piwik no script img

75 Jahre GrundgesetzLücke in Sachen Asyl

Frederik Eikmanns
Kommentar von Frederik Eikmanns

Keine Feier ohne Wermutstropfen: Geflüchteten bietet das Grundgesetz kaum Schutz. Aber es ermöglicht Abschiebungen in „sichere Herkunftsländer“.

Geflüchtete im Februar vor einem Aufnahmezentrum in der Gemeinde Kofinou auf Zypern Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

E in Staatsakt vor dem Bundestag, ein Demokratiefest übers Wochenende: Deutschland gratuliert sich zum Grundgesetz. Dabei ist diese deutsche Ersatz-Verfassung nur teilweise eine Erfolgsgeschichte, wie nicht zuletzt die Zahlen zu Abschiebungen zeigen, die am Donnerstag bekannt wurden. Einen Anstieg um 34 Prozent bei der Zahl der Abschiebungen im ersten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum teilt das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Linken mit.

Mit dem Grundgesetz hat das insofern zu tun, als es diesen Umgang mit Geflüchteten zulässt. Hieß es einst in Artikel 16 ganz schlicht „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, wurde dieser Paragraf in den 1990er Jahren mit zahlreichen Einschränkungen versehen. Beschlossen wurde das von Union und FDP, die SPD unterstützte das Vorhaben. Seitdem spielt das im Grundgesetz vorgesehene Asylrecht keine große Rolle mehr. In Fällen, in denen Geflüchtete Schutz erhalten, geschieht das fast immer auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention.

Sehr wohl bedeutsam ist dagegen das seit den 1990ern im Grundgesetz festgehaltene Prinzip der sicheren Herkunftsländer. Nur eben nicht zugunsten der Geflüchteten. Ein Hauptziel der Abschiebungen 2024 war bisher Georgien, das die Bundesregierung 2023 zum sicheren Herkunftsland erklärt hat. Die Einstufung senkt die Chancen auf einen Schutzstatus für Menschen von dort dramatisch. Dabei gibt es in Georgien – genauso wie in vielen anderen der vermeintlich sicheren Herkunftsländer – weiterhin Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen.

Wie schwach das Grundgesetz beim Schutz für Geflüchtete ist, zeigt sich auch daran, dass einige der jüngsten Abschiebungen Je­zi­d*in­nen betreffen, die vor dem Genozid durch den IS im Irak geflohen waren. Die Bundesregierung zwingt also Überlebende eines Völkermords zurück in ihr Herkunftsland, wo ihnen weiterhin Gefahr droht. Es fällt schwer, sich einen größeren Bruch mit dem vorzustellen, was das Grundgesetz einst garantieren sollte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Frederik Eikmanns
Fachredakteur Inland
Themenschwerpunkte Migration, Flucht und Antisemitismus
Mehr zum Thema

26 Kommentare

 / 
  • Karlsson , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion nun geschlossen. Die Moderation.

  • Ach Deutschland - ich höre dich bei Nacht...



    Grundgesetz assoziiert doch iwie auch Gerechtigkeit undso...



    Wie gerecht ist doch die freie Wahl - auch jetzt bei den kommenden EU Wahlen...



    Immerhin dürfen von 27 Mitgliedsstaaten , in Brüssel, Deutschland, Österreich, Griechenland & Malta - auch die 16 jährigen schon wählen...



    WUNDERBAR - freut bestimmt die anderen 22 Mitgliedsstaaten....

  • Wie so viele Artikel in der TAZ spricht auch dieser hier nur von einem Anstieg von 34% bei den Abschiebungen ohne einer Aussage zu den absoluten Zahlen. Diese bleiben mit knapp 5.000 im drei Monaten weiterhin sehr gering, sowohl in Bezug auf die Zahl Ausreisepflichtigen als auch in Vergleich zur Zahl derer die in dieser Zeit neu nach Deutschland eingereist sind. Darüber hinaus handelt es sich bei abgeschobenen Asylbewerbern um solche, deren Begehren nach Durchlauf des regulären Prozesses negativ beschieden wurde, sprich es liegt kein Asylgrund vor. Wo ist also das Problem?

