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Abschiebung aus SachsenRusse muss nach Schweden

Sachsen schiebt den russischen Friedens- und Umweltaktivisten Dolgow ab. SPD-Abgeordnete und NGOs fordern seine Rückkehr.

Roman Dolgov kurz nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis 2013 in St. Petersburg, jetzt soll der ehemalige Greenpeace-Aktivist nach Schweden abgeschoben werden Foto: Vladimir Baryshev/Greenpeace International

Berlin taz | Sachsen hat einen russischen Autor, Friedens- und Umweltaktivisten nach Schweden abgeschoben. Roman Dolgow arbeitete von Russland und Europa aus für die Internationale Ärzteorganisation zur Verhinderung eines Atomkrieges IPPNW sowie für Greenpeace. Er hatte 2013 gemeinsam mit anderen Greenpeace-Aktivisten mit dem Schiff „Artic Sunrise“ friedlich gegen russische Ölbohrungen durch Gazprom in der Arktis protestiert. Der Protest wurde durch ein schwerstbewaffnetes russisches Einsatzkommando gewaltsam beendet und Dolgow kam gemeinsam mit den anderen Aktivisten in Haft.

Nur auf massiven internationalen Druck kam er nach zwei Monaten frei. Er reiste anschließend nach Deutschland, wo er drei Jahre lang lebte und eine Familie gründete. Er hat in Sachsen eine Lebensgefährtin und einen gemeinsamen Sohn. Nach 2016 pendelte er für seine Arbeit zwischen Russland, Schweden und Deutschland. Im Mai 2022 gelang es ihm, mit einem schwedischen Schengenvisum aus Russland zu fliehen.

Er reiste nach Annaberg-Buchholz in Sachsen, wo seine Familie lebt. Zu dieser Zeit gab es noch keine Einreiseregelung für russische Dissidenten. Weil er hier leben wollte, drängten ihn die Behörden in Sachsen in ein Asylverfahren. Nach eigenen Angaben wurde ihm im November mitgeteilt, dass Deutschland ihn im Rahmen der Dublin-Verordnung nach Schweden schicken will. Er hat dagegen geklagt, weil er gemeinsam mit Partnerin und Sohn in Deutschland leben wollte und hier Arbeit hat. Sein Anwalt Leo Matthias Waltermann sagt, das Klageverfahren sei noch nicht abgeschlossen. „Ich werde es weiter betreiben, damit mein Mandant wieder einreisen kann.“

Von Schweden aus hat Dolgow seine Abschiebung wie folgt beschrieben: Mitten in der Nacht hätten ihn sechs bewaffnete Polizisten abgeholt wie einen Schwerverbrecher. Sie gewährten ihm 15 Minuten, um seine Sachen zu packen, die Fenster zu schließen, Strom und Heizung abzuschalten. Vor der Fahrt zum Flughafen Schönefeld gab es eine Leibesvisitation. Sein Handy wurde eingezogen. Ein Polizist hätte sich für die Behandlung bei ihm entschuldigt, sagte, das sei aber seine Aufgabe. Beim Umpacken seines Gepäcks in Schönefeld in seiner Abwesenheit gingen nach seinen Angaben drei externe Festplatten seines Laptops verloren, auf denen seine Publikationen und unveröffentlichte Werke standen.

SPD-Mann Richter fordert Wiedereinreise Dolgows

Deutschland hätte ihn mit einem Einreiseverbot von 22 Monaten belegt. So lange kann er seinen Sohn nicht sehen. Dolgow arbeitete in Sachsen zuletzt als Englischlehrer für ukrainische Kinder an einem Gymnasium. Er sagt: „Die Schüler und Schülerinnen meiner ukrainischen Klasse waren schockiert. Sie wollen einen Sammelbrief schreiben, wissen aber noch nicht, an wen.“

Das für Dublin-Abschiebungen zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge möchte sich aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zu dem Fall äußern. Der sächsische SPD-Abgeordnete Frank Richter fordert die Wiedereinreise von Roman Dolgow. „Es hätte Sachsen gut angestanden, ihn aufzunehmen und seine Hilfe bei der Unterrichtung ukrainischer Kinder in Anspruch zu nehmen.“ Zudem müsse der Dissident mit seiner Familie gemeinsam leben können.

„Roman Dolgow hat sich unter hohem Einsatz und mit persönlichen Konsequenzen für den Schutz von Umwelt und Klima engagiert – und das unter den schwierigen Bedingungen in Russland“ sagt sein ehemaliger Arbeitgeber Greenpeace der taz. „Es macht uns sprachlos, dass er nun aus Sachsen abgeschoben wurde. Er hat in Deutschland gelebt und sich hier wieder etwas aufgebaut. Das wird nun zerschlagen, weil die Bundesregierung russischen Dis­si­den­t:in­nen zu spät den Schutz eingeräumt hat, den diese mutigen Menschen verdienen.“

Die Friedensorganisation IPPNW, deren Mitarbeiter Dolgow ebenfalls war, zeigt sich ebenso bestürzt. „Im Angesicht des russischen Krieges gegen die Ukraine sollte die Bundesregierung großzügig von der Möglichkeit Gebrauch machen, humanitäre Visa“ an russische Dissidenten und Kriegsdienstverweigerer zu erteilen. Nur wenn die deutsche Politik denen hilft, die sich der russischen Tötungsmaschinerie entziehen, „können wir weiteres humanitäres Leid verhindern“, heißt es von IPPNW.

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18 Kommentare

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  • Ich bin selbst Mitglied bei IPPNW und stelle fest, dass Friedensorganisationen und deren Mitglieder nicht in die derzeitige Zeitenwende passen und allen möglich Repressalien ausgesetzt sind.

