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Absagen vor KunstsymposiumLogiken der Vermeidung

Die Neue Nationalgalerie war bei einem geplanten Symposium über Kunst und Antisemitismus in Berlin um Ausgleich bemüht. Jetzt mehren sich die Absagen.

Gestapelte Stühle in der Neuen Nationalgalerie in Berlin: „Strike Germany“ ist es gelungen, das Kunstsymposium zu verhindern Foto: Jürgen Ritter/imago

Fast wäre man wohl wirklich ins Reden gekommen, auf einem für Sonntag in der Neuen Nationalgalerie in Berlin geplanten Symposium. Über Kunst und Aktivismus, Antisemitismus und Meinungsfreiheit wollte man sprechen, geladen waren Is­rael­kri­ti­ke­r:in­nen wie Angehörige der Gegenseite, etwa der Künstler Leon Kahane. Der Streit, der sonst meist in den Medien, in offenen Briefen oder Social-Media-Posts ausgetragen wird, sollte eine große Bühne bekommen, bei der Auswahl der Red­ne­r:in­nen war man um Ausgleich bemüht.

Am Dienstagabend sagte die Künstlerin Candice Breitz ihre Teilnahme jedoch über Instagram ab. Gründe dafür nannte Breitz, die zu den bekannten Is­rael­kri­ti­ke­r:in­nen in der Kunstszene zählt und in dem Zusammenhang auch mit dieser Zeitung in juristische Auseinandersetzung trat, keine. Zuvor hatte die anonyme Boykott-Initiative „Strike Germany“ Stimmung gegen das Symposium gemacht. Den Titel der Veranstaltung hatte man da gleich zu „Vagheit und Vermeidung in Zeiten des Genozids“ geändert. Ohnehin seien hauptsächlich „den Völkermord leugnende Zionisten“ eingeladen, doch auch die „sympathisierenden“ Stimmen trügen mit ihrer Teilnahme dazu bei, den „Zionismus in Deutschland zu normalisieren“. Die Schlussfolgerung? „Shut it down!“

Kurz nachdem „Strike Germany“ den Post veröffentlicht hatte, folgte die erste Absage: Hito Steyerl, die die Keynote zum Symposium halten sollte und im Post als „bekannte antideutsche Künstlerin“ bezeichnet wurde, zog sich zurück. Angesetzt hatte die Neue Nationalgalerie das Symposium anlässlich der Eröffnung der Nan-Goldin-Retrospektive.

Die jüdische Fotografin Goldin, die zuletzt stark wegen ihres Einsatzes im Kampf gegen die Schmerzmittelkrise in den USA wahrgenommen wurde, gehört zu den scharfen Kri­ti­ke­r:in­nen Israels. So unterzeichnete sie etwa den schon im Oktober 2023 im Magazin Artforum erschienenen offenen Brief, in dem man sich für die Unterstützung der palästinensischen „Befreiung“ aussprach. Die israelischen Opfer des Hamas-Massakers fanden darin keine Erwähnung. Zu einer Absage von Goldins großer Schau in Berlin kam es in Folge nicht. Goldin fühlte sich jedoch anscheinend bemüßigt, auch auf Instagram zu betonen, dass ihr das Symposium von Anfang an nicht recht gewesen sei.

Auf Vorschlag von Nan Goldin

Überhaupt Spre­che­r:in­nen beider Seiten zu akquirieren sei nicht einfach gewesen, sagt Meron Mendel, der das Symposium gemeinsam mit Saba-Nur Cheema organisiert, gegenüber der SZ. So habe man auf Vorschlag Goldins auch die Gaza mit NS-Deportationsghettos vergleichende Autorin Masha Gessen eingeladen, die jedoch wieder absagte, als sie von der Teilnahme des SZ-Redakteurs Ronen Steinke erfuhr, heißt es in der Zeitung.

Bei „Strike Germany“ freut man sich indes über die Absagewelle. Neben Candice Breitz sind mittlerweile auch die Namen Eyal Weizmans sowie Raphael Maliks von der Teil­neh­me­r:in­nen­lis­te verschwunden. Zum Gespräch mit Andersdenkenden scheint man auf Seiten derer, die ansonsten gern Kundgebungen mit dem klingenden Namen „We still need to talk“ veranstalten, wohl nicht bereit.

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9 Kommentare

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  • Wenn man nicht mehr miteinander redet - was bleibt dann? Sich die Ohren zuhalten und laut schreien? Es ist ein Trauerspiel, das da zur Zeit allerorten aufgeführt wird.

  • Ist ja auch einfacher, sich nicht wirklich einem kontroversen, aber respektvollen Gespräch auszusetzen, sondern sich a) dem nicht zu stellen und b) die Gastgeber und anderen Gäste als irgendwas zu denunzieren und sich damit c) vor der "eigenen Seite" als moralisch besser darzustellen.

    Ach, Zionismus, ja? Hauptsache, man hat n schönes Wort zum Zuschlagen...

  • Danke. Der Bericht geht zwar gegen Ende leicht Richtung Kommentar, aber die Fakten sprechen auch so für sich.

    Die Behauptung, man kämen nicht zu Wort und dürfe nichts gegen Israel sagen, wird durch diese Absagen genauso leicht durchschaubar wie die Behauptung, der Boykott richte sich nur gegen Stimmen, die Israel unkritisch gegenüberstehen. Nein, er richtet sich auch gegen diejenigen, die vermitteln wollen.

  • "Zu einer Absage von Goldins großer Schau in Berlin kam es in Folge nicht."

    Das bedauere ich und hoffe darauf, dass sie zumindest keine Besucherrekorde bricht. Schade, dass die Bundestagsresolution hier keine Wirkung zeigt.

    • @*Sabine*:

      Sie finden es also bedauerlich, dass das Werk einer jüdischen Fotografin in Berlin zu sehen ist, weil diese die Politik Israels kritisiert hat? Ihnen fällt vielleicht die bittere Ironie auf, die darin liegt, wenn zwar bei der Gelegenheit die Solidarität mit "der jüdischen Seite" verkündet, diese aber offenkundig in Vergessenheit gerät, wenn Juden die falsche Meinung vertreten.

      • @O.F.:

        Der zweite Satz.

        "So unterzeichnete sie etwa den schon im Oktober 2023 im Magazin Artforum erschienenen offenen Brief, in dem man sich für die Unterstützung der palästinensischen „Befreiung“ aussprach. Die israelischen Opfer des Hamas-Massakers fanden darin keine Erwähnung."

      • @O.F.:

        vielleicht nicht, weil sie die Kritik Israels kritisiert - sondern weil sie einen fehlende Diskussionsbereitschaft zeigt, sondern - neben anderen - bewusst dafür eintritt, den Austausch zu verweigern.

        Solche Menschen sollten tatsächlich möglichst geringen Zulauf bekommen.

    • @*Sabine*:

      Warum bedauern Sie, dass eine Ausstellung einer jüdischen Künstlerin nicht abgesagt wird?

      • @Francesco:

        Siehe meine Antwort an O.F.. Nur ein Grund von mehreren.