  • "Einen Anstieg um 34 Prozent bei der Zahl der Abschiebungen im ersten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum".

    Erfreulich. 86% der Bevölkerung wünschen sich konsequente Abschiebungen (ZEIT online). So gesehen ist das einfach Demokratie endlich umgesetzt.

    Im übrigen fühlen sich genauso viele vom Gendern belästigt (Umfrage MDR). Da müssen wir noch besser werden.

    • @Wonneproppen:

      Klar “…2 Millionen 🪰🪰🪰🪰 können sich nicht irren!“ Mbg/L Mensa-Toilette -

  • Als ein für Asylrecht zuständiger Richter zitiere ich zu der Erbärmlichkeit der Schleifung 1992 des Art 16 Grundgesetz post Rostock und Hoyerswerda den Verfassungsrichter Jürgen Kühling im Spiegel-Interview “Wir schaffen ohne Not eines der! Menschen&Grundrechte des Grundgesetzes an. Nur weil wir schlecht organisiert sind!“



    Und da war die heutige Entwicklung - demnächst Verfahren in Ruanda et al.

    Die rassnte inhumane Entwicklung aber!



    Ist worauf Friedrich Küppersbusch zu Recht hingewiesen hat! Der Unerbittlichkeit der Nordschiene - Schland und taz-Buddy Wolfgang Schäuble vorweg im Grexit geschuldet!



    Damit war der Südschiene mit ihrer offenen Flanke via Flüchtlinge unmissverständlich klargemacht!



    Wenn uns das Wasser bis zum Hals steht! Läßt uns die Nordschiene im Regen stehn.



    Mit Norman Mailer: “PERVERS“ •

    So geht das ©️ Kurt Vonnegut



    “Ein weiterer Fehler des menschlichen Charakters ist, dass jeder bauen und keiner warten will. ...“

    • @Lowandorder:

      Ist das so eine Art Amtsanmaßung? Ist das nicht strafbar?

      • @Wonneproppen:

        Dem Pensionär - ist nix zu schwer! - 🥳 -

    • @Lowandorder:

      "Als ein für Asylrecht zuständiger Richter"



      Das würde einiges erklären in der deutschen Migrationspolitik.

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Kurt Kraus:

        Würde.

      • @Kurt Kraus:

        Das jemand nach 📺 vonne Schäl Siek scheint’s ähnlich mittels Post “An den Türken …“ mit Aufforderung zum Selbstmord & detaillierter Anleitung.

        Na Mahlzeit - ahnte - daß sojet nicht aussterben: lieber in ner Räuberhöhle zu wohnen! Wollnich

    • @Lowandorder:

      ERRATA

      Als ein - ZWANZIG JAHRE - für Asylrecht zuständiger Richter……

  • Klar, Deutschland nimmt in Europa relativ und absolut die meisten Schutzsuchenden auf, 90% Schutzstatus, aber das Grundgesetz bietet laut diesem Artikel "schwachen Schutz". Finde den Fehler.

  • Ist das nicht zum Einen etwas schief dargestellt, zum Anderen auch eine Überdehnung der Vorstellung, was eine Verfassung leisten kann und sollte.

    zum Schief: ja, die Zahl der Abschiebungen ist raufgegangen, aber relativ dazu, wieviele Menschen kommen und wieviele verschiedene Bleibetitel Deutschland anbietet doch auf geringem Niveau. Die Aufnahme von bedürftigen Menschen aus verschiedensten Gründen wurde auch mit dem GG begründet.Bei Millionen, die die letzten Jahre kamen, finde ich es schief hier nur auf die Abschiebungen zu schauen.

    Was sollte eine Verfassung leisten: ich finde eine Verfassung ist erstmal eine nationale und sollte nicht am "Weltglück" gemessen werden. Zum Einen weil sie das nicht leisten kann. Auch kann eine Überdehnung die Akzeptanz der Verfassung in den Bereichen verringern, in denen man sie als politische Basis braucht. Auch: "Hilfe und Schutz" heißen hier das Zusammenleben in einer neuen Gesellschaft mit neu auszuhandelnden Werten und Regeln. Davor sollte man, auch für andere Länder, Respekt haben. Das ist abzuwägen, nicht ohne Abstriche als Grundsatz zu fordern.

