piwik no script img

Abtreibungsgegner_innen vor KlinikenGehsteigbelästiger auf Abstand halten

Radikale Abtreibungsgegner_innen verhindern überall in Deutschland den reibungslosen Ablauf von Abbrüchen. Das will die Bundesregierung künftig ahnden.

Nur noch mit Abstand möglich: Ab­trei­bungs­geg­ne­r:in­nen vor der Beratungstelle von Pro Familia in Frankfurt im März 2023 Foto: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Berlin taz | Das Bundeskabinett hat Mittwochmittag einen Gesetzesentwurf beschlossen, der die sogenannte Gehsteigbelästigung als Ordnungswidrigkeit ahndet. Bei der Gehsteigbelästigung werden vor Arztpraxen, Krankenhäusern und Beratungsstellen Schwangere und Mitarbeiter_innen belagert. Die Koalition will dieses Verhalten nun mit bis zu 5.000 Euro ahnden.

Dazu gehört, dass Schwangere nicht vom Eintritt einer Einrichtung und Mitarbeiter_innen nicht von ihrer Arbeit abgehalten werden dürfen. Zudem dürfen Schwangeren keine Falschinformationen vermittelt werden und sie mit Inhalten konfrontiert werden, die auf emotionale Reaktionen wie Furcht, Ekel, Scham oder Schuld abzielen.

„Wir stärken die Rechte von Schwangeren und gehen einen wichtigen Schritt für die Selbstbestimmung der Frau“, sagte dazu Familienministerin Lisa Paus (Grüne) am Mittwochmittag. „Hier hat Meinungsfreiheit ihre Grenzen – auch im Sinne des Schutzes des werdenden Lebens, der durch die ergebnisoffene Schwangerschaftskonfliktberatung gewährleistet wird.“

Dazu dürfen sich Abtreibungsgegner_innen diesen Einrichtungen nur noch bis zu 100 Meter um den Eingangsbereich nähern. Paus betonte am Mittwochmittag, dass dadurch das prinzipielle Recht von Abtreibungsgegner_innen, ihre Meinung kundzutun, nicht beschnitten werde: „Wir mussten das Spannungsverhältnis zwischen den Grundrechten ratsuchender Frauen einerseits und das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit Dritter genau gegeneinander abwägen“, so Paus. „Ich bin überzeugt, diese Abwägung ist uns mit dem heute verabschiedeten Entwurf gelungen.“

Die Versammlungsfreiheit bleibt bestehen

Im Gesetz selbst ist auch festgelegt, dass die Schwangere nicht dazu aufgefordert werden darf, zu einem anderen Zeitpunkt oder bei einer anderen Beratungsstelle einen Termin zu vereinbaren. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland immer noch illegal und gelten nur unter bestimmten Bedingungen als straffrei. Dazu gehört eine Pflichtberatung der schwangeren Person und die Frist, die Abbrüche nur bis zur 12. Schwangerschaftswoche erlaubt, sowie ein Abstand von Beratung und Abbruch von drei Tagen. Über die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen berät bis April eine Expert_innen-Kommission.

Bislang hat nur Bremen ein Gesetz beschlossen, das die Belästigung von Schwangeren und Mitarbeitenden von Arztpraxen, Krankenhäusern und Beratungsstellen ahndet. Mit dem aktuellen Gesetz will die Ampelkoalition für eine bundeseinheitliche Regelung sorgen.

Céline Feldmann, Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch des Deutschen Juristinnenbundes (djb) begrüßte das Gesetz gegenüber der taz: „Der Referentenentwurf ist längst hinfällig. Denn Gehsteigbelästigungen sind keine Bagatelle, sondern verletzen die Rechte schwangerer Personen erheblich“, so Feldmann. „Der Referentenentwurf ist zwar begrüßenswert, allerdings nur ein erster Schritt. Denn erst wenn Beratungen freiwillig und Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert sind, finden die Rechte schwangerer Personen, insbesondere Frauen, hinreichend Berücksichtigung.“

Heidi Reichinnek, Bundestagsabgeordnete für die Gruppe der Linken, sagte der taz: „Es wird ja wirklich langsam Zeit, dass die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Gehsteigbelästigung beschließt. Dass diese relativ simple Gesetzänderung so unfassbar lange gedauert hat, zeigt sehr gut, dass Frauenpolitik und vor allem sexuelle Selbstbestimmung in der Regierung keine Priorität haben.“

Die Ahndung der Gehsteigbelästigung soll mit einer Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes in Kraft treten, das auch eine Verbesserung der Bundesstatistik von Schwangerschaftsabbrüchen vorsieht sowie einen Überblick über die regionale Versorgungslage. Im Sommer soll der Bundestag das Gesetz verabschieden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich fasse es nicht.

    Offensichtlich verwechseln hier manche Forist*innen Demo mit Einschüchterung von Privatpersonen.

  • Wer denkt abtreibung ist ein ne einfache entscheidung hat sie nicht mehr alle. Es ist sehr schwierig sich für sowas zu entscheiden. Frauen leiden darunter enorm. Ich habe es erster hand miterlebt. Es war schwierig aber nötig. Ein familienmitglied war mit 45 schwanger (troz der angefangenen menopause, ist schon rar aber nicht unmöglich) nach etlichen kontrollen kam raus das das kind kein schönes leben gehabt haette. loch im herz, nackenfalten messungen etc. Es gab wochenlang ein hin und her und dann gabs noch diese verficken freaks vor der klinik die menschen ankacken und eine sowieso schwere entscheidung noch schwieriger machen und versuchen dir schuldgefühle unterzujubeln. Vor allem total ohne empathie und einfühlsamkeit.



    Drecks gesindel, richtige entscheidung.

  • Na dann. Ich halte nichts davon. Warum man eine unliebsame Meinung nicht aushalten muss. Die AFD verbietet dann Demos vor Parteibüros bzw. nur mit Abstand. Oder Demos vor Schlachthöfen von Leuten, die den Tierschutz hoch halten wollen. Und die dürfen dann auch keine Broschüren verteilen, in denen Fleischessern eklige Details präsentiert werden. Wo fängt man an und wo hört man auf?

    • @Strolch:

      Die AfD benutzt die Bannmeile jetzt schon um Demonstrationen zu verhindern. Deshalb ist dies kein gutes Argument weiterhin schwangeren Frauen gegen ihren Willen "eklige Details präsentier"en zu dürfen.

    • @Strolch:

      Ja, richtig. Es wird immer Leute geben, die sich für unfehlbar halten und ihre Meinung und vor allem sich selbst öffentlich darstellen müssen, warum auch immer. Aber das ist Meinungsfreit. Solange sie das friedlich tun, o.k.

    • @Strolch:

      " Warum man eine unliebsame Meinung nicht aushalten muss."

      Hier geht es nicht um unliebsame Meinungen, sondern um massive Einschüchterung und Bedrohung. Davor muss der Staat Bürgerinnen schützen. Ist seine Aufgabe.

    • @Strolch:

      Eigentlich stimme ich Ihnen zu. Die Beispiele sind aber schlechtb gewählt.



      Eine Klinik, die auch Abortionen durchführt kann mana nicht mit einem Schlachthaus vergleichen.

      • @Demokrat:

        Vergleiche hinken in der Regel.



        Wie waeres mit einem Abstand von Todesstrafengegnern zum Zeitpunkt eben jener vor dem Ort des Geschehens.



        Sarkastisch begruendet mit der Gesundheit des Verurteilten.



        Hinkt je nach Einstellung zur Abtreibung natuerlich auch...

        Ich finde es legitim, wenn Demonstranten am Ort des Geschehens sind, in Hoerreichweite - was aber nicht geht, dass "Kunden" belaesstigt werden.



        Ein Sicherheitsabstand von zB 20-30 Metern haette ausgereicht.



        Die 100 Meter sind eine verfassungsrechtliche Sollbruchstelle.

    • @Strolch:

      Wenn Du schon Vergleiche aufstellen willst; dann wärs die Fleischerei und die Fleischereifachverkäufer*innen und die Kund*innen werden von Tierrechtsaktivist*innen bedrängt und belästigt.Hier gehts aber ned um fröhliche Omnivoren und deren fröhliche Dealer sondern um (junge) Frauen, welche die Beratungsstellen aufsuchen um irgendwie ihre Zukunft, ob zu zweit oder weiterhin alleine, ned vorn Baum laufen zu lassen!

    • @Strolch:

      Ich dachte es gilt die Regel, dass alle, die Zeugs verteilen wollen, die Passanten nicht anquatschen dürfen. Und das, was die Abtreibungsgegner machen geht weit über Protest hinaus. Die gehen Beratungssuchende regelrecht an und bedrohen diese teilweise. Falschinformationen werden dann auch gern verbreitet und das Leben einer bereits existierenden Frau unter das eines nicht mal geborenen Wesens gestellt. Menschen haben ein Recht unversehrt Beratungsstellen aufzusuchen und das wird von "Protestierenden", die auch Angestellte belästigen, behindert.

      • @Tuff:

        @all: Liest wahrscheinlich keiner mehr, was solls: Wenn Menschen belästigt oder gar bedroht werden, gibt es die bestehenden Gesetze. In einem Einzelfall ein Gesetz zu zimmern, halte ich für bedenklich. Natürlich ist das kein 1:1 Vergleich. Aber das liegt in der Natur der Sache. Wenn Ex-Partner ihrer Partnerin nachstellen, müssen auch bestimmte Kriterien erreicht sein, um ihm einen "Bannmeile" aufzuerlegen. Man macht aber kein Gesetz, dass alle Ex-Männer sich dem Wohnort ihrer Ex-Frauen nicht mehr nähern dürfen. Auch der Vergleich hinkt. Im Falle von Belästigung muss dies festgestellt werden und dann einer konkreten Person untersagt werden. Das ist mühsam, ist mir schon klar. Aber ich bezweifle, dass alle Abtreibungsgegner Frauen bedrohen. Und alleine, dass ich mich unwohl fühle, weil Menschen Ihre Meinung äußern, ist m.E. nicht ausreichend.

        • @Strolch:

          Es müsste erstmal eine Entkriminalisierung für alle Beteiligten (218 usw) gesetzlich niedergelegt werden, die unklare Situation bestärkt eher die "Pro Life"-Fraktion.



          Dann kammer Schutzzonen ausrufen damit sowohl die Schutzbedürftigen ("Konfliktschwangere") als auch die Leute wo in den Beratungsstellen/Praxen/Kliniken arbeiten halbwegs in Ruhe gelasen werden.

  • Dazu passt euer Atikel.



    taz.de/Angriffe-au...freiheit/!5984434/

  • Es sollte das alleinige Recht der schwangeren Menschen sein, zu entscheiden. Ohne wenn und aber.



    Aber auch das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut.



    Eine Beschränkung dessen kann im Falle einer AFD Regierung auch von diesen genutzt werden ( z.B. Verbot bei AFD Veranstaltungen)



    Vorsicht ist hier geboten, es geht um viel.

    • @Demokrat:

      Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird nicht beschränkt.

      Jede:r darf weiterhin öffentlich sagen, das er oder sie gegen Abtreibung ist.

      Das was die Demonstrant:innen machten geht weit darüber hinaus und ist keine "Meinungsäußerung" sondern "Bedrängen / Belästigen / Einschüchtern".

      Stellen Sie sich mal vor Sie sind gegen Miniröcke. Das ist ok. Sie können auch gerne gegen diese demonstrieren gehen. Wenn Sie aber, mit Gleichgesinnten, anfangen Pasantinnen mit Minirock zu bepöbeln und zu bedrängen, würde eine Grenze überschritten.

      OK blödes Beispiel.

      Nehmen wir etwas anderes ähnlich emotional aufgeladenes.Die Sterbehilfe. Jede:r kann dazu seine Meinung haben. Aber stellen Sie sich mal vor es gäbe spezielle Kliniken oder Beratungsstellen dafür und dann gibt es Demonstrationen vor den jew. Einrichtungen, welche ldie Angehörige und/oder Betroffene belästigen.



      "Wer Selbstmord begeht kommt in die Hölle" Dazu dann noch falsche Informationen über medizinische Komplikationen, die auftreten können.

      Fänden Sie nicht das würde zu weit gehen?

      Bei AFD Veranstaltungen und Demos gibt es bereits regulär einen Mindestabstand zur Gegendemonstration.

      Es gibt ein Recht auf freie Meinungsäußerung aber nicht darauf die eigene Meinung jemand anderem aufzuzwingen. Ob durch rohe Gewalt oder körperliche Einschüchterung.

  • Absolut überfällig, weil es so wichtig ist, dass Gehsteigbelästigung mit Heiligenschein endlich juristisch verfolgt werden kann.

  • „Wir stärken die Rechte von Schwangeren..." äußerst zynisch wenn es darum geht abzutreiben.



    Die Frauen sollen natürlich machen was sie wollen, aber schönreden muss man das jetzt nicht.

    • @Abraham Abrahamovic:

      Sie sollten also nicht behaupten dürfen,dieses Recht zu haben?

    • @Abraham Abrahamovic:

      Warum? Es heißt ja nicht: Wir stärken… von Müttern.“

    • @Abraham Abrahamovic:

      Frauen müssen aber auch nicht auf offener Straße von brüllenden Gruppe belästigt werden. Jede hat ein Recht darauf eine Beratungsstelle aufzusuchen ohne verbal oder gar physisch angegriffen zu werden. Gleiches gilt auch für die Mitarbeitenden.

    • @Abraham Abrahamovic:

      "Hier hat Meinungsfreiheit ihre Grenzen – auch im Sinne des Schutzes des werdenden Lebens, der durch die ergebnisoffene Schwangerschaftskonfliktberatung gewährleistet wird."

      Das Verbieten der Demos im Umkreis mit der Begruendung "Schutz des werdenen Lebens" ist an Zynismus nicht zu ueberbieten,

      Den Zugang zu versperren ist Noetigung. Dafuer brauchts kein neues Gesetz.



      Ziel dieses Gesetzes ist, die Demonstrationen soweit zu verlegen, dass sie am Ort des Geschehens nicht mehr bemerkt werden.



      Solch ein Vorgehen wird oft mit der Entwertung des Versammlungsrechts gleichgesetzt, zB wenn die Demonstranten bei einem Gipfel soweit weg gehalten werden, dass Teilnehmer des Gipfels nichts mitbekommen.



      Oder wenn man das Klimakleben nur noch auf Waldwegen erlauben wuerde, damit Autofahrer nichts mitbekommen.

      Aber das sind Nebenschauplaetze seit Karlsruhe in seinem Klimaurteil Freiheit im jetzt einschraenkt, um zukuenftige Grundrechte zu schuetzen.



      Diese Logik schreit danach von Abtreibungsgegnern aufgenommen zu werden.