  • Spannend wäre die Frage, welche Nationalitäten das Kind hat. Wenn es auch einen deutschen Pass hat, müsste das Recht des Kindes an seinem Elternteil Art. 26 locker in den Schatten stellen.

    Und warum stellt er Strom und Heizung aus, wenn er geht, wenn die Familie zusammen lebt? Hätte mir hier eine klarere Berichterstattung gewünscht.

    Wünsche jedenfalls der Familie, dass sie bald wieder zusammen sein kann. Es gibt Dinge in diesem Land, die mensch mit einem halbwegs moralischen Kompass nicht verstehen kann.

    • @HanM:

      Offenbar lebten die getrennt. Sonst macht das Heizung Ausschalten keinen Sinn.

      • @resto:

        Es gibt in seiner Schilderung keinen Hinweis auf eine Trennung. Eine separate Wohnung sagt darüber nichts aus, die Lebensgemeinschaft gibt es offenbar trotzdem, die Frau und der Sohn befanden sich, wie Dolgow sagt, "an einem anderen Ort" (offenbar zufällig, weil sie am nächsten Tag einen Termin hatten). Daraus lässt sich nicht einmal schließen, dass sie sich normalerweise nicht doch in demselben Haus aufhielten, aus dem Dolgow abgeholt wurde. Gut denkbar ist auch, dass die Abschiebebehörde den Zeitpunkt, wo Frau und Sohn außer Haus übernachten, bewusst gewählt hat.



        f-richter.net/news...chsen-abgeschoben/

  • Art. 26 Dublin III ist eindeutig. Aber es ist durchaus nicht so, dass alle Abschiebungen in der knappen Sechsmonatsfrist gelingen. Eigentlich ist es sogar die Ausnahme. Da muss es Sachsen schon eilig gehabt haben.

    • @hedele:

      Nur 11,5% werden wirklich abgeschoben, bei den anderen lässt Deutschland die Frist verstreichen.



      www.europarl.europ...-2020-0245_DE.html

      • @hedele:

        Eindeutig ist nur, dass die Behörden den Mann zum durch widerrechtlichen Druck zum Asylsuchenden gestempelt haben, um Art. 26 anwenden zu können. Das ist ein ganz ähnliches Vorgehen wie in Frankfurt an der Oder bei den Russen, die über die Brücke aus Polen kommen und auf der anderen Seite von Polizei und Ordnungsamt mit wilden Theorien widerrechtlich dazu bewegt werden, einen Asylantrag zu unterschreiben, damit er abgelehnt wird. Natürlich sind solche staatlichen Maßnahmen nicht rechtens. Da können Sie Dublin vergessen.

        • @Günter Picart:

          Wie geht denn bitte widerrechtlicher Druck? Ich habe so den Eindruck, dass Ihre Kenntnisse des geltenden Rechts ausgesprochen lückenhaft sind.

          • @Leningrad:

            Kenne mich gut aus, keine Sorge.

            Wenn Bundespolizisten und städtische Beamten jemanden unter Ausnutzung seiner Unwissenheit zum Unterschreiben eines für seinen aufenthaltsrechtlichen Status nachteiligen Schriftstücks drängen, ihm dabei Märchen erzählen (er müsste das unterschreiben, das sei international so vorgeschrieben, sonst gäbe es Konsequenzen) und Dinge verheimlichen (dass er damit seine eigene Abschiebung unterschreibt, weil der Asylantrag keine Chance hat) und ihm keine Bedenkzeit einräumen und auf diese Weise unabhängige rechtliche Beratung verunmöglichen, ist das selbstverständlich rechtswidrig, auch wenn es sich bei der Person um einen Ausländer handelt. Ist eine Grundrechtsverletzung (Artikel 6 EMRK, Recht auf ein faires Verfahren, gilt auch für Nicht-EU-Bürger).

            • @Günter Picart:

              Na dann klären Sie mich doch mal um die aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten auf. Was macht denn ein Nicht-EU-Ausländer nach Ablauf seines Visums? Eigentlich ausreisen...... Duldung heisst Aussetzung der Abschiebung. Was hätte denn Ihrer Meinung nach Herr Dolgov für die Verlängerung seines Aufenthaltes beantragen müssen?

  • Gefühltes und reales Recht sind zwei Sachen. Wenn Roman Dolgov mit einem Schengen-Visum nach Schweden einreiste, dann ist Schweden für ihn zuständig. Zu klären wäre auch die Frage, warum er ein 22-monatiges Einreiseverbot nach Deutschland hat.

    • @Leningrad:

      Das stimmt ja nicht. Das ist nur passiert, weil die sächsischen Behörden ihn widerrechtlich zum "Asylbewerber" gemacht haben. Mit einem Schengen-Visum kann er innerhalb Europas reisen, wohin er will. Die scheinheilige Frage nach dem "Einreiseverbot" ist unsinnig. Jeder Abgeschobene bekommt ein solches Verbot. Da die Abschiebung (formalrechtlich u.U. korrekt aber inhaltlich wegen der falschen Asylzuordnung in der Sache) unrechtmäßig war, ist es das Einreiseverbot unbegründet.

  • Wer regiert in unserem Land?

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Die Feinde meines Freundes sind auch meine Feinde.

  • Der Wahnsinn hat Methode. Ausländerbehörden haben ihre eigene Logik, da kommt Putin nicht vor.

  • Polit versteckt sich hinter Bürokratistan. Oder will sächsisch Polit sowas eigentlich ganz gern ? Könntjasein.