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Aggressionen im StraßenverkehrNegative Energie

Ich musste mit meinem Fahrrad auf den Bürgersteig ausweichen. Daraufhin stellte sich mir dieser Mann in den Weg – mit seinem ganzen Zorn.

Wir bestimmen, wo's lang geht – zumindest bei Ärger im Alltag Foto: dpa

D ie Kraft des Gegners nutzen, heißt es im Kampfsport. Ich hätte die Kraft umleiten sollen, gegen ihn selbst. Mein Herz klopft. Ich spüre Wut. Was ist gerade bloß passiert? Hätte ich doch. Wäre er nicht. Nein. Es ist passiert.

Rewind: Ich fahre auf dem Rad zu einem Termin. Dicht neben mir auf der Straße fahren Autos. Dann: ein Hindernis. Ein Müllauto steht vor mir auf der Straße, daneben ist eine Baustelle. Ich kann nicht ausweichen, ich würde in die Gegenspur geraten. Ich fahre auf den Gehweg und verlangsame. An den Gehsteig grenzt eine Konditorei. Menschen warten dort bis heraus zum Bürgersteig. Ein älterer Mann ist der Letzte in der Reihe. Er trägt eine grüne Barbourjacke, edle Slipper-Schuhe, auf der Stirn hat er ein einzelnes Pflaster kleben.

Mit funkelndem Blick baut er sich mir gegenüber auf: „Ihr jungen Leute“, sagt er, „ihr macht einfach, was ihr wollt.“

Ich versuche, ruhig zu bleiben. „Ich fahre sofort vom Gehsteig, wenn sie mich vorbeilassen“, sage ich und zeige zur Seite, wo der Bürgersteig abgesenkt ist.

Er bleibt vor mir stehen. „Sie dürfen hier nicht fahren.“

„Schauen Sie doch, was dort ist.“ Ich zeige zum Müllauto, der Baustelle. Aber er sieht nicht hin. Er will gar nicht, dass ich möglichst schnell runter bin vom Gehsteig. Er will, dass ich ihn höre. Er will gesehen werden, etwas in mir ändern. Es geht um die Regel, die ich überfahren habe. Er weiß, er hat Recht. Ja. Ich darf hier nicht sein mit dem Rad, egal wie gefährlich die Straße ist. „Sie dürfen das nicht!“ Sein Ton wird lauter. Jetzt kippt die Situation. Moment...

Negatives in Positives umdeuten

Pause: Was hat er noch mal gesagt? Ganz am Anfang? Ja: „Ihr jungen Leute.“

„Junge Leute?“ Er hält mich für jung. Dabei gehöre ich vom Alter nicht mehr zu den sogenannten jungen Leuten, die so oft von den älteren als ungehörig dargestellt werden. Die sich angeblich verantwortungslos alle Freiheiten herausnehmen. Weil ich die Regel breche, muss ich jung sein. Das ist eine Diskriminierung der Jungen. Aber in diesem Satz lag auch die Kraft, die ich hätte nutzen können: „Ihr jungen Leute.“

„Danke für das Kompliment“, hätte ich rufen können. Seine negative Energie positiv umleiten. Ihn anlächeln. Aus seinem Vorwurf ein Kompliment machen. „Jung. Wie nett von Ihnen“ – eine lockere Judorolle, maximale Wirkung bei minimalem Aufwand.

Ich bin die Lokführerin im Führerhaus, vor der sich die Schienen teilen. Ich kann meine Spur wählen. So wie er etwas in mir sehen will, suche ich mir aus, was ich von ihm wahrnehmen möchte. Im Einkaufsladen nehme ich ja auch nicht alles, was mir angeboten wird. Die Stimmung des anderen muss mich nicht bestimmen. Doch unsere Situation ging weiter.

Play: „Wenn Sie jetzt zur Seite rücken, fahre ich sofort vom Gehsteig.“

Der Mann krakeelt. Ich fahre vorbei. Er ruft mir hinterher. Er hat verloren, ich habe verloren

Der Mann schaut mich wütend an. Mit seinem Pflaster auf der Stirn sieht er aus, als komme er bereits aus einem Kampf. Unmerklich, nur ein paar Zentimeter, rückt er an mich heran. Ich spüre seine Aggression. Er sieht aus, als wolle er mich gleich schlagen. Eine Frau in der Schlange schaut uns zu. Sie wirkt irritiert, aber nicht involviert. Sie wird mir nicht helfen, wenn er jetzt zuschlägt, denke ich.

Die Schlagkraft des anderen nutzen. Die negative Energie zurückstoßen. „Siegen durch Nachgeben.“ Der Mann krakeelt. Ich mache einen Schlenker um ihn herum, fahre vorbei und zurück auf die Straße. Er ruft mir hinterher. Er hat verloren, ich habe verloren. Er ist wütend, ich bin wütend.

