Aktivisten fünf Tage in Gewahrsam: Terrorabwehr gegen Umweltschützer
Zum ersten Mal wurde ein Teil des Polizeigesetzes in Nordrhein-Westfalen angewendet. Jedoch nicht nur zur konkreten Gefahrenabwehr.
Am Morgen des vergangenen Samstags waren sieben AktivistInnen auf das RWE-Gelände des Tagebaus Garzweiler eingedrungen. Die Besetzung dauerte nicht lange: Laut Polizeiangaben verließen sie nach Aufforderung freiwillig den Bagger. Anschließend begannen Ermittlungen wegen Hausfriedensbruchs; die AktivistInnen nahm man zur Identitätsfeststellung mit. Sie hatten sich die Fingerkuppen verklebt.
Nach alter Rechtslage hätte der Gewahrsam zu diesem Zweck maximal zwölf Stunden dauern dürfen, auch Untersuchungshaft wäre nicht möglich gewesen. Hausfriedensbrüche seien Bagatelldelikte, so die Aachener Staatsanwaltschaft. In vergleichbaren Fällen Haftbefehle zu beantragen, hatten die zuständigen Staatsanwaltschaften in NRW bisher abgelehnt. Auf Grundlage des Polizeigesetzes verordnete nun jedoch ein Richter des Amtsgerichts Erkelenz auf Antrag der Polizei Aachen einen vorläufigen Gewahrsam von fünf Tagen.
Dabei gilt das Polizeigesetz nur zur Gefahrenabwehr, also zur Verhinderung bevorstehender Straftaten – nicht zur Strafverfolgung bereits erfolgter Delikte. Anwendbar sei die Gefahrenabwehr aber auch auf Straftaten, die vielleicht in unbestimmter Zukunft erfolgen könnten, sagte ein Sprecher des Gerichts Erkelenz der taz. „Der Kleber auf den Fingerkuppen war eine gezielte Vorbereitungshandlung. Daraus ergibt sich, dass in Zukunft weitere Straftaten unter dem Deckmantel der Anonymität erfolgen könnten.“ Die Gefahr muss nicht konkret, die „bevorstehende“ Straftat noch nicht mal geplant sein.
Polizei nutzt Gesetz auch zur Strafverfolgung
Drei AktivistInnen blieben fünf Tage in Gewahrsam, obwohl ihre Fingerabdrücke bereits am vierten Tag erfasst worden waren. „Der Gewahrsamsantrag bezog sich ausdrücklich auf das Nehmen der Fingerabdrücke“, kritisiert Christian Mertens, der Anwalt der AktivistInnen. „Das war der Zweck des Gewahrsams laut Gericht, und diese Abdrücke hat die Polizei seit Mittwoch. Trotzdem hat man meine Mandanten nicht freigelassen. Wegen ‚weiterer strafprozessualer Maßnahmen‘.“
Eigentlich gilt für die Ermittlung wegen bereits geschehener Delikte nicht das Polizeigesetz, sondern die Strafprozessordnung. Die erlaubt zur Feststellung der Identität nach wie vor nur einen Gewahrsam von bis zu zwölf Stunden. „Aber die Polizei nutzt das neue Gesetz so, dass sie sagt, alles sei Gefahrenabwehr“, sagt Mertens. „Wer will ihr das Gegenteil beweisen? Das ist genau das, wovor Bürgerrechtler gewarnt hatten.“
Dass die Polizei das Polizeigesetz nicht nur zur Gefahrenabwehr nutzt, bestätigte ein Sprecher der Polizei Aachen gegenüber der taz. Er sagte, dass man den Gewahrsam auch zur Strafverfolgung nutze. Es sei ein „Mischsachverhalt“. „Natürlich ergreifen wir auch strafprozessuale Maßnahmen. Strafverfolgung schließt Gefahrenabwehr nicht aus.“ Dass man die AktivistInnen trotz erfolgter Erfassung der Abdrücke nicht entlassen habe, liege daran, dass man sie auch jetzt noch nicht identifiziert habe. Und die Identifizierung, nicht die Abdrücke seien der Zweck des Gewahrsams, so der Sprecher.
Gewahrsam sollte sogar noch verlängert werden
Die Frist des angeordneten Gewahrsams endete am Donnerstag, den 14. Februar, um 12 Uhr. Einige Stunden vorher hatte die Polizei Aachen einen Antrag vorbereitet, um den Gewahrsam auf die maximal mögliche Dauer laut Polizeigesetz zu verlängern: sieben Tage.
„Die Polizei hat beim zuständigen Richter angerufen“, sagte der Sprecher des Amtsgerichts Erkelenz. „Sie wollten wissen, ob der Antrag auf Verlängerung Aussicht auf Erfolg haben würde. Das hat der Richter verneint. Hintergrund der Bemessung der Gewahrsamsdauer war ja das Ablösen des Klebers von den Fingerkuppen. Die Polizei hat sich dann entschieden, keinen Antrag zu stellen.“ Am Donnerstag wurden die drei AktivistInnen daher gegen 12 Uhr fristgerecht aus dem Gewahrsam entlassen.
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