraine gehaltene Frontstadt Awdijiwka einzukesseln.
Nach Angaben des US-amerikanischen Institute for the Study of War führen russische Militärkreise den Erfolg des ukrainischen Angriffs auf Fehler der Streitkräfte der „Volksrepublik Donezk“ zurück, die formal eigenständig sind, tatsächlich ins russische Militär integriert sind, aber ebenso wie diejenigen der „Volksrepublik Luhansk“ eigene Kommandostrukturen behalten haben. Beide hätten Vorschriften zur dezentralen Unterbringungen von Soldaten missachtet und Rüstungsmaterial in großen Mengen ohne Tarnung gelagert.
Das sei „verbrecherische Nachlässigkeit“, kommentiert auf sozialen Medien der russische Ukraine-Veteran Pawel Gubarew: „Es ist wichtig, sich in kleinen Gruppen aufzuhalten, alle wissen das.“ Immer wieder würden Hunderte russische Soldaten sterben, weil dieser Grundsatz missachtet werde und die russische Armee in besetzten Städten der Ukraine große Gebäude beschlagnahme, um ihre Soldaten in großen Gruppen einzuquartieren – leichte Ziele für die ukrainische Armee.
Ortungshilfe durch Privathandys
Mehrere russische Politiker fordern inzwischen, die verantwortlichen Offiziere in Makijiwka zur Verantwortung zu ziehen. Es sei auch versäumt worden, Militärangehörigen die Nutzung ihrer privaten Handys an der Front zu verbieten, berichtete die russische Nachrichtenagentur Tass – wenn in einem Kampfgebiet Hunderte Handys am selben Ort eingeschaltet sind, merkt das auch der Gegner und schließt daraus auf eine Ansammlung von Soldaten, die damit zur Zielscheibe werden.
Russischen Berichten zufolge waren in der Berufsschule von Makijiwka 400 Soldaten untergebracht. Von manchen sei nichts mehr übrig, die wenigen Überlebenden „laufen nackt herum“, hieß es in russischen sozialen Medien: „Alles, was die Kompanie hatte, ist zerstört.“
Rund 500 Menschen nahmen Medienberichten zufolge am Dienstag im russischen Samara an einer Trauerfeier für die Toten von Makijiwka teil. „Wir zerschlagen den Feind“, versicherte eine Generalsgattin bei der Trauerrede. Auch in anderen Städten gab es Kundgebungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten