AfD-Geheimtreffen mit Martin Sellner: Zu Gast bei rechten Freunden
taz-Recherchen in Berlin-Pankow belegen erstmals einen Vortrag des Rechtsextremisten Martin Sellner bei der AfD. Die Partei fürchtet nun Konsequenzen.
Dazu gehört ein vierseitiges Schreiben des ehemaligen AfD-Chefs von Pankow, Michael Adam, an den Landesvorstand vom 13. Februar. Demnach habe „der (Co-)Vorsitzende des Bezirksverbands Pankow, Christian Buchholz“ dem ehemaligen Sprecher der Identitären Bewegung (IB) Österreichs, Martin Sellner, „in den Räumen des Bezirksverbandes Pankow eine Bühne gegeben, wohl wissend, dass die IB auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht und dass Herr Sellner selbst vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft ist und daher beobachtet wird“.
Laut Adam wurde die Veranstaltung „von den Protagonisten bewusst als ‚geheime Veranstaltung‘ geplant und auch so durchgeführt“. Auf Wunsch des Vermieters des Parteibüros, des ehemaligen AfD-Förderers Andreas Geithe, sei sie „nur durch Mundpropaganda beworben“ worden. Adam schreibt: „Die Einladung sollte auf Wunsch von Andreas Geithe vor allem durch zuverlässige ‚stramme Jungs‘ der JA Berlin (Junge Alternative; d. Red.) verbreitet werden“.
Der Flachbau im Ortsteil Blankenburg ist seit 2017 Sitz der Pankower AfD und diente Buchholz in seiner Zeit als Abgeordnetenhausmitglied bis 2021 als Bürgerbüro. In Parteikreisen ist es auch als „Stützpunkt“ oder „Blankenburg“ bekannt. 2020 stimmte Buchholz für die Fortführung des Mietverhältnisses, nachdem bekannt geworden war, dass Geithe 1992 einen Aufnahmeantrag für die rechtsextreme Partei Nationalistische Front (NF) gestellt hatte und daraufhin seinen Status als AfD-Förderer verlor. Buchholz bestreitet gegenüber der taz seine Verantwortung: „Veranstalter waren weder die AfD, noch die Junge Alternative, noch ich persönlich.“
Sellner spricht von einem „genialen Abend“
Sellner ist Mitgründer der Identitären Bewegung, die als aktionistischer Teil der Neuen Rechten gilt. Die Ideen der IB stoßen auch innerhalb der AfD auf breite Zustimmung. Dazu gehört der sogenannte Ethnopluralismus, eine Art modernisierter Rassismus, der eine staatliche Homogenität nach „Ethnien“ anstrebt und letztlich in Konzepten wie der „Remigration“ mündet, einem ideologischen Kampfbegriff der IB. Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt die IB seit 2019 als gesichert rechtsextrem.
Sellner selbst hatte in Videos auf seinem Telegram-Kanal über seinen Berlinbesuch gesprochen. „Im Rahmen meiner Lesereise werde ich natürlich nicht nur aus meinem Buch lesen, 'Regime Change von rechts“, so Sellner, sondern auch einen „strategischen Überblick geben“, etwa zu den Fragen: „Welche Chancen haben wir auf eine Migrationswende? Wie lang Zeit bleibt uns noch für eine Politik der Remigration, bevor die ethnische Wahl die Demokratie zerstört?“ Im Nachgang sprach er von einem „genialen Abend“. Nach taz-Informationen kamen etwa 80 Teilnehmer:innen zu dem Treffen.
In den Folgetagen hatte Sellner weitere Tourauftritte, etwa im bayerischen Dasing, wo auch zwei Landtagsabgeordnete der AfD zu den Gästen zählten. Einblick in seinen Vortrag bietet ein von Sellner veröffentlichter Mitschnitt. Darin spricht er von „spät aufgewachten Remigrationsfans“ und seiner Sorge, dass es nicht zu versprochenen Abschiebungen kommen werde. Das „patriotische Lager“ müsse den „zu erwartenden Wortbruch ausnutzen“. Zudem sollten etwaige Flüchtlinge aus Gaza kein Asyl in Deutschland erhalten.
