piwik no script img

Altersgrenze für Social MediaDas falsche Verbot

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Wer unter 16 ist, soll Apps wie Tiktok nicht mehr nutzen dürfen – das fordert nun auch die Bildungsministerin. Besser wäre etwas anderes.

Besser wäre es, den Handykonsum an Schulen viel früher und konsequenter zu begleiten Foto: Pancake/imago

E s ist gut, dass die neue Bundesregierung endlich gegen den enthemmten Social-Media-Konsum vorgehen will. Zu grell treten mittlerweile die Schattenseiten des ständigen Onlineseins hervor: Grundschulkinder wollen sich nicht mehr bewegen, Jugendliche sind im Dopaminrausch gefangen. Und Tiktok & Co spülen ungefiltert wie nie zuvor Rassismus, Frauenhass und Gewaltverherrlichung in die Teenie-Feeds. Leider zieht das Kabinett Merz aus dieser Realität die falschen Schlüsse: Wer unter 16 ist, soll Apps wie Snapchat und Instagram künftig nicht mehr nutzen dürfen. Das forderte – nach Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) – nun auch Bildungsministerin Karin Prien (CDU).

Eine Altersgrenze für Social Media würde jedoch wenig helfen – schon deshalb, weil sie technisch schwer umzusetzen ist, wie ein Blick nach Australien zeigt. Ob eine EU-weite App zur Altersüberprüfung, an der Brüssel derzeit arbeitet, hier die Lösung bringen kann, bleibt abzuwarten. Doch selbst wenn es Europa gelingt, wäre ein Altersverbot kein guter Weg. Schließlich würden die problematischen Folgen von Social Media dadurch nicht verschwinden, sondern im besten Fall nur aufgeschoben.

Wahrscheinlicher ist es, dass Jugendliche das Verbot, genau wie in Australien, umgehen. Dann hätte die Bundesregierung lediglich erreicht, dass die bisherigen Bemühungen an Schulen, frühzeitig einen gesunden Umgang mit Social Media zu vermitteln, konterkariert oder ganz eingestellt würden – es gibt ja das Verbot. Was das für die digitalen Kompetenzen der Jugend bedeuten würde, kann man sich leicht ausmalen. Und wie so oft wären davon vor allem die Kinder betroffen, die zu Hause weniger Unterstützung erhalten.

Besser wäre es, den Handykonsum an Schulen viel früher und konsequenter zu begleiten. Wenn heute schon Erst­kläss­le­r:in­nen Smartphones besitzen, darf der kritische Umgang damit nicht bis zur fünften oder siebten Klasse warten. Und: Die Politik muss die Konzerne in die Pflicht nehmen. Die Plattformen, die suchthaftes Verhalten, psychische Krankheiten und Radikalisierung in Kauf nehmen, sollten ein Verbot fürchten – nicht die Nutzer:innen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • "Schließlich würden die problematischen Folgen von Social Media dadurch nicht verschwinden, sondern im besten Fall nur aufgeschoben." - Stimmt so nicht. Ab einem gewissen Alter ist das Gehirn resilienter gegen den Social-Media-Terror. Die legitimen Fragen nach der Verantwortung der Konzerne und der praktischen Umsetzbarkeit bleiben davon unberührt. Wir Erwachsenen dürften uns im Übrigen auch mal kritisch befragen: was für Vorbilder sind wir? Wenn ein Leben mit extrem eingehegter Nutzung von Smartphone und Social Media für die Eltern denkunmöglich ist, müssen wir uns über die Kinder nicht wundern - und sollten uns auch nicht empören.

  • Mein Gott, was solls, Rom ist auch an der Dekadenz zugrunde gegangen.

  • Bitte meinen Vergleich nicht falsch verstehen, aber der ganze Diskurs ist absurd, denn ein Junkie (Erwachsene) verbietet einem anderen Junkie (Kinder, Jugendliche) Drogen (Technik, Soziale Medien) zu konsumieren, während er nicht nur dabei konsumiert, sondern auch produziert. Dieser Diskurs ist nix anderes als der Versuch die Kinder von uns Erwachsenen zu schützen. Wir Erwachsenen sind das Problem und nicht die Kinder. Wir Erwachsenen sollten einen kalten Entzug machen, bevor wir die Kinder für unsere eigene Sucht bzw. Fehler bestrafen. Was ist das erste Symptom für Sucht: Süchtig bin ich nicht. Süchtig ist der andere! Politisch betrachtet: der Süchtige mit Macht verbietet dem Süchtigen ohne Macht den Konsum, während er weiter konsumiert.

  • Ich arbeite in der Familienhilfe. Besonders Kinder, wo die Eltern nicht die Ressourcen haben, ihre Kinder zu beaufsichtigen, zu motivieren etc. sind besonders viel vor den Bildschirmen. Meiner Meinung verschärfen soziale Medien soziale Unterschiede.



