AfD-Parteitag in Magdeburg: Nazis im Höhenflug
Bei dem Parteitag stellt die AfD ihre Europaliste auf. Neben neuen Konflikten ist ein alter beigelegt: Die Partei ist jetzt geschlossen rechtsextrem.
W ild gestikulierend schreit René Aust ins Mikrofon: „Unsere europäische Zivilisation ist in Gefahr durch Masseneinwanderung!“ Aust, 36 Jahre alt, schwiegersohntaugliche Frisur und perfekt rasiert, wirkt wie ein rechtsextremer Tom Cruise auf Speed. Aust ist ein Newcomer in der extrem rechten AfD und gilt als enger Höcke-Gehilfe. Die beiden sitzen zusammen im Vorstand des stramm völkisch-nationalistischen Landesverbands Thüringen. Mit seiner Fuchtelei und den lautstarken Tiraden stiehlt Aust seiner blass gebliebenen Gegenkandidatin Martina Böswald die Show. Fast scheint es so, als wollte Aust die von ihm geforderte „Festung Europa“ allein dadurch errichten, dass er vom Magdeburger AfD-Parteitag aus laut in Richtung der europäischen Außengrenzen schreit.
Die extrem rechte Partei hatte sich im Vorfeld des Aufstellungsparteitags für die Europawahl in Magdeburg dazu entschieden, erst die Köpfe, dann an einem zweiten Wochenende das Programm zu wählen. Kandidaten müssen im Zweifel ein Programm vertreten, das sie ablehnen. Inhaltliche Differenzen traten dann in den Reden ohnehin wenige zutage, es war mehr ein Zerren der unterschiedlichen Lager um Macht und Mandate. Die Kampfkandidatur um den Listenplatz 3 war dann auch ein neuralgischer Punkt auf dem Parteitag für die Europawahl. Der Rechtsextremist Björn Höcke hat Aust ins Rennen geschickt, obwohl der Länderproporz für die Thüringer eine deutlich spätere Position vorsah. Mit seiner ersten kurzen Wortmeldung stellte Höcke offen die Machtfrage. Er trat ans Saalmikro und sagte: „Ich bin Björn Höcke aus Thüringen und schlage René Aust vor.“
Ab diesem Moment brach das Chaos aus. Denn kurz danach tritt auch der sächsische Landeschef Jörg Urban, ebenfalls völkische Strömung, ans Mikro und schlägt als Gegenkandidatin Böswald aus Baden-Württemberg vor. Es sind gegenseitige Kampfansagen. Aust gewinnt die Kandidatur nach seiner Rede haushoch, aber danach ziehen keine Absprachen mehr, jede Kandidatur ist ein unendlich zähes Hauen und Stechen, fast alle Plätze gehen in die Stichwahl, einige auch in den zweiten und den dritten Wahlgang, die Parteilager blockieren sich gegenseitig. Weil das Wahlverfahren mit Zettel und Stift hinter kleinen Tisch-Wahlkabinen abläuft, dauert jeder Wahlgang gefühlt ewig. Am Ende sind zwölf Stunden nach Wahlbeginn nur die ersten fünf Listenplätze gewählt – eine Programmdebatte, die für den letzten Tag des zweiten Wochenendes des Mammutparteitags vorgesehen ist, scheint bei diesem Tempo unrealistisch.
Der Samstag endet mit Frustration und einem beschädigten Bundesvorstand, der die Partei nicht im Griff hat: Delegierte laufen mit 0,5-l-Biergläsern zu den Abstimmungen, Gläser gehen zu Bruch, nicht wenige wirken frustriert und nicht mehr ganz nüchtern, Galgenhumor macht sich breit. Das Debakel, das fast alle Delegierten vor Ort parteischädigend nennen, endet erst acht Minuten nach Mitternacht mit einer letzten Stichwahl um Platz 6. Und auch sie endet ohne Sieger und mit einer Mehrheit für die Position 3 – „Nein für alle“ mit 53,5 Prozent.
