Abschiebungen nach Kabul: Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Deutschland schiebt weiter afghanische Straftäter ab. Grüne und SPD kritisieren dies zu Recht – handeln aber anders.
N ichts ist gut in Afghanistan. Jenes Diktum Margot Käßmanns von vor über zehn Jahren ist leider aktueller denn je. Die Bilanz der westlichen Militärintervention fällt fatal aus. Nach dem Abzug der letzten Nato-Truppen bleibt ein Land zurück, das im Chaos versinkt und seiner Bevölkerung keine sichere Lebensperspektive bietet. Die Taliban befinden sich auf dem Vormarsch und haben bereits weite Teile Afghanistans unter ihre Kontrolle gebracht.
Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die islamistischen Fanatiker auch in Kabul wieder die Macht übernehmen. Verloren haben den vermeintlichen „Krieg gegen den Terror“ am Hindukusch nicht nur die USA und ihre Verbündeten, sondern vor allem die geschundene afghanische Bevölkerung. Da lässt sich nichts beschönigen.
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hat daher recht, wenn er die Bundesregierung scharf dafür kritisiert, dass sie in ihrem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes so tut, „als wäre nichts geschehen“. Und auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans liegt richtig, wenn er Innenminister Horst Seehofer und dem Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet bescheinigt, deren stures Festhalten an Abschiebungen nach Afghanistan sei „voll auf der menschenfeindlichen Linie von Populisten“.
Die afghanische Regierung bittet Berlin inständig, derzeit niemanden in das Land zurückzuschicken. Das sollte die Bundesregierung beherzigen. Denn es gibt dazu keine humanistische Alternative. Auch wenn es unpopulär sein mag: Das gilt selbst für verurteilte Straftäter.
Laschet liefert ein höchst fragwürdiges Argument
Laschet begründet seine Befürwortung weiterer Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan damit, dass der Grundsatz „Null Toleranz gegenüber Kriminellen“ keine Ausnahmen erlaube. Aber das ist ein höchst fragwürdiges Argument. Welche Staatsbürgerschaft ein Täter hat, ist für das Opfer egal. Und für einen Rechtsstaat sollte es das auch sein.
Ein Straftäter hat eine angemessene Strafe für seine Tat zu erhalten. Nach dem Verbüßen der Strafe den einen in die Freiheit zu entlassen, den anderen aber in eine tödliche Bedrohung zu schicken, ist ein Doppelstandard, der sich mit jenem christlichen Menschenbild, das Laschet wie auch Seehofer so gerne vor sich her tragen, nur schwer vereinbaren lässt.
Machen wir uns nichts vor: Was Laschet und Seehofer propagieren, wird auch weiterhin von Landesregierungen praktiziert, an denen die Grünen und die SPD beteiligt sind. Deswegen reicht es nicht, wenn Habeck und Walter-Borjans nur die politische Konkurrenz kritisieren. Sie müssen auch mit ihren Parteifreunden in den Ländern über eine Änderung der Abschiebepraxis streiten. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Israelis wandern nach Italien aus
Das Tal, wo Frieden wohnt