Forward: Ich sitze auf dem Rad. Noch Minuten später sitzt der Mann in meinem Kopf: Warum ist er so zornig? Ich versuche die Gedanken an ihn loszulassen. Weiter...

Play: Die Weiter-Taste bedeutet im Englischen gleichzeitig Spielen. Das Leben ist kein Kampf. Das Leben ist auch ein Spiel. Wir müssen nicht verhärten, wenn es um uns härter wird. Wir bestimmen unsere Möglichkeit.

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Christa Pfafferott
Autorin
Christa Pfafferott schreibt die Kolumne "Zwischen Menschen" für die taz. Sie wurde zum Dr. phil. in art. an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg promoviert. Sie hat zuvor Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und die Henri-Nannen-Journalistenschule absolviert. Sie lebt als Autorin und Regisseurin in Hamburg.
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15 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Ich bin die Lokführerin im Führerhaus, vor der sich die Schienen teilen. Ich kann meine Spur wählen."

    Tatsächlich können sich Lokführer höchst selten selbst die Weichen stellen. Ganz wie in der beschriebenen Situation.

  • Manchen Menschen macht es offenbar große Freude, sich über andere zu ärgern - ist eigentlich paradox, scheint aber zu stimmen.



    Ich persönlich versuche den täglichen Ärger zu minimieren, auch wenn ich dann in manchen unwichtigen Dingen anderen den Vortritt lasse.

  • LKW-Fahrer gegen PKW Fahrer, PKW-Fahrer gegen Radfahrer, Radfahrer gegen Fußgänger, alle gegen Rollerfahrer.

    Die Diskusionen, die allgemein zum Thema geführt werden gehen genau an der entscheidenden Frage vorbei, nämlich ob wir alle miteinander im Straßenverkehr klarkommen wollen oder ob wir uns einfach nur selbstgerecht unseren Vorteil erkämpfen wollen.

    Der Autofahrer hätte den Radweg nicht zuparken müssen, der Radfahrer hätte kurz absteigen können, der Fußgänger hätte in dieser Situation kein Fass aufmachen müssen. Am Ende kommts nicht auf die Art der Fortbewegung an, sondern auf die Art des Umgangs miteinander.

    • @Deep South:

      Das ist so wahr!

      • @Moon:

        Wahr ist aber auch, dass der vorgesehene Platz für FußgängerInnen und RadfahrerInnen in der Stadt nicht ausreicht. Dass es ein gefährliches Unterfangen ist, z.B. in Hamburg viel mit dem Rad unterwegs zu sein. Dass das FußgängerInnensein in der Stadt auch selten Spaß macht. Dass Autos sehr viel Platz brauchen und dieser Platz den anderen VerkehrsteilnehmerInnen fehlt.

        Dumm ist es, wenn die, die gemeinsam den unteren Bereich der Nahrungskette besiedeln, sich spalten lassen und gegenseitig das Leben schwer machen!

  • Schieben wäre angemessen gewesen. Ist das zu viel verlangt? Ich verstehe FußgängerInnen, die die Nerven verlieren. Geht mir manchmal auch so, weil Radfahren auf Gehsteigen jeden Tag vorkommt, also keine Ausnahmesituation ist.

  • Absteigen und schieben war absolut nicht möglich?

  • Wie @WAGENBÄR habe ich die Kolumne mit Interesse gelesen. Ich halte es für richtig, dass solche Alltagssituationen, in denen es um den Umgang mit Aggression und Regel-Verstoß geht thematisiert werden. Ja, es ist schon klar, dass Regeln nur nützen wenn sie eingehalten werden. Aber könnten bestimmte Abweichungen, wie hier geschildert, die sehr streng genommen schon Regelverstöße sind, nicht auch als irgendwie nützlich bezeichnet werden, weil sie die stressige Situation schnell auflösen? Also doch mal langsam auf dem Rad kurz über den Fußweg?



    Wichtig: Wie gehen wir eigentlich miteinander um?



    Dachte, solche LawandOrderTypen wären seit meiner Kindheit/Jugen in den 1960er 1970er Jahren ausgestorben. Sich beim kleinsten pseudo-legitimen Anlass ins Recht setzten und dann die eigene, situativ umpassende Wut dadrauf ablsassen. Puh.

    • @Moon:

      Umgekehrt machen doch aber auch Leute wie die Autorin sich ihr eigenes Privatgesetz und beharren dann noch hartnäckig darauf. Nein-ich-steig-nicht-ab-und-schiebe-ich-stehe-über-dem-Gesetz!

      • @Suryo:

        Anhalten, absteigen, das Arschloch auf dem Radweg abschleppen lassen und das andere Arschloch wegen Belästigung /Nötigung anzeigen. Juristisch korrekte Methode.

      • @Suryo:

        Ein zweites Beispiel aus meinem Viertel in der großen Großsstadt. Vordem Supermarkt. komme da raus, Einkaufstasche in der einen, Verpackungsmaterial in der anderen. Breiter Fußweg, schmaler Radweg paralell, seitlich parkende Autos, dann die "Schnellstr. Papierkorb genau auf der Kannte zwischen Parkautos und Radweg. Den will ich benutzen. Jetzt kann ich gar nicht anders, als mich auf den superschmalen Radweg stellen. Weil drübgreifen kann ich auch nicht. Behelmterfahrradfahrer kommt von mir links, sehr schnell. Weil ich die Hände gerade über den P-Korb habe kann ich vom R-Weg nicht runter. Radfahrer kanpp an mir vorbei und schlägt mir Vom Rad runter auf den Hinterkopf und zeigt mir den Stinkefinger und weg ist er. Ist mir inzwischen egal.



        Aber muss sowas überhaupt sein? Wenn schon, hätte dem Typ nicht wenigstens ein "Arschloch" ausreichen können für seinen Großkotztadel?

      • @Suryo:

        Das ist auch für mich unstrittig richtig, was Sie schreiben. Regelverstöße in Bereichen mit hohem Sicherheitsbedarf, wie eben auch Straßenverkehr, müssen deshalb vermieden werden - in Selbstverantwortlichkeit. Die fordere ich gleichermaßen von Fußgängern, Radfahrern, Autofahrern. An Regelverstöße im Kernkraftwerk z. B. oder bei Oprationen mag mal gar nicht denken...

        Mir geht es um die feigesetzten Aggressionen dabei, die so gar nicht zu manchen Anlässen passen wollen.

        Beispiel: Stadtviertel. Herbst, Stadtviertel. Straße schmal, Kopfsteinpflaster, glitischg mit Blättern. Bürgersteig sehr schmal, trocken. Fahradfahrerin kommt mir darauf entgegen. Aneinander vorbei kommen wir nicht. Stelle mich kur zwischen die parkenden Autos. Radfahrerin mit einem freundlichen Kopfnicken an mir vorbei.

        Die darf da ohne Kind eigentlch nicht fahren. Aber bei den Verhältnissen? Soll ich da jetz schimpfen. Andere waren nicht gefährdet, weil kaum jemand unterwegs so früh am Morgen.



        So etwas meine ich.

  • Schöne Kolumne.



    Es klappt halt nicht immer, so mit Judo, Selbstverteidigung und Schlagfertigkeit.



    Ich wäre mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch über den Gehweg ausgewichen. ABär: Da gehör'n fahrende Fahrräder nu' mal nicht hin. Damit is' mensch moralisch auf ehnlich niedrigem Niwo, wie der Herr Selbst-Justiziar.



    Und die gute Begründung für's verbotene Ausweichen auf den Gehweg ist genau so schlecht wie jene guten Gründe für dessen Selbstjustiz.



    Ich gebe da aber volle Punktzahl für die Autorin, die ihre Cognitive Dissonanz letztlich in jenen bezahlten Zeilen auflösen konnte.

    • @Wagenbär:

      als langjährig leidgeprüfter Fußgänger und Radfahrer in Hoheluft habe ich festgestellt, dass derartige Konflikte weitgehend ausbleiben, wenn wir uns alle - zumindest aber selbst - an die einfachsten Regeln halten: auf dem Gehweg wird das Rad geschoben (jawohl, geschoben!!!), keinesfalls werden dort FußgängerInnen weggeklingelt. Und wir laufen auch nicht ohne zu kucken auf die Fahrbahn oder auf den Radweg. Sondern wir verhalten uns höflich und freundlich, und rücksichtsvoll gemäß § 1 StVO. ist das zuviel verlangt?

    • @Wagenbär:

      Zitat: „Es klappt halt nicht immer, so mit Judo, Selbstverteidigung und Schlagfertigkeit.“

      Genau genommen klappt es sogar eher selten. Der Verstand ist halt viel langsamer als der Hormonhaushalt. Sieht aus, als hätten 25.000 Generationen Menschheitsgeschichte Spuren hinterlassen in unserem Erbgut. Wer zu lange überlegt hat im Fall eines Konflikts, der hat sehr lange nur im Ausnahmefall eine größere Chance, diese Veranlagung zu vererben. 🤷

      Davon abgesehen braucht ein Pedalritter, der genug Zeit hat, vom hohen Ross zu steigen im Falle einer Radweg-Blockade, gar keine Schlagfertigkeit. Wer wirklich sein Rad liebt und nicht nur sich selbst, schiebt es in solchen Fällen. Und wer keine Zeit hat, muss halt auf der Straße.