    Ich denke, dass es wichtig ist, die Nutzung von Sozialen Medien sowohl schulisch zu begleiten als auch eine Altersbeschränkung einzuführen. Zudem sollten die Betreiber viel stärker reguliert werden. Außerdem sollte über öffentlich rechtliche Alternativen nachgedacht werden.

  • Ja oder man verbietet TikTok und Instagram einfach ganz.



    Warum nicht das Internet regulieren?

    Smartphones würden die Kinder auch ohne Social Media schon im Grundschulalter nutzen. Wir hatten ja auch unsere GameBoys. Gut, die Spiele waren besser. Auch deswegen ----> regulieren.

  • Treffend analysiert. *Alle* Social Media Plattformen betreiben extrem hohen Aufwand, um zu erreichen, dass die Nutzer möglichst viel Zeit auf der Plattform verbringen - mit anderen Worten: süchtig werden. Einige Plattformen werden zudem gezielt für Heranwachsende attraktiv gemacht. Diese zu kriminalisieren, wenn sie die Plattformen trotz Verbots benutzen und gleichzeitig unsere Aufklärungsmöglichkeiten in der Schule einzuschränken, ist der verkehrte Weg. Längst nicht alle Eltern sind in der Lage, Ihren Nachwuchs geeignet an diese Plattformen heranzuführen. Bis diese erkennen, dass die Kinder in ein Problem laufen, ist in einigen Fällen der Zug längst abgefahren.

    • @Karl Schmidt:

      "Längst nicht alle Eltern sind in der Lage, Ihren Nachwuchs geeignet an diese Plattformen heranzuführen"



      Und warum sollen die Schulen dazu in der Lage sein? Das ist doch illusionär.

      Ja, ein leicht zu umgehendes Verbot hat viel Symbolcharakter und löst die Probleme alleine nicht.

      Wirklich lösen kann man es wohl nur, wenn man an den Algorithmus geht. Aber das halte ich in unserem politischen System für auch für illusionär.

      Ein Verbot ist damit in meinen Augen noch ein realistischer Weg - wenn auch mit eingeschränkter Auswirkung.

      Zu den Schulen: hier ist einfach entscheidend, dass es dort ein absolutes Handyverbot gibt, mit Abgabezwang. Steht übrigens auch auf der Agenda von Prien.

  • Handynutzung an Schulen zu "begleiten" ist aufwendig. Das kann man nicht schaffen. Bürdet den Schulen nicht noch mehr Aufgaben auf bitte, die sind doch schon überlastet!

    Eine angemessene Alternative für diese Altersgrenze wäre schlicht ein Handyverbot: Handys FSK16, wie Bier! Eine Petition ähnlicher Art gibt es schon.

    Oder noch besser sollte personalisierte Werbung in der EU komplett verboten werden. Dann hätten die üblichen Werbeplatformen kaum noch Anreiz für ihre Existenz und ihre schädlichen Algorithmen.

    Ein Verbot ist sehr sinnvoll, weil man sich so Zeit verschafft damit unsere Gesellschaft nicht von der Technologie überrollt wird.

  • „Doch selbst wenn es Europa gelingt, wäre ein Altersverbot kein guter Weg. Schließlich würden die problematischen Folgen von Social Media dadurch nicht verschwinden, sondern im besten Fall nur aufgeschoben.“

    Zum Vergleich und Verständnis: „Eine Altersgrenze für Alkoholkonsum wäre kein guter Weg. Schließlich würden die problematischen Folgen von Alkoholkonsum dadurch nicht verschwinden, sondern im besten Fall nur aufgeschoben.“

    An der zweiten Variante kann man hoffentlich erkennen, warum die erste schlecht ist. Alkohol ist für sich entwickelnde Gehirne schlecht. Auch Sozialverhalten wird in der Jugend geprägt. Wenn junge Erwachsene nicht trinken, beginnen sie vielleicht auch später nicht damit. Wenn sie sich ihre Gehirne noch nicht zerstört haben, ist das sehr gut.

    Es gibt Kinder, die fünf bis acht Stunden am Tag (!!) an ihren Geräten hängen. In dieser Zeit kann sich ihre Persönlichkeit nicht entwickeln. In dieser Zeit können sie nichts vom Schulstoff lernen. Das ist einfach Zeit für Verblödung. Tote, verschenkte Zeit. Und das im Alter von 10, 11, 12 bis 16.

  • Ich hatte (als Lehrer - bis Sommer 2023 - für Ethik, Geschichte, Sozialwissenschaften) körperliche Schmerzen beim Lesen des Artikels.



    Zunächst: "Wahrscheinlicher ist es, dass Jugendliche das Verbot, genau wie in Australien, umgehen."



    Das müssen sie aktuell gar nicht, da das Ende 2024 beschlossene Verbot erst Ende des Jahres 2025 in Kraft tritt. Was für ein grober Fehler.



