Altersdiskriminierung: Der dümmste Satz
„Sie sieht jünger aus.“ – ernsthaft? Frauen brauchen keine falschen Komplimente, sondern Anerkennung und Respekt.
J etzt habe ich ihn wieder gelesen – diesen Satz, der zwischen A und Z alles auf den Punkt bringt. Zwischen dem Anfang, wo die Krone der Schöpfung steht, und dem Ende, wo die Krone der Schöpfung das Maß aller Dinge ist. Durch die Augen der Krone der Schöpfung wird Maß genommen. Das Ergebnis steht in den Zeitungen und lautet so: „Sie sieht jünger aus.“
Nochmal zum Mitschreiben: „Sie sieht jünger aus.“
Ich sage jetzt nicht, in welchem Leitmedium der Satz dieses Mal stand. Stattdessen habe ich ein paar Fragen, denn das hier ist ein Mitmachtext:
Wie alt denken Sie, ist die Frau, über die gesagt wird, sie sehe jünger aus?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Und glauben Sie, dass es die Frau freuen wird, wenn sie liest, sie sehe jünger aus, als sie ist?
Interessant wäre auch zu erfahren, wer es schrieb? Ein Mann oder eine Frau? Wie alt kann ein Journalist maximal sein, um so einen Satz zu schreiben? Uralt? Wie alt die Journalistin? Jung?
Überhaupt: Was genau will er/sie uns mit dem Satz sagen, und was sagt er/sie uns in Wirklichkeit?
Genug Fragen für ein abendfüllendes Seminar. Wenn sie beantwortet sind, wird den Kronen der Schöpfung keine Zacke fehlen, denn es geht nicht darum, die Männer ins Unrecht zu setzen. Es geht darum, den Blick auf die Tradierung falscher Bilder zu lenken. Und es geht darum, für die ältere Frau Würde, Schönheit und Respekt einzufordern. Sie soll nicht in der Unsichtbarkeit verschwinden, sobald sie so alt aussieht, wie sie ist. Es soll kein „Verschwindefluch“ auf ihr liegen, wie die ehemalige taz-Chefredakteurin Bascha Mika einst schrieb.
Es ist doch so: Frauen werden nach ihrem Äußeren beurteilt. Wie sie aussehen sollen, ist dabei vorgegeben. Schön sollen sie sein, das versteht sich von selbst, ungeachtet dessen, wie Schönheit kodiert ist. Aber vor allem sollen sie jung sein. Sonst müsste die Phrase, sie sieht jünger aus, nicht verwendet werden. Als täte eine Rechtfertigung Not, warum über die Frau geschrieben wird. Würde sie alt aussehen, verlöre sie medial an Gewicht. Wo ist die News? Da ist ’ne Alte, die sieht jung aus und macht das und das. Versus: Da ist ’ne Alte, die sieht alt aus und macht das und das. Es ist, als müssten Frauen ihr gelebtes Leben leugnen, um Anerkennung zu bekommen.
Ich will mich hier nicht im Lamentieren verlieren. Aber Fakt ist, die Abwertung und Ausgrenzung älterer Frauen in unserer Gesellschaft ist ein Skandal und ein Satz wie „Sie sieht jünger aus“ zeigt, wie die Ausgrenzung medial eingebrannt, wie sie vervielfältigt und weitergegeben wird.
Wenn ein Autor über eine Frau schreibt, sie sieht jünger aus, dann wird sein unhinterfragtes Credo zum Richterblick. Und wenn eine Autorin es schreibt, dann leugnet sie die Transition der Zeit, die ihrem eigenen Geschlecht widerfährt.
Die Missachtung älterer Frauen erfährt jede Frau, wenn sie jenseits der fünfzig ist. Und ist sie noch älter, wird es noch schlimmer, denn dann kommen all die Geschlechterungerechtigkeiten erst richtig zum Tragen. Armut etwa. Weil es einen Gender-Pay-Gap gibt, weil es eine gläserne Decke gibt, weil Care-Arbeit auf den Schultern von Frauen lastet, weil Frauenberufe schlechter bezahlt sind. Es müsste bei der Rente einen Geschlechterdiskriminierungsausgleich geben.
Arm, hässlich, alt – das wird älteren Frauen zugeschrieben. Im Zuge der Identitäts- und Diskriminierungsdebatten fällt zumindest in den USA der Blick auf uns. Aktivistinnen melden sich zu Wort. Wartet, bis wir lauter werden.
Denn, Journalismuskolleg:innen, arm, hässlich und alt, das muss nicht so bleiben. Guckt ältere Frauen an. Guckt uns an. Und wenn ihr uns anschaut, dann seht euch. Wir sind eure Antithese. Mannsein wird an der Abwertung des Frauseins aufgewertet. Und Jungsein wird aufgewertet an der Abwertung älterer Frauen. Ihr seid nicht jung, weil ihr jung seid, ihr seid jung, weil wir alt sind und ihr auf uns herabschauen dürft.
Wenn ihr das kapiert, dann wird klar, dass das Schönheits- und Jugendlichkeitsdiktat nichts als Bullshit ist. Denn wenn ihr nur jung seid, weil wir alt sind, dann tradiert ihr das patriarchale System und habt nie versucht, die Gesellschaft moderner und gerechter zu machen. Damit aber seid ihr selber alt. Waltraud Schwab
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen