ARD-Miniserie „Oktoberfest 1900“: Babylon München
Die ARD hat eine Wiesn-Serie gedreht und die Wirte beschweren sich. Es geht um Bier, Blut und „Wahre Begebenheiten“.
Eigentlich müssten sie doch dankbar sein. Einen besseren PR-Coup hätten sie sich nicht wünschen können. Und noch dazu so einen billigen: 17,50 Euro kostet derzeit der Rundfunkbeitrag. Mehr muss auch ein Wiesnwirt, selbst wenn er 6.000 und mehr Plätze hat, fürs ARD-Programm nicht bezahlen. Und wenn das Oktoberfest in diesem Jahr auch abgesagt wurde, erstmals seit 1949 – auf das Erste ist Verlass! Es hält eisern fest am Sendeplatz im September 2020. „Oktoberfest 1900“, die „High-End-Serie auf internationalem Niveau“ (Presseheft), findet statt. Bald auch auf Netflix, dann aber wohl unter dem anglisierten ursprünglich vorgesehenen und noch etwas handfesteren Titel mit internationalem Niveau: „Oktoberfest: Beer & Blood“.
Aber die Wirte regen sich auf. Nicht über das Bier, sondern das Blut, genauer über den in Versalien eingeblendeten Satz: „DIESE GESCHICHTE BERUHT AUF WAHREN BEGEBENHEITEN.“ Den ehrenwerten Kollegen von der Bild-Zeitung haben sie gar den Begriff „rufschädigend“ in den Schreibblock diktiert. Na, wer wird denn gleich so empfindlich sein. Mit den „wahren Begebenheiten“ ist doch weiter nichts gemeint, als dass es das Oktoberfest wirklich gibt, nur nicht in diesem Jahr.
Es erinnert sich doch bestimmt jeder noch daran, wie in der teuersten deutschen Fernsehproduktion „Babylon Berlin“ – koproduziert von der ARD – Mišel Matičević als Gangsterboss „Der Armenier“ in seinem Etablissement einem, der ihn hintergangen hatte, das zum delikaten Mahl zubereitete Fleisch seines Bruders servieren ließ. Haben da etwa die Berliner Gastronomen „rufschädigend“ et cetera geschrien? Oder haben sie vielleicht erkannt, dass diese Serie eine prima Werbung für die Stadt Berlin ist?!
Gangstertransfer
Ja, und weil doch das Grundgesetz verlangt, überall in Deutschland „gleichwertige Lebensverhältnisse“ zu schaffen und das damit auch zum Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gehört, wollte die ARD den Bayern also jetzt ihr „Babylon München“ schenken. Und konnte kaum mit so viel Undank rechnen. Dabei haben sie doch eigentlich alles richtig gemacht. Haben den Gangster nach München geholt, Gangstertransfer statt Spielertransfer quasi. Und Mišel Matičević ist ein 1A Gangster: Hat sich vom kleinen Luden („Hotte im Paradies“, 2002) über den Russenmafioso („Im Angesicht des Verbrechens“, 2010) zum Berliner Unterweltkönig hochgearbeitet. Gut, aus dem Armenier ist nun, in München, ein Nürnberger geworden – aber das kommt aus Münchner Sicht möglicherweise aufs Gleiche raus.
„Oktoberfest 1900“, Episoden eins und zwei am 15.9., drei und vier am 16.9., fünf und sechs am 23. 9., jeweils um 20.15 Uhr in der ARD – und in der Mediathek
Sein „Curt Prank“ hat jedenfalls große Pläne: „Ich will das Oktoberfest neu erfinden. Die Zeiten der kleinen Wirtsbuden sind vorbei! Ich baue eine Bude für 6.000 Menschen. Eine Burg. Eine Festung. 6.000 Plätze. Das ist die Zukunft!“ Wie einst Albert Speer in Heinrich Breloers „Speer und Er“ blickt er auf sein übergroßes Germania … nein, Wiesn-Modell und spielt mit den Bauklötzen. Die Zukunft, die er beansprucht, müssen andere entbehren. Die mit den kleinen Wirtsbuden. Namentlich der Brauer Ignatz Hoflinger (Francis Fulton-Smith). Dessen Beseitigung und das zeitgleiche Stelldichein seines Sohnes mit Pranks Tochter (Mercedes Müller) gibt Regisseur Hannu Salonen Gelegenheit zu einer kunstfertigen Parallelmontage. Hier der kleine Tod – „la petite mort“ sagen die Franzosen zum Orgasmus – und dort der große Mord im anderen Handlungsstrang.
Ach ja: In welchem Jahr das mit Martina Gedeck und Brigitte Hobmeier auch bei den Frauenrollen prominent besetzte „Oktoberfest 1900“ spielen soll, muss nicht extra erklärt werden, oder? Obwohl die um ihren Ruf besorgten Wiesnwirte das offenbar gar nicht begriffen haben – dass es um eine Zeit geht, die 120 Jahre zurückliegt. In der der Sex ein bisschen so aussieht wie in den „Josefine Mutzenbacher“-Verfilmungen der 1970er Jahre, in der zensierten 20.15 Uhr-Fassung. Immerhin: Eine splitterfasernackte Anstandsdamen-Bewerberin gibt es zu sehen, full-frontal. Anstandsdamen gibt es heute zum Glück keine mehr – zum Glück für die ARD: Wer weiß, wem die sonst ihr Leid über den beschädigten Ruf geklagt hätten!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!