Zuletzt waren mehrere Treffen bekannt geworden, auf denen sich Politiker:innen von AfD und CDU mit Neonazis vernetzt hatten. Ende November hatte Sellner in einer geheimen Runde in einer Villa am Lehnitzsee in Potsdam seine Vertreibungspläne als „Masterplan Remigration“ präsentiert.
Auseinandersetzungen bei Berliner AfD
Im Juli war es zu einem ähnlichen Treffen bei Berlins Ex-CDU-Finanzsenator Peter Kurth gekommen, an der auch Berlins AfD-Chefin Kristin Brinker teilgenommen hatte. Die Veranstaltung in Pankow ist derweil das erste bekannt gewordene Treffen mit Sellner, an dem AfD-Mitglieder nicht nur zu Gast waren, sondern das bei der AfD stattfand.
Die Mitte Januar veröffentlichte Correctiv-Recherche über das Treffen in Potsdam hatte eine Protestwelle ausgelöst. Nach taz-Zählungen kam es seither zu 1.250 Demos, mit bis zu 4,9 Millionen Teilnehmer:innen. Die AfD hat seither in Umfragen an Zustimmung verloren und liegt im Schnitt noch bei 18 Prozent.
In einer E-Mail des ehemaligen Abgeordnetenhauskandidaten Olaf Busch vom 10. Februar fordert dieser die Landesvorsitzende Brinker auf, ihm mitzuteilen, „wie in der Sache du gedenkst zu verfahren“. Aus dem Schreiben geht hervor, dass Busch beim Neujahrsempfang der Brandenburger AfD-Fraktion am 13. Januar das Gespräch mit Brinker gesucht hatte. Enttäuscht über die Funkstille seitdem, schreibt er: „Selbstkritik innerhalb der Partei. Fehlanzeige.“
Kristin Brinker, Landesvorsitzende der AfD Berlin
Brinker antwortete am Folgetag an Busch und Adam: „Wir können die Veranstaltung nicht rückgängig machen.“ Sie habe ein „Gespräch mit dem Hauseigentümer“ geführt“ und ihm dabei „explizit erklärt, warum solche Veranstaltungen in den Räumen der Blankenburg nicht stattfinden können“. Vergleichbare Veranstaltungen werde es „in Zukunft nicht geben“. Ob die Partei Konsequenzen für das Mietverhältnis mit Geithe zieht, ist unklar. Man habe „über die zukünftige Vermietungssituation gesprochen“, so Brinker.
AfD-Politiker fürchtet großes Schadenspotential
Michael Adam reagierte zwei Tage nach Brinkers Mail mit seinem Schreiben. Das Anliegen habe sich „mit Deiner Antwort leider nicht erledigt“ – im Gegenteil“. Adam fordert, dass sich der Landesvorstand auf seiner nächsten Sitzung mit der Causa befasst. Diese ist für den 1. März geplant, wie er auf Anfrage der taz sagte. Zu weiteren Details äußerte er sich nicht.
In seinem Brief fordert er, der Vorstand müsse „nach Abschluss seiner Ermittlungen gegenüber den Mitgliedern des Landesverbandes Stellung“ beziehen und eine „angemessene Ordnungsmaßnahme gegen den verantwortlichen Funktionär, Christian Buchholz“, verhängen. Sichergestellt werden müsse, „dass sich in Räumen der AfD solche Dinge nicht wiederholen“.
Adam, der sich laut Antifa-Recherchen ebenso wie der Organisator der Veranstaltung, Christian Buchholz, auf der Berliner E-Mail-Liste des aufgelösten Parteizusammenschlusses „Der Flügel“ befand, argumentiert mit Gefahren, die sich für die AfD aus solchen Treffen ergeben. Die Angelegenheit sei eine „tickende Zeitbombe mit großem Schadenspotential für die gesamte Partei“ und könne zu einem „möglichen Verlust der Parteienfinanzierung“ beitragen. Ob die Partei Konsequenzen zieht, ist derweil offen. Auf eine Anfrage der taz antwortete Kristin Brinker nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs