Absetzbewegungen von der Linkspartei: Linken-Katharsis in Bochum
Nach dem Austritt von Wagenknechtanhängerinnen gibt es in der Ruhrgebietsstadt keine Linksfraktion mehr. Das hat wohl auch profane finanzielle Gründe.
Am vergangenen Freitag erklärten die langjährige Fraktionsvorsitzende Gültaze Aksevi sowie Mehriban Özdogan und Mehtap Yildirim, die bisherige Kreisvorsitzende, ihren Austritt aus der Linkspartei und -fraktion. Damit verliert die Linke ihren Fraktionsstatus im Stadtrat. Ihren Schritt erklärten die drei mit dem „katastrophalen Kurs“, auf den die Parteiführung um Janine Wissler und Martin Schirdewan die Linke gebracht habe.
Konkret benannten die drei Ratsfrauen die „selbstzerstörerische Sanktionspolitik der Ampel“ gegenüber Russland, die von der linken Spitze mitgetragen werde, und die „Forderungen aus der Parteispitze nach Waffenlieferungen an die Ukraine“. Außerdem sei der „pluralistische Charakter“ der Partei aufgegeben worden. Stattdessen mache die Parteiführung die Linke „zu einer Sekte“. Das sei „der Weg in den Untergang, den wir nicht mittragen wollen“.
Der Sound ihrer Abschiedserklärung erinnert an die Bochumer Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen, die als enge Wagenknecht-Vertraute gilt und mit ähnlichen Worten seit längerem kein gutes Haar mehr an ihrer Nochpartei lässt. Mit nicht immer ganz stubenreinen Methoden hat Dağdelen jahrelang den Bochumer Kreisverband dominiert, wozu unter anderem der Komplettaustausch der Ratsfraktion 2014 gehörte. Inzwischen haben sich die Mehrheitsverhältnisse jedoch zu ihren Ungunsten verändert.
Neue Fraktion „Frieden, Arbeit und soziale Gerechtigkeit“
„Ich gehe jetzt noch stärker davon aus, dass Sevim Dağdelen sich bei der Gründung einer neuen Partei beteiligt“, sagte der seinerzeit abservierte Fraktionsvorsitzende Uwe Vorberg jetzt der WAZ. Der Abgang der drei Ratsfrauen sei „in enger Abstimmung“ mit Dağdelen erfolgt, ist sich der ehemalige Linken-Ratsherr Ralf Feldmann sicher. „Wer noch rätselt, welche Personen auf lokaler Ebene das Gesicht und die Organisation einer Wagenknechtpartei prägen könnten: in Bochum gibt es Anschauungsmaterial“, kommentierte er.
Im April hatte die Mitgliederversammlung der Bochumer Linken mit 27 gegen 16 Stimmen bei zwei Enthaltungen eine von Feldmann eingebrachte Resolution beschlossen, in der es heißt: „Wir erwarten von allen Bundestagsabgeordneten der Linken aus NRW, dass sie in persönlichen Erklärungen und in einem gemeinsamen Beschluss allen Andeutungen und Überlegungen über die Gründung einer anderen Partei öffentlich entgegentreten.“
Mit Ausnahme der Landesvorsitzenden Kathrin Vogler hat keine:r der insgesamt sechs nordrhein-westfälischen Bundestagsabgeordneten die Erwartung der Bochumer Parteibasis erfüllt – selbstverständlich auch nicht Dağdelen.
Wie Dağdelen sind Aksevi, Özdogan und Yildirim eng mit der türkeistämmigen Migrant:innenorganisation DIDF verbunden, die ihre politischen Wurzeln im Maoismus albanischer Prägung hat. Ihre Ratsmandate wollen sie behalten. Das Trio kündigte an, eine neue Fraktion zu gründen, die „Frieden, Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (FASG) heißen soll. Die zwei verbliebenen Linken-Ratsmitglieder Horst Hohmeier und Moritz Müller werden hingegen nur als Gruppe weitermachen können.
Welche Rolle spielen finanzielle Interessen?
Empört reagierte der von Müller angeführte Bochumer Kreisvorstand der Linkspartei. Der Austritt der drei Ratsmitglieder schwäche die soziale und friedliche Opposition in Bochum. Dabei sei die Begründung der drei Abtrünnigen vorgeschoben. Ohnehin hätten sie seit Monaten nicht mehr an Rats- und Ausschusssitzungen teilgenommen. Deswegen seien sie bereits Anfang September zur Rückgabe ihrer Mandate aufgefordert worden.
Bei ihrem Fraktionsaustritt unter Mitnahme der Mandate ginge es vorrangig um eigene Interessen, da alle drei Ratsmitglieder der Partei „bisher beträchtliche Mandatsträgerabgaben schuldig geblieben“ seien, die der Kreisverband schon seit einiger Zeit einfordere. Sie würden „einzig auf den eigenen finanziellen Vorteil“ schielen. „Auch Sevim Dağdelen soll der Bundes- und Landespartei Mandatsträgerabgaben schuldig geblieben sein“, heißt es weiter in der Erklärung des Kreisvorstandes. Noch im Oktober soll eine Mitgliederversammlung einberufen werden, um die neue Situation zu bewerten.
Im nahen Herdecke scheint der Trennungsprozess der Wagenknecht-Anhänger:innen von der Restpartei etwas friedlicher vonstatten zu gehen. In der Antroprosophenmetropole ist der dortige Linksfraktionschef und Wagenknecht-Fan Dieter Kempka in der zweiten Septemberhälfte ebenfalls aus der Linkspartei ausgetreten. Aber weiterhin bildet er mit Vladimir Munk, dem Kreissprecher der Linken im Ennepe-Ruhr-Kreis, eine gemeinsame Fraktion. Die hat allerdings ihren Namen geändert. Sie nennt sich jetzt: „Sahra Wagenknecht Linksfraktion Herdecke“.
Landesverband der Linken reagiert gelassen
Der nordrhein-westfälische Landesverband der Linkspartei reagierte betont gelassen auf die Bochumer Austritte. Die seien zwar „bedauerlich, aber nicht sehr überraschend“, sagte Landeschefin Kathrin Vogler der taz. Die Begründung der drei Ratsfrauen sei „wohl nicht zufällig auf dem Rechner einer Mitarbeiterin von Sevim Dağdelen verfasst“ worden.
Schließlich würden darin „nur die Falschbehauptungen wiederholt, mit denen Dağdelen und Wagenknecht seit Monaten versuchen, Die Linke zu diskreditieren, um die Bedingungen für ihre geplante neue Partei zu verbessern.“ Ihr sei „total schleierhaft, wie eine solche Partei, wenn sie auf Unwahrheiten aufgebaut wird, sich das Vertrauen von Wähler:innen verdienen will“, so Vogler.
Es werde „noch eine Handvoll weiterer Austritte von Mandatsträger:nnen geben“, sagte Landesgeschäftsführer Sebastian Merkens dem nd, dem früheren Neuen Deutschland. Das sei seit dem Moment klar, in dem Wagenknecht erklärt habe, „die Partei kaputt machen zu wollen“. Er sei sich jedoch sicher, „dass alle, die gehen, Platz machen für neue Menschen, die kommen wollen“. Zumindest der Zweckoptimismus scheint der Linkspartei noch nicht abhanden gekommen zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour