Aktivistin über Agrarindustrie: „Irgendwann wird sich das System selbst zerstören“
Die Aktionstage gegen das Agrarsystem touren von Bremen zum Futtermittel-Hafen in Brake. Gefordert wird eine pflanzenbasierte Landwirtschaft.

taz: Frau Schreiner, warum ist Bremen ein passender Ort, um ein Zeichen für eine gerechte Landwirtschaft zu setzten?
Katja Schreiner: Weil es ein Ort der Zerstörung ist. Zwischen Bremen und Oldenburg, und überhaupt ganz Niedersachsen, gibt es enorm viel Massentierhaltung. In Brake ist der größte Importhafen für Futtermittel. Das bringt viele Leidtragende und ökologische Schäden mit sich.
taz: Was genau meinen Sie?
Schreiner: Einerseits, dass für die Futtermittel, vor allem für Soja, Regenwald zerstört wird. Zudem geht der Sojaanbau mit der Verwendung vieler Chemikalien einher. Und die Menschen arbeiten unter ganz schrecklichen Bedingungen. Auch ganz allgemein ist es so, dass Fleischproduktion einfach viel, viel mehr Energie und Ressourcen kosten, als die Herstellung pflanzlicher Produkte. Unter anderem durch die enormen Transportwege der Futtermittel.
taz: Aber die hiesige Landwirtschaft braucht doch die Importe oder?
Schreiner: Die Industrie und Massentierhaltung vielleicht. Aber wir brauchen kein Fleisch, vor allem nicht in diesen Massen. Wir brauchen auch keine Landwirtschaft, die so viel auf Futtermittelimporte setzt, sondern eine vielfältige Landwirtschaft, die größtenteils pflanzenbasiert ist und aus lokalen Kreisläufen besteht.
taz: Also am besten keine Importe mehr, um die Tierindustrie nicht zu unterstützen?
Schreiner: Genau. Wenn wir auch nur ansatzweise die Klimaziele einhalten wollen, müssen wir sowieso die Massentierhaltung und die Fleischproduktion zurückfahren. Den Regenwald weiter zu zerstören, ist einfach komplett die falsche Richtung.
taz: Deshalb sind sie auch gegen die Weservertiefung?
Schreiner: Die Weser würde vertieft werden, damit noch größere Schiffe Futtermittel in Brake importieren können. Es wird also verstärkt, was sowieso schon ökologischer Wahnsinn ist. Wie auch bei der Elbe schon zu sehen ist, wird es durch die Vertiefung zu Verschlammung kommen und die Salzgrenze wird sich weiter verschieben. Das hat viele lokale Auswirkungen im Zusammenhang mit einem global sowieso sehr zerstörerischen agrarindustriellen System.
taz: Wie könnte eine gerechte Landwirtschaft aussehen?
Schreiner: Bei Landwirtschaft geht es auch immer darum, wem der Boden gehört, und wer das Recht hat, den Boden zu nutzen und zu produzieren. Da sind auch politische Regelungen gefragt. In den letzten Jahrzehnten ist es immer mehr dahin gegangen, dass es sehr wenige, sehr große Konzerne gibt, die eine starke Kontrolle über den Boden, Patente und Saatgut haben. Dadurch wird die kleinbäuerliche Landwirtschaft immer weiter zurückdrängt. Und das ist es, was wir eigentlich brauchen, kleinbäuerliche, vielseitige, lokale, ökologische Landwirtschaft.
Camp und Aktionstage „Disrupt. Food System“, u.a. mit Radtour nach Brake, 9. bis 13.10., Bremen, Neustadtswallanlagen
taz: Was muss passieren, um das umzusetzen?
Schreiner: Also auf jeden Fall müssen die Subventionen in die richtige Richtung gehen. Genau die großen Konzerne profitieren momentan von den Steuergeldern. Das darf so einfach nicht sein. Auch über Besteuerung von Lebensmitteln kann gerechte Landwirtschaft gefördert werden. Pflanzliche Nahrungsmittel sollten möglichst gering besteuert werden, während tierische Produkte und vor allem Fleisch einfach den Preis haben sollten, der abbildet, was für Kosten die Umwelt dadurch trägt. Mal ganz abgesehen von dem Tierleid.
taz: Ist das realistisch?
Schreiner: Irgendwann wird sich das System in gewisser Hinsicht selber zerstören, weil wir Teil eines Ökosystems sind. Wenn wir weiter so brutal mit Boden, Wasser, und den Lebensgrundlagen umgehen, wird es irgendwann an seine Grenzen kommen.
taz: Lohnt es sich deshalb, gerade jetzt dafür zu kämpfen?
Schreiner: Es lohnt sich, zu kämpfen und es lohnt sich, an Alternativen zu arbeiten. Wir brauchen verschiedene Menschen, Aktivtische, Landwirtschaftliche, Umweltschützende, um für diese Ernährungsgerechtigkeit, diese Ernährungswende einzutreten.
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