Afghanistan-Untersuchungsausschuss: Kanzler wirft dem BND Fehleinschätzung vor
Olaf Scholz tritt im Afghanistan-Untersuchungsausschuss als Zeuge auf: Die falsche Lageeinschätzung des BND habe zu falschen Entscheidungen geführt.
Dabei ist schon überraschend, wie das Thema Afghanistan in der Öffentlichkeit abgehakt zu sein scheint. Immerhin war der Einsatz dort, wie auch Scholz betonte, mit 17 Milliarden Euro der „teuerste“, den die Bundesrepublik je erlebte.
Scholz’ aus anderen Untersuchungsausschüssen bekannte Wortkargheit trug dazu bei, dass die Anhörung recht zäh, nur selten eindringlich oder gar kontrovers verlief. Da die Abgeordneten froh zu sein schienen, wenn sie ihm mal etwas Ausführlicheres entlocken konnten, konnte er sich die Themen dafür aussuchen.
Mehrmals betonte Scholz seine „rigide Haltung“ zu Abschiebungen nach Afghanistan. Er habe es damals „richtig gefunden, dass man so lange es geht, Straftäter nach Afghanistan zurückführt“, und er habe jetzt „dafür gesorgt, dass es wieder geht“. Ende Oktober schob die Ampel-Regierung als erste in der EU Afghanen zu den Taliban ab, 28 an der Zahl. Das hatte dann schon Wahlkampfcharakter.
Kritik daran, dass Washington die NATO-Partner inklusive Deutschland bei der Abzugsentscheidung aus Afghanistan übergangen habe, wollte er im Gegensatz zur ehemaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht üben. Sie hatte vor Scholz ausgesagt. Im Gegensatz zu ihr, die sich als „nicht mehr berufstätig“ bezeichnete, will er das als Kanzler ja bleiben. Offensichtlich will er es sich nicht mit einem potenziellen künftigen Gesprächspartner Trump verscherzen.
Scholz wirft BND falsche Einschätzung vor
Zu künftigen Auslandseinsätzen sagte Scholz, man brauche dafür „ein realistischeres Lagebild“ und „realistischere Zielsetzungen“. Er machte sich die Aussage US-Präsident Joe Bidens zu eigen, der „nation-building“ und Demokratieaufbau als zu ambitioniert bezeichnet hatte. Man müsse sich fragen, so auch Scholz, mit skeptischem Unterton, ob das „im Interesse Deutschlands“ sei.
Wiederholt warf Scholz dem Bundesnachrichtendienst falsche Lageeinschätzung vor. Auf dieser Grundlage sei „man davon ausgegangen“, dass sich die afghanische Regierung auch ohne internationale Truppen „noch sehr lange hält“. Dann sei man „immer überrascht“ gewesen, dass es mit dem Taliban-Vormarsch doch „schneller ging“. Der BND habe, so Scholz, „bis zuletzt“ gedacht, „so schnell kommt es nicht dazu, dass Kabul fällt“. Soweit er sich erinnere, seien die Einschätzungen der Partnerdienste aber „auch nicht viel besser gewesen“, relativierte Scholz. „Ich vermute, dass fast alle das Bauchgefühl hatten, das ich auch hatte, dass es auch anders kommen könne“.
Die BND-Fehleinschätzungen führten zu „falschen Entscheidungen“, so Scholz, „das kann doch niemand bestreiten.“ Bei korrekter Einschätzung „hätten wir die Ortskräfte viel schneller abziehen müssen.“ Was „möglich gewesen wäre“, sei „nicht genutzt worden“.
Kramp-Karrenbauer konstatierte, wenn man den Kreis der nach Deutschland Einreiseberechtigten „früher erweitert“ und sie mit Charterflügen ausgeflogen hätte, für die sie sich eingesetzt habe, „hätten wir nicht so viele Ortskräfte zurücklassen müssen“. Das ist zwar ehrlich, hilft den Zurückgelassenen aber nicht mehr. Auch Scholz fand die Evakuierung der Ortskräfte „nicht zufriedenstellend“.
Scholz hätte zu mehr Aufklärung beitragen können
Nicht nur der BND lag falsch. Kramp-Karrenbauer legte dar, dass das Auswärtige Amt (AA) und das Entwicklungsministerium (BMZ) bis kurz vor Schluss „darauf verzichtet“ hätten, ihre Ortskräfte ausfliegen zu lassen. Dem Ausschuss wird langsam klar, warum das so war. Sara Nanni, Grünen-Obfrau im Ausschuss, sprach von einer „Wahrnehmungslücke“. Der taz erklärte sie, das AA habe sich „zu sehr“ auf seine zuständigen Diplomaten „wie den Afghanistan-Sonderbeauftragten Markus Potzel verlassen.“ Die waren offenbar „der Auffassung, dass Deutschland auch mit den Taliban zusammenarbeiten könne, wenn die an die Macht gelangen.“ Das BMZ sei „lange davon ausgegangen, unter egal welchen Verhältnissen in Afghanistan weiter arbeiten zu können – naiv.“
Insgesamt hätte Scholz an mancher Stelle wohl mehr zur Aufklärung beitragen können. Immerhin sei, wie er sagte, Afghanistan für ihn im August 2021 eine „dramatische Situation“ gewesen, „die uns 24 Stunden am Tag bewegt hat“. Dafür zeigte er erstaunlich wenig Detailerinnerung an diesen Zeitraum.
Nach dem Ampel-Aus muss der Untersuchungsausschuss mit verkürzter Arbeitszeit und Zeug*innenliste klarkommen. Ein ebenfalls verkürzter Abschlussbericht soll nun schon vor Weihnachten fertig werden. Zusätzlich können die Fraktionen eigenständige Voten vorlegen. Am 5. Dezember wird der Ausschuss dann wohl noch einmal im Rampenlicht stehen: Letzte Zeugin ist Ex-Kanzlerin Angela Merkel.
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