piwik no script img

Abschiebungen nach KabulEine Frage der Glaubwürdigkeit

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Deutschland schiebt weiter afghanische Straftäter ab. Grüne und SPD kritisieren dies zu Recht – handeln aber anders.

Habeck fordert einen Stopp der Abschiebepraxis nach Afghanistan Foto: Julian Stratenschulte/dpa

N ichts ist gut in Afghanistan. Jenes Diktum Margot Käßmanns von vor über zehn Jahren ist leider aktueller denn je. Die Bilanz der westlichen Militärintervention fällt fatal aus. Nach dem Abzug der letzten Nato-Truppen bleibt ein Land zurück, das im Chaos versinkt und seiner Bevölkerung keine sichere Lebensperspektive bietet. Die Taliban befinden sich auf dem Vormarsch und haben bereits weite Teile Afghanistans unter ihre Kontrolle gebracht.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die islamistischen Fanatiker auch in Kabul wieder die Macht übernehmen. Verloren haben den vermeintlichen „Krieg gegen den Terror“ am Hindukusch nicht nur die USA und ihre Verbündeten, sondern vor allem die geschundene afghanische Bevölkerung. Da lässt sich nichts beschönigen.

Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hat daher recht, wenn er die Bundesregierung scharf dafür kritisiert, dass sie in ihrem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes so tut, „als wäre nichts geschehen“. Und auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans liegt richtig, wenn er Innenminister Horst Seehofer und dem Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet bescheinigt, deren stures Festhalten an Abschiebungen nach Afghanistan sei „voll auf der menschenfeindlichen Linie von Populisten“.

Die afghanische Regierung bittet Berlin inständig, derzeit niemanden in das Land zurückzuschicken. Das sollte die Bundesregierung beherzigen. Denn es gibt dazu keine humanistische Alternative. Auch wenn es unpopulär sein mag: Das gilt selbst für verurteilte Straftäter.

Laschet liefert ein höchst fragwürdiges Argument

Laschet begründet seine Befürwortung weiterer Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan damit, dass der Grundsatz „Null Toleranz gegenüber Kriminellen“ keine Ausnahmen erlaube. Aber das ist ein höchst fragwürdiges Argument. Welche Staatsbürgerschaft ein Täter hat, ist für das Opfer egal. Und für einen Rechtsstaat sollte es das auch sein.

Ein Straftäter hat eine angemessene Strafe für seine Tat zu erhalten. Nach dem Verbüßen der Strafe den einen in die Freiheit zu entlassen, den anderen aber in eine tödliche Bedrohung zu schicken, ist ein Doppelstandard, der sich mit jenem christlichen Menschenbild, das ­Laschet wie auch Seehofer so gerne vor sich her tragen, nur schwer vereinbaren lässt.

Machen wir uns nichts vor: Was Laschet und Seehofer propagieren, wird auch weiterhin von Landesregierungen praktiziert, an denen die Grünen und die SPD beteiligt sind. Deswegen reicht es nicht, wenn Habeck und Walter-Borjans nur die politische Konkurrenz kritisieren. Sie müssen auch mit ihren Parteifreunden in den Ländern über eine Änderung der Abschiebepraxis streiten. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Laschet? Seehofer? christlich?

    Ich hab' da eine Wette am laufen: wenn die exkommuniziert werden, mache ich meinen Kirchenaustritt rückgängig.

    Hochofiziell.

    Schmerzlicher für mich ist, dass auch die Grünen Angst vor dem kleinen braunen Haustier der Union haben: Klar, der beisst. Und widerlich stinken tut er auch. Aber wozu soll ich Euch noch wählen, wenn Ihr solche Angsthasen seid?

    • @tomás zerolo:

      Na ja. Die beiden haben zumindest den Afghanistan-Einsatz mit gebacken bekommen und so gleich Millionen vor den Taliban geschützt.

      Das ist mehr, als jene, die sich hier gerade mal um den Schutz von Gefährdern und Straftätern kümmern.

  • Die Abschiebung in Bürgerkrieg (Afghanistan) oder Folter (Syrien) ist nicht nur moralisch verwerflich sondern ein eindeutiger Bruch des auch für Deutschland verbindlichen Völkerrechts. Selbst Syrien das derzeit nach Weltrecht IN Deutschland wegen massenhafter Folter der Zivilbevölkerung angeklagt wird, propagieren Seehofer und Co als sicher und hoben den Abschiebestopp auf. Selbstverständlich gilt der Schutz des Lebens und der Schutz vor Folter auch für Straftaeter. Was fehlt sind Klagen gegen Deutschland um den fortgesetzten Rechtsbruch endlich zu unterbinden.

  • In Afghanistan leben derzeit 40 Mio Menschen. "Die afghanische Regierung bittet Berlin inständig derzeit niemand in das Land zurückzuschicken" lese ich.



    Mal völlig unabhägig von der individuellen Gefahrenlage und dass nach wie vor mehr Menschen das Land verlassen als zurückkommen. Kurzum: Bei derlei schwachen Argumenten werde ich hellhörig wer da wohl welches Spiel spielt.

  • Siehe die Kommentare von allen zu:



    taz.de/Gruene-Poli...iebungen/!5786402/

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Nun, mittlerweile nicht mehr von allen...

  • Für mich ist das eine Abwägungssache: Den Menschen, die man abschiebt, droht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Gefahr in Afghanistan.

    Genauso droht der Bevölkerung in Deutschland Gefahr durch entlassene Straftäter und Gefährder.

    Dieses Risiko ignoriert der Autor.

    • @gyakusou:

      "Den Menschen, die man abschiebt, droht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Gefahr in Afghanistan."



      Auch 100% sind ja eine "gewisse Wahrscheinlichkeit". Soweit man liest gilt den Taliban jede Person die in den Westen geflüchtet ist Verräter*in der*die entsprechend bestraft werden muss. Die Methoden die sie dabei anwenden unterscheiden sich von denen etwa des IS nicht allzusehr.



      "Genauso droht der Bevölkerung in Deutschland Gefahr durch entlassene Straftäter und Gefährder."



      Grund und Menschenrechte gelten auch für Straftäter*innen und bei Weitem nicht jede*r Straftäter*in ist gefährlich. Tatsächlich definiert §95 AufenthG "1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer [...] 2. ohne erforderlichen Aufenthaltstitel [...] sich im Bundesgebiet aufhält, wenn a) er vollziehbar ausreisepflichtig ist,[...] c) dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist". Bei einer solchen Rechtslage nach der bereits illegal handelt wer einer Ausreiseverpflichtung etwa aus Angst um das eigene Leben nicht nachkommt, ist es natürlich kein Wunder, dass nur Straftäter abgeschoben werden.



      Die Kategorie Gefährder bedeutet ebenfalls nicht, dass sich die jeweilige Person irgendetwas hat zu Schulden kommen lassen, das ist einfach nur die Einschätzung von Polizei oder Sicherheitsbehörden, dass diese Person möglicherweise etwas tun könnte. Ein derart vager Blick in die Glaskugel ist schon heftig dünne Grundlage um Menschen in den relativ wahrscheinlichen Tod zu schicken.