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Angriffe auf FlüchtlingsunterkünfteSprengstoff, Brände, Mordversuche

Die Gewalt gegen Flüchtlinge eskaliert. Ermittler zählen immer mehr Angriffe mit Sprengstoff auf Unterkünfte – allein neun im letzten Quartal 2015.

Eine Handgranate, die baugleich beim Anschlag in Villingen-Schwenningen verwendet wurde. Foto: dpa

BERLIN taz | Noch tappen die Ermittler im Dunkeln. 75 Beamte hat die örtliche Kripo in einer Sonderkommission zusammengezogen, auch Experten vom Bundeskriminalamt (BKA) sind dabei. Bisher aber fehlt von den Tätern jede Spur. Man werte Spuren aus und ermittle mit voller Personalstärke weiter, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag. Details könne man „aus ermittlungstaktischen Gründen“ nicht mitteilen.

Vier Tage zuvor war eine Handgranate auf eine Flüchtlingsunterkunft in Villingen-Schwenningen (Baden-Württemberg) geworfen worden. Die Granate enthielt Sprengstoff, zündete aber nicht. Sie blieb neben einem Container des Sicherheitsdienstes liegen. Der Anschlagsversuch markierte eine neue Eskalationsstufe der Angriffe gegen Flüchtlingsheime. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sprach von einem inzwischen „erschreckenden Ausmaß an Gewalt“: „Wir dürfen nicht abwarten, bis es die ersten Toten gibt.“

1.027 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte zählt das BKA im vergangenen Jahr – 2014 waren es noch 199. Die Ermittler besorgt nicht nur der enorme Anstieg der Gewalt, sondern auch die immer weiter zunehmende Brutalität. Denn Villingen-Schwenningen ist kein Einzelfall mehr: Allein 13 Delikte führt das BKA im vergangenen Jahr, bei denen wegen Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion oder Vergehen gegen das Sprengstoffgesetz ermittelt wird. Neun der Angriffe erfolgten allein im letzten Quartal 2015. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage hervor, die der taz exklusiv vorliegt.

Viele Explosionen in Sachsen und Brandenburg

Fünf der Sprengstoff-Attacken gab es in Sachsen, vier in Brandenburg, zwei in Mecklenburg-Vorpommern und jeweils eine in Thüringen und Nordrhein-Westfalen. So verursachten im Brandenburgischen Guben Angreifer kurz vor Weihnachten in gleich zwei aufeinanderfolgenden Tagen Explosionen vor einer Unterkunft. Auch im sächsischen Freital explodierte zweimal ein Sprengsatz an einem Fenster einer Asylunterkunft, im September und November. In einem Fall erlitt ein Flüchtling Schnittwunden.

In Freital wurden inzwischen Verdächtige gefasst: zwei junge Männer, die bereits mit Anti-Asyl-Aktivitäten auffielen. In Villingen-Schwenningen wird laut der zuständigen Staatsanwaltschaft Koblenz noch „in alle Richtungen ermittelt“, auch in die rechtsextreme. Nur zwei Tage vor dem Anschlag war ein lokaler Neonazi-Kader festgenommen worden: Er soll Betreiber der rechtsextremen Internetplattform „Altermedia“ gewesen sein. Noch am Abend zog eine kleine Gruppe von Neonazis auf dem Marktplatz in Villingen auf.

Bereits seit Längerem ist die rechte Szene in der Region aktiv. Im Stadtrat sitzt ein NPD-Mann, es bildete sich ein Pegida-Ableger, die radikale Neonazi-Partei „Der III. Weg“ gründete unlängst einen Verband. Nach taz-Informationen wurden örtliche Neonazis inzwischen von der Polizei zu dem Anschlag in Villingen-Schwenningen befragt. Der Verfassungsschutz wurde in die Ermittlungen einbezogen.

Rechte organisieren sich klandestin

„Der rechtsextremen Szene vor Ort wäre solch eine Tat durchaus zuzutrauen“, sagte Robert Hertkamp vom Offenen Antifaschistischen Treffen Villingen-Schwenningen. Viele regionale Neonazis würden ihre Aktionen inzwischen „untergrundmäßig organisieren“. „Das hat sich merklich radikalisiert.“ Hertkamp verweist auch auf eine Parallele zum Oktober 2015: Damals gab es einen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Villingen – kurz nach einer Hausdurchsuchung bei einem Neonazi.

Die Ermittler prüfen aber auch ein anderes Motiv: Möglicherweise habe die Tat auch dem Sicherheitspersonal gegolten. Geprüft werde auch noch, ob an der Handgranate ein Zünder vorhanden und dieser tatsächlich explosionsfähig war.

„Kreuzgefährliche Pogromstimmung“

Die Behörden alarmiert der Fall dennoch. So erfolgten am gleichen Wochenende auch in Sachsen gleich auf fünf Asylunterkünfte Anschläge. In einem Fall, im Leipziger Stadtteil Meusdorf, verwendeten die Täter einen selbstgebauten Sprengsatz aus Spraydosen, Grillanzünder und Papier. Bernd Merbitz, Leiter des sächsischen Operativen Abwehrzentrums der Polizei, sprach von einer „Pogromstimmung, die eine kreuzgefährliche Intensität bekommt“.

Auch das BKA sieht kein Ende der Gewalt, im Gegenteil: Dort zählt man in diesem Jahr bereits wieder 57 Straftaten gegen Unterkünfte, 14 davon Gewaltdelikte. Und unter den Straftaten vom vergangenen Jahr gibt es neben den Sprengstoffdelikten weitere schwerste Straftaten. Das BKA notiert auch 95 Brandstiftungen, in drei Fällen wird gar wegen versuchten Mordes ermittelt. Insgesamt 39 Personen wurden bei den Angriffen auf die Unterkünfte im vergangenen Jahr verletzt.

Die Linken-Innenexpertin Jelpke sprach von einer Situation, in der rechte Gewalttäter vor nichts mehr zurückschreckten. „Die Ermittlung und Bestrafung der Täter muss höchste Priorität haben.“ Auch müsse die Bundesregierung, „endlich einen umfassenden Maßnahmenkatalog“ der Gewaltwelle entgegenzusetzen und diese nicht mit „Hysterie in der Flüchtlingsdebatte befeuern“, so Ulla Jelpke.

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10 Kommentare

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  • Demokraten denken, man könne mit Nazis diskutieren...

    Eine fatale Fehleinschätzung...

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Der Satz (Zitat):

    'in drei Fällen wird gar wegen versuchten Mordes ermittelt'

    zeigt die Ohnmacht aber auch den Unwillen, gegen die Rechtsradikalen etwas zu unternehmen. Es müsste in 1000 Fällen wegen versuchten Mordes ermittelt werden. Aber man läßt die Bösmenschen gewähren, denn sie sind ja auch CDU/CSU-Wähler.

  • Ganz toll - immer schön aufrechnen, damit man sich bloß nicht von seinen festgefahrenen Meinungen und Ideologien trennen muß!

     

    Man sagt, denken sei Glücksache. Aber immer öfter glaube ich, daß (nach)denken überhaupt nicht erwünscht ist. Es ist doch so ungeheuer mühsam, zu versuchen, Fakten gegeneinander abzuwägen, Zusammenhänge zu erkennen und ein wenig objektiv zu sein. Aber dann könnte man feststellen, daß die Welt doch ein wenig komplexer ist und die gewohnte Lust, ohne Verstand gleich auf die Gegenseite verbal oder anderweitig loszuprügeln, entfällt in diesem Falle.

    • @Peter A. Weber:

      Aha. Was heißt das konkret bezüglich der Fragestellung? Soll man rassistische Übergriffe nicht zusammenzählen, um ein Lagebild zu gewinnen? Darf man auf keinen Fall sein Weltbild bestätigen, nach dem Rassisten Idioten sind . und z.T. brutal? Ist das unterkomplex?

  • Immer nur die bösen bösen Rechten. Von den täglichen Übergriffen von Asylanten berichtet man hier nicht so gern. Allein heute wieder eine Vergewaltigung in Moosburg, Gewalt und sexuelle Übergriffe in Berlin, belästigende und brutale Gruppen in der Münchner UBahn... Endlos erweiterbar.

     

    Darüber könnte man doch auch mal einen schönen Artikel machen. Aber das wird nie passieren. Genauso wie mein Kommentar wieder mal im Nirgendwo verschwindet.

     

    Realität passt immer weniger mit dem linken Weltbild zusammen. Da muss man immer fester die Augen vor der Wahrheit verschließen!!!

     

    Weiterhin viel Erfolg dabei

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @Thorsten Pauli:

      Ich stimme Ihnen zu: Die Rechten sind ja deswegen auch als die Bösmenschen bekannt. De Maiziere warnte gestern die Afghanen sogar, nach Deutschland zu kommen (weil sie hier von Rechtsradikalen zusammengeschlagen würden).

      Und Sie haben auch recht, daß (umgekehrt, wie es Ihrem Kommentar ging, der 'im Nirgendwo' verschwunden ist) die rechtsradikale Gewaltspirale in Moosburg, Berlin, Villingen und anderswo (und in Sachsen sowieso) richtig aufblüht hierzulande. Der Frühling ist noch nicht da, aber die Nazis blühen schon. Rechtsradikalismus ist richtig 'angesagt' in Deutschland.

    • @Thorsten Pauli:

      Und noch so ein Verschwörungstheoretiker.

      Wahrscheinlich wird demnächst noch behauptet, die Antifa macht Anschläge auf Ayslbewerberheime....

      Wenn man sein Weltbild hat, kann das wohl auch nicht durch Fakten verändert werden.

    • @Thorsten Pauli:

      Streu keine falschen Gerüchte! Wie lange wills du dich denn noch von Rechtsradikalen verarschen laßen mit solchen Gerüchten verarschen lassen?

       

      Es ist ja schon mal ein guter Ansatz, dass du die Medien kritisch hinterfragst! Es ist meistens recht einfach falsche Gerüchte zu erkennen. Eine einfach google-Suche reicht meist schon aus. Wikipedia kann auch helfen.

       

      Hier ist ein ganz guter Beitrag über typische Gerüchte, die gestreut werden: http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Medien-Machtlos-gegen-Fluechtlingsgeruechte,geruechte108.html

    • 2G
      24636 (Profil gelöscht)
      @Thorsten Pauli:

      "Da muss man immer fester die Augen vor der Wahrheit verschließen!!!"

       

      Zwei Ausrufezeichen haben sich noch... bis zu den Mistgabeln. Machen sie was draus. Good night and good luck!