    Dann: Warum sollte man Kinder in der Schule nicht trotz eines Verbotes der Nutzung von sozialen Netzwerken auf den Umgang (dann ab 16) vorbereiten können? Ich habe SchülerInnen auch auf die Beteiligung an Bundestagswahlen und die Chancen und Risiken der Börse vorbereitet, ohne dass sie schon wählen/investieren konntnn!



    Zuletzt: Wie zum Teufel soll denn KONKRET der "kritische Umgang mit Smartphones" in der GRUNDSCHULE aussehen? Das sind in dieser Allgemeinheit immer Forderungen, die mich wütend machen, weil sie zeigen, dass der Autor keine Ahnung von der Schulwirklichkeit hat ... und sich auch gar nicht anstrengt, eine Idee zu entwickeln.



    Kein Wunder, wenn nicht einmal zu Australien sauber recherchiert wurde.

  • Wer unter 16 ist bekommt weder eiene Prepaidkarte noch einen Internet Vertrag. Also sind es in der Regel die Eltern die ihren Sprösslingen Zugang gewähren. Die haben sich dann auch gefäligst darum zu kümmern entsprechende Inhalte zu sperren,

  • Noch toller wäre es, wenn man Räume für Kinder und Jugendliche schaffen würde, vor allem in unseren Städten, wo sie sich treffen, betätigen, sein können. Frei, gewollt, selbstbestimmt. Sporträume, Musikräume, Kunsthäuser, Werkstätten, Natur. Am besten kostenlos. Die Kinder und Jugendlichen flüchten sich in eine andere Welt, die bunt, verrückt und vielfältig ist. In der Realität heißt es aber leider immer noch viel zu oft „Nicht berühren“ oder „Rasen betreten verboten“. Die Gesellschaft fühlt sich zunehmend überfordert. Auch Eltern fühlen sich überfordert oder sind schon selbst im social media gefangen. Sie sind zu oft froh, wenn ihre Kinder ruhig sind und nicht quengeln. Das wird ein riesen großer Bumerang, der da auf uns zufliegt.

  • An diesen sog. sozialen Medien ist nichts "sozial" es geht schlicht um Geld, man zahlt mit seiner Zeit und seinen Daten. Einfach abschalten den Mist. Mir ist jetzt außer grundloser Anfangseuphorie kein positiver Effekt bekannt.

  • Im Übrigen bin ich für eine Social-Media-Altersgrenze, und schlage 60 (statt 16) Jahre vor.



    Aber U60 oder Ü60? Tja. Spannende Frage, nicht wahr?

  • "Besser wäre es, den Handykonsum an Schulen viel früher und konsequenter zu begleiten."

    Ja natürlich wäre das besser. Aber das kostet doch GELD! Ein Verbot ist ein schönes Symbol und kostet NIX! Also die ideale Politiksimulation für Austeritätsfetischisten!

  • Aha.



    Es wäre schön, wenn Sie auch ausführen würden, wie denn diese Begleitung oder der kritische Umgang damit aussehen soll.

    Ich gebe mal einen Tipp:



    Keine Social Media Apps, Zeitlimits und Einsichtnahme durch die Eltern.



    Wie soll Schule so etwas leisten?



    Falls Sie mit kritischem Umgang meinen, man solle den Schülern sagen, worin die Gefahren liegen? Geschenkt. Das ist komplett nutzlos.

    Karin Prien hat es heute früh im Deutschlandfunk gut gesagt: die Kinder sind schlicht nicht in der Lage damit verantwortungsvoll umzugehen - Alkohol ist ja z.B. auch nicht für Kinder erlaubt - damit sie den Konsum kritisch begleitet bekommen.

    Machen wir es uns klar: Social Media macht süchtig!

  • Ja, Plattformen gesetzlich dazu verpflichten dass Minderjährige keine ungeeigneten Inhalte zu sehen bekommen. Ausserdem eine Altersgrenze für die Nutzung.



    Wenn die Plattformen das nicht umsetzen können oder wollen: Netzsperre.



    Wen man konsequent sein wollte, wäre es gar nicht so schwierig.

  • Selektive Nutzungsverbote von Handys und Sozialen Medien lassen sich kaum durchsetzen und nicht kontrollieren. Den Handykonsum an Schulen viel früher und konsequenter zu begleiten, greift zu kurz, setzt viel zu spät und an der falschen Stelle an. Wir brauchen eine umfassende kritische Medienbildung, damit schon Kinder lernen, die Techniken und Gestaltungsmittel der diversen Medien zu durchschauen. Der ideale „Ort“ dafür wäre der ÖRR, aber der macht genau das Gegenteil, nutzt die ganze Bandbreite medialer Gestaltungsmittel, mittlerweile auf allen möglichen Verbreitungswegen, um sein Publikum in allen Altersklassen bei Laune und bei der Stange zu halten. Die wohlfeile Kritik an den Sozialen Medien in den ÖRR kann von eigenen „Verfehlungen“ nicht ablenken. „Morgen analoge Ausstrahlung, jetzt schon in der Mediathek und noch mehr Bespaßung mit der App und auf Social Media: ÖRR-Medienspektakel.“