Abschiebe-Debatte in Großbritannien: Chaos bei den Torys
Mitten in der Kontroverse um geplante Abschiebungen nach Ruanda tritt der konservative britische Einwanderungsminister Robert Jenrick zurück.
Die Gesetzesentwürfe, über die Innenminister James Cleverly schon auf der ersten Seite verlautete, dass sie nicht mit dem europäischen Menschenrecht übereinstimmten, verpflichten britische Gerichte dazu, Ruanda als sicheren Drittstaat anzusehen. Sie sind dann gezwungen, dies ohne weitere Untersuchungen zu akzeptieren.
Desweiteren sollen die Gerichte bei Abschiebungen nach Ruanda nicht auf die britische Menschenrechtsverordnung aus dem Jahr 1998 und die Flüchtlingskonvention von 1951 zurückgreifen können.
Diese Klauseln sollen verhindern, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg die sogenannte „Rule 39“ anwendet – eine Eilmaßnahme, mit der der Gerichtshof Abschiebungen kurzfristig unterbinden kann. Mit diesem Instrument hatte der EGMR im Juni 2022 in letzter Minute einen Deportationsflug nach Ruanda blockiert und dann die Frage der Legalität der Abschiebung durch alle gerichtlichen Instanzen Großbritanniens laufen lassen, bis schließlich der Oberste Gerichtshof die Abschiebungen als illegal erklärte, weil Ruanda kein sicherer Drittstaat sei. Die vom Obersten Gerichtshof hervorgehobenen Mängel sollen durch einen neuen am Dienstag unterschriebenen Staatsvertrag mit Ruanda gelöst worden sein, behauptet die britische Regierung.
Widerstand im Parlament ist garantiert
Doch dem ehemaligen Einwanderungsminister scheint all das nicht robust genug. Klagen und Berufungsverfahren durch von Abschiebung bedrohte Personen würden damit nicht verhindert, behauptet er. Premierminister Sunak hätte seine Einwände ignoriert, schrieb er in seiner auf X veröffentlichten Rücktrittserklärung. Stattdessen hätten er und Befürworter:innen wie die ehemalige Innenministerin Suella Braverman, die Rishi Sunak letzten Monat aufgrund einer unabgesprochenen scharfzüngigen Kolumne und weiterer unangemessener Kommentare feuerte, eine Nichtbeteiligung am europäischen Menschenrecht gefordert.
Braverman hatte zufällig just am Mittwoch ihre Abschiedsrede um Unterhaus gehalten, eine Ansprache, die aus dem Amt scheidenden Minister:innen zusteht. Darin hatte sie die Politik Sunaks öffentlich kritisiert und gesagt, dass die Torys bei den nächsten Wahlen abgestraft werden würden, sollte der neue Gesetzentwurf zu Ruanda nicht greifen.
Bruch internationaler Verpflichtungen?
Premierminister Sunak konterte in seiner Antwort gegenüber Jenrick, dass dieser die Lage fundamental missverstanden habe. Die ruandische Regierung habe nämlich eindeutig klargemacht, dass sie sich nicht an dem Abschiebungsprogramm beteiligen würde, wenn dieses sich auf Legislatur stützt, die als Bruch der britischen internationalen Verpflichtungen verstanden werden könnte.
Der ruandische Außenminister Vincent Biruta betätigte dies. Das führte zu einer sofortigen scharfen Polemik der Labour-Schatteninnenministerin Yvette Cooper. „Das Einzige, was die britische Regierung nun davon abhält, internationales Recht zu ignorieren, ist die Regierung Ruandas!“, urteilte sie.
Ob der Gesetzesentwurf unverändert verabschiedet wird, ist nicht garantiert, denn parlamentarischer Widerstand ist im Unter- wie im Oberhaus garantiert. Die britische Flüchtlingsorganisation Refugee Council bezeichnete den Gesetzesentwurf auf X als beschämend. Er behandele Flüchtlinge wie menschliche Fracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“