Es ist das erste Mal auf einem AfD-Bundesparteitag, dass sich das völkische Lager auf offener Bühne derart streitet – das ist auch Ausdruck einer neuen Machttektonik innerhalb der extrem rechten Partei. Die Radikalisierung zu einer geschlossen rechtsextremen Partei mag abgeschlossen sein, die großen programmatischen Debatten mögen vorbei sein – befriedet ist die AfD deswegen aber noch lange nicht. Von der am Freitag noch viel beschworenen „Harmonie“ war am Samstag nichts mehr übrig. Aus den unterschiedlichen Lagern drohte man sich nach der Kandidatur um Platz 3 gegenseitig mit Konsequenzen. Nach einer nächtlichen Krisensitzung lief es am Sonntag deutlich ruhiger, aber der Parteivorstand blieb beschädigt.
Dabei sah es am Freitag noch so aus, als könnte es derzeit kaum besser laufen für die AfD. Die Themen schienen gesetzt: „Festung Europa“, irgendwas zwischen Dexit, EU-Auflösung und grundlegender Reform – auf jeden Fall die Ablehnung jeglicher Migration. Am ersten Tag des Wochenendes, an dem nichts wirklich Wesentliches entschieden wurde, ging es vor allem um eine Demonstration der Stärke nach den zwei kürzlichen Erfolgen in Kommunalwahlen in Thüringen und Sachsen-Anhalt. Die Stimmung der Delegierten wirkte gemäß den Umfragewerten zwischen 18 und 20 Prozent bundesweit gut. Im Höhenflug ist die AfD nach geschürten Abstiegsängsten, angesichts multipler Krisen und der Legitimation von rassistischen und rechten Kulturkampfthemen durch Konservative.
Der erste gewählte Kommunalpolitiker der AfD, Sonnebergs Landrat Robert Sesselmann, wurde auf dem Parteitag herumgereicht wie ein Maskottchen. Er signierte im Akkord Wahlplakate mit seinem Konterfei an einem AfD-Fanshop, schrieb Widmungen und machte Selfies. Am Freitagabend hielt er nach drei Bier eine Rede auf der „Party“ für die rund 600 Delegierten – anschließend wurde eines seiner Wahlplakate, auf dem auch noch die Co-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla unterschrieben, für 2.500 Euro versteigert.
Die Überhöhung von Sesselmann zeigt, wie sehr die AfD nach tatsächlicher Macht lechzt. Ihr Ziel ist es, sich von unten und vom Osten aus zu normalisieren und die kommunal stellenweise arg brüchige Brandmauer weiter einzureißen. Insbesondere hofft die Partei auf die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im nächsten Jahr – auch wenn die Rechtsextremen weiter keine realistische Koalitionsoption haben. Diesen Anspruch, getreu dem neuen Motto „Bereit für mehr“, unterstrich nicht zuletzt Alice Weidel in ihrer Rede: „Wir müssen nur eine Brandmauer niederreißen, und das ist die Brandmauer der CDU im Osten“, rief sie am Samstagmorgen.
Die Normalisierung von unten halten Experten tatsächlich für eine reale Gefahr: Parteienforscher Wolfgang Schroeder verwies am Rande des Parteitags bei Phoenix darauf, dass es in Deutschland insgesamt 200.000 kommunale Mandatsträger gebe, und erinnerte daran, dass der Aufstieg der NSDAP nicht in Berlin begonnen hatte, sondern in Thüringer Kommunalparlamenten. Deswegen hätten auch die Kreistage aus der Geschichte und Sozialisationsfunktion heraus eine besondere Verantwortung. Das war wohl insbesondere ein Fingerzeig in Richtung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der zuletzt entgegen der Beschlusslage seiner Partei eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene nicht mehr grundsätzlich ausschloss. Wofür man auf dem AfD-Parteitag überaus dankbar schien – Chrupalla stichelte gleich in seiner Eröffnungsrede, noch gut gelaunt, gegen Merz.
