Abschiebestopp nach Afghanistan: Seehofers späte Kehrtwende

Vor einem Monat bat die afghanische Regierung Deutschland, Abschiebungen auszusetzen. Nun hat sich Innenminister Seehofer dazu durchgerungen.

Horst Seehofer blickt nach unten

Hält Abschiebungen grundsätzlich trotzdem für richtig: Bundesinnenminister Horst Seehofer Foto: Florian Gärtner/photothek/imago

Am Ende ging es ganz schnell. Vor wenigen Tagen noch hielt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Abschiebungen nach Afghanistan für vertretbar. Am Mittwoch nun wurde bekannt, dass Seehofer seine Meinung geändert hat. „Die Sicherheitslage vor Ort ändert sich derzeit so rasant, dass wir dieser Verantwortung weder für die Rückzuführenden noch für die Begleitkräfte und die Flugzeugbesatzung gerecht werden können“, begründete Seehofer am Mittwoch seine Entscheidung. Trotzdem hielt er am Prinzip der Abschiebungen fest und kündigte an: „Sobald es die Lage zulässt, werden Straftäter und Gefährder wieder nach Afghanistan abgeschoben.“

Menschenrechtsgruppen, Kirchen und Teile der Opposition hatten seit Wochen oder Monaten einen Abschiebestopp gefordert. Noch am Dienstag gaben 26 Organisationen, darunter Amnesty International, Pro Asyl, Caritas und die Diakonie dazu eine gemeinsame Erklärung ab.

Pro Asyl und mehrere Flüchtlingsräte begrüßten die Entscheidung Seehofers, der Flüchtlingsrat München äußerte die Hoffnung, dass es „bei einem dauerhaften Abschiebestopp“ bleibe.

Wie lange das Moratorium gilt, stand bis Redaktionsschluss nicht fest. Eine entsprechende Anfrage der taz ließ das Bundesinnenministerium (BMI) unbeantwortet. Für die knapp 30.000 Afgha­n:in­nen in Deutschland, die das BMI als „ausreisepflichtig“ führt und die, je nach Wohnort, mehr oder weniger akut von einer Abschiebung bedroht sind, stellt Seehofers Kehrtwende deshalb noch keine dauerhafte Beruhigung dar.

Abschiebeflüge wurden zuletzt verschoben

Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt forderte deshalb: „Jetzt muß [sic!] sich auch die Entscheidungspraxis des Bundeamtes [für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Anm. d. Red.] ändern.“ Mit der Argumentation, von den Taliban Verfolgte könnten in Großstädten wie Herat, Massar-i-Scharif, Kundus oder Kabul sicher leben, seien in der Vergangenheit verfolgte Af­gha­n:in­nen vom Bamf abgelehnt worden, so Burkhardt.

Tatsächlich erhielten zuletzt nur knapp über 37 Prozent der Af­gha­n:in­nen einen Schutzstatus in Deutschland. Grundlage für die Asylentscheidungen ist die Einschätzung der Sicherheitslage vor Ort durch das Auswärtige Amt (AA). Und das hat bis zuletzt bestritten, dass abgeschobene Asyl­be­wer­be­r:in­nen in Afghanistan systematisch bedroht seien. Auch in dem jüngsten Lagebericht von Mai 2021, der der taz vorliegt, wird die Sicherheitslage offensichtlich geschönt. Wegen zunehmender Kämpfe zwischen Taliban, Milizen und Regierungstruppen selbst in der Hauptstadt Kabul mussten in diesem Jahr bereits mehrere Abschiebeflüge kurzfristig verschoben werden, zuletzt vergangene Woche.

Bereits vor einem Monat bat die afghanische Regierung, Abschiebungen in ihr Land für drei Monate auszusetzen – zunächst ohne Erfolg. Erst diesen Montag kündigte das Auswärtige Amt an, wegen der Eroberungen der Taliban „eine Ad-hoc-Aktualisierung des Lageberichtes“ vornehmen zu wollen.

Seit 2016 haben Bund und Länder in Sammelflügen mehr als 1.100 Menschen nach Afghanistan abgeschoben, in diesem Jahr waren es bereits 167. Viele Länder schieben nach eigenen Angaben jedoch „nur“ Straftäter und Gefährder ab.

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