In welche Richtung sich die Europaliste entwickeln würde, war bereits am Samstagmittag klar geworden: Der rechtsradikale EU-Abgeordnete Maximilan Krah ist mit 65 Prozent zum Spitzenkandidaten für die Europawahl gewählt worden. Die Richtungswahl führte wie fast immer seit Parteigründung 2013 in Richtung Radikalisierung. Denn Krah setzte sich deutlich gegen den chancenlosen Herausforderer Andreas Otti aus dem Landesverband Berlin durch.
Dabei ist Krah auch innerparteilich stark umstritten: Er ist gegenwärtig in der europäischen ID-Fraktion zum wiederholten Male suspendiert, diesmal wegen Manipulationsvorwürfen. Es gibt Vorwürfe wegen seiner Russlandnähe und guter Beziehungen nach Katar, China und zu der chinesischen Firma Huawei, die ihm teils Reisen finanzierte. Der 46-jährige Dresdner Rechtsanwalt ist 2016 in die AfD eingetreten, verteidigte als Anwalt die traditionalistischen Piusbrüder, vertrat zeitweise den Holocaustleugner Richard Williamson und verteidigte 2017 die Männer, die in Arnsdorf einen psychisch kranken Flüchtling an einen Baum gebunden hatten. Krah gibt sich trotz völkischer Deutschtümelei gerne weltläufig, trägt eine auffällige Rolex am Handgelenk, die mehr als zehntausend Euro wert sein dürfte.
Krah hat in seiner Antrittsrede schon in den ersten Sätzen keinen Zweifel gelassen, wofür er steht: „Wir wollen ganz Deutschland zu einem großen Sonneberg machen. Damit wir das schaffen, müssen wir den Kurs halten, den wir in Riesa begonnen haben“, sagte er. In Riesa wurde vor einem Jahr ein Bundesvorstand ganz nach dem Geschmack des Rechtsextremisten Björn Höcke gewählt, auch Krah wurde von Höcke unterstützt, ebenso wie vom Parteivorsitzenden Chrupalla.
Krah wiederholte auch das, was er schon auf dem Sommerfest des als rechtsextrem eingestuften Instituts für Staatspolitik in Schnellroda gesagt hat: „Wir sind mittlerweile die spannendste Rechtspartei in Europa, überall hat man den Leuten erzählt, man muss sich anpassen, man müsse eine Art Werteunion sein.“ Krah plädiert auch in seinem jüngsten Buch, in dem er sich am NS-Vordenker Carl Schmitt orientiert, für einen klar rechten Kurs – unverkrampften Rechtsradikalismus. In der Vergangenheit nutzte er auch gern Neonazi-Vokabular wie „Umvolkung“.
Sein parteiinterner Gegner Norbert Kleinwächter hatte noch kurzfristig versucht, ihm aus seinem Buch einen Strick zu drehen. Am Abend vor Krahs Kandidatur veröffentlicht er eine fünfseitige Rezension des Buches auf seiner Website und verschickt seinen Text an Journalist*innen. Darin wirft er Krah vor, ein antiwestlicher und prochinesischer Antidemokrat zu sein. Wörtlich: Das Buch falle „hinter die Errungenschaften der Aufklärung zurück und erschafft nichts anderes als einen brutalen Führer- und Gewaltstaat“.
Krah giftete in seiner Vorstellungsrede gegen seine parteiinternen Gegner*innen zurück. Jeder solle sich überlegen, ob es nicht auch sie selbst treffen könne, drohte er schon fast. Dann rief er: „Ist es nicht an der Zeit, den Dreckwerfern endlich mal die rote Karte zu zeigen?!“ Per Trump-Reflex erklärte er so jegliche, auch inhaltlich gedeckte Kritik für „Schmutz“. Am Ende setzte er in Sachen Radikalität noch eins drauf: Krah sagte, man könne sich Mut und Leidenschaft abschauen bei dem bulgarischen Rechtsextremisten Kostadin Kostadinow, der tags zuvor ein Grußwort an die AfD gehalten hatte.
Kostadinow bezog sich positiv darauf, dass Deutschland und Bulgarien im Ersten und Zweiten Weltkrieg verbündet waren, und sagte: „Es ist höchste Zeit, dass Ihr Land seinen rechtmäßigen Platz als Großmacht einnimmt, und das nicht nur in Europa.“ Standing Ovation und tosenden Applaus gab es am Ende bei beiden. Dass wiederum Krah trotz seiner Suspendierung und vieler interner Kritik für die Spitzenposition durchkam, zeigt auch die prekäre Personallage der AfD. Besonders vielsagend war der Blick von Alice Weidel während der Rede von Krah: Sie saß dort mit versteinertem Blick, als er den innerparteilichen Gegner*innen den Kampf ansagte.
Auch der zweite Listenplatz ging an einen ideologischen Hardliner: den Bundestagsabgeordneten Petr Bystron, der unter anderem dafür bekannt ist, dass er Schießtraining mit Rassisten in Südafrika absolviert hat. In seiner Antrittsrede schlug er auch antisemitische Töne an, als er verschwörungsideologisch gegen Bill Gates hetzte, und forderte „Knast für Carola Rackete“, die ehemalige Seenotretterin und Spitzenkandidatin der Linken für die Europawahl. Es ging so weiter: Die völkische Strömung ist längst Mainstream. Wer sich für Mäßigung ausspricht, hat zehn Jahre nach Parteigründung keine Chance in der AfD. Wenn sich jemand durchsetzen will, muss er mindestens eine rassistische zugespitzte Rede halten und im völkischen Lager wohlgelitten sein.
Ost gegen West
Höcke wirkte entsprechend gut gelaunt: „Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann“, sagte er im Interview mit Phoenix – und stellte sich mit der Forderung nach Auflösung der EU auch gegen einen angeblichen redaktionellen Fehler im Europa-Leitantrag. Nachdem sich darin die „Auflösung der EU“ wiederfand, hatte es von der Parteiführung geheißen, dass dies ein „redaktioneller Fehler“ gewesen sei. Höcke aber fordert genau das weiter ganz offen. Im Vorfeld des Parteitags hatte er sogar damit gedroht, den Bundesvorstand notfalls auszutauschen, wenn er nicht spure.
Der Rechtsextremismus-Forscher David Begrich prognostizierte: „Am Ende des Parteitags wird die Radikalisierung zu einer gesamtdeutsch geschlossen rechtsextremen Partei abgeschlossen sein. Ich sehe nicht, dass eine Position jenseits des völkisch-nationalistischen Flügels noch eine nennenswerte Rolle spielt.“ Die neuen Konfliktlinien drehten sich nicht mehr um die Grundausrichtung, sondern hauptsächlich um Listenplätze und Posten.
Aber auch innerhalb des völkisch-nationalistischen Mainstreams gebe es unüberbrückbare Differenzen insbesondere zwischen Ost und West mit Blick auf EU-Austritt und das Verhältnis zur Nato: „Man erinnere sich an den Besuch von Tino Chrupalla in der russischen Botschaft am Tag des Sieges. Das kommt im Osten an, ist aber im Westen unvermittelbar“, so Begrich. Er könne sich vorstellen, dass sich die Partei in der Programmdebatte auf einen Formelkompromiss einige, der eine Festlegung in der Schwebe lässt.
Der Streit innerhalb der Völkischen drehe sich um die Frage, welches Lager die Partei künftig führt: „Die Thüringer tun ja immer so, als hätten sie das Recht des Erstgeborenen, aber auch die Sachsen sind sehr stark.“ Besonders nach den Landtagswahlen und Kommunalwahlen im nächsten Jahr würden die Karten noch einmal neu gemischt. Begrich sagt: „Ich gehe davon aus, dass sich Höcke am Ende wieder durchsetzt.“
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