    • @Markus Michaelis:

      Mal vorweg -

      “Als Menschenrechte werden individuelle Freiheits- und Autonomierechte bezeichnet, die jedem Menschen allein aufgrund seines Menschseins gleichermaßen zustehen. Sie sind universell, unveräußerlich und unteilbar. Sie umfassen dabei bürgerliche, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechtsansprüche.



      Wikipedia - servíce -



      de.wikipedia.org/wiki/Menschenrechte



      &



      Dann! - try it again! Dank im Voraus!

      • @Lowandorder:

        Ist ja richtig! Nur sind die Menschenrechte leider nicht "von Natur aus" da, wie Schwerkraft oder Magnetismus. Sie müssen ausgehandelt/abgesprochen werden. Was dabei heraus kommt, reicht nicht jedem. Aber wie sollen sie sonst gesetzt werden? Es gibt leider keine neutrale und objektive Instanz, die sie verbindlich setzen könnte.

        • @Al Dente:

          Schonn. But.

          Rechtsstaatlich zwingend ist die Problemstellung von & durch die Grund&Menschenrechte her zu durchdenken und zu entscheiden!



          Und nicht anhand - mit Verlaub - der



          Stammtischgetränkekarte! Woll

          kurz - genau darin an Recht und Gesetz hab ich meinen Verfassungsauftrag als Richter gesehen und mich bemüht dem gerecht zu werden.

  • "...größeren Bruch mit dem vorzustellen, was das Grundgesetz ..."



    Nu, wie in einem anderen TAZ Artikel steht, sind 3.2 Mio Geflüchtete in D, von denen über 90% einen Schutzstatus erhalten. Das scheint gesellschaftlich nicht so schlecht zu sein, insbesondere wenn man bedenkt, dass die nicht aus Nachbarländern kommen, sondern sichere Länder durchqueren.

    • @fly:

      Wie erklären Sie denn die Erfolge der AfD?

  • "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" wurde nicht mit zahlreichen Einschränkungn versehen, sondern - im Gegenteil - im Lauf der Jahrzehnte immer mehr ausgeweitet auf alle möglichen Personengruppen, die aus allen möglichen Gründen Probleme haben, aber eben nicht wegen politischer Verfolgung.

    Gedacht war Artikel 16 eigentlich für Einzelpersonen wie Dissidenten und politische Aktivisten unter autoritären Regimen, also Leute wie Mandela oder Nawalny. Dass ganze Bevölkerungsgruppen aus fernen Ländern sich nach Deutschland aufmachen und sich auf das Asylrecht berufen war sicher nicht die Idee der Mütter und Väter des Grundgesetzes im Jahr 1949.

    Das Beispiel der Jesiden aus dem Irak zeigt außerdem einmal mehr, wie die Themen Flucht und Asyl hier in der taz immer wieder willkürlich durchmischt werden. Nach der Flüchtlingskonvention endet die Flucht sobald ein sicheres Land erreicht wird. Für Menschen aus dem Irak können das durchaus direkte Nachbarländer sein, nicht das ferne Deutschland. Das hat mit dem individuellen Asylrecht nach Artikel 16 rein gar nichts zu tun. Das regelt die internationale Flüchtlingskonvention.

    • @Winnetaz:

      DANKE!



      Wenn genau dieser Grundsatz umgesetzt würde, hätte das Recht auf Asyl nur Zustimmung.

  • 6G
    601161 (Profil gelöscht)

    Das Problem ist hier zum Ende äußerst klar benannt: "...wo ihnen weiterhin Gefahr droht." Und nun? Wir stellen uns vor Deutschland und die EU wären sich einig, EIN europ. Asylrecht incl. Sozialleistungen zu vereinbaren. Dann braucht es eine Instanz, die ALLE Staaten nach AKTUELLEN Situationen beurteilt. Diese Instanz wird niemals fertig, da die Welt sich ständig verändert. Man denke an Afrika in den letzten Jahren! Wie ist die Antwort auf einmal gewährte Aufenthaltserlaubnis bei Veränderung "zum Guten"? Wir wollen doch die Hoffnung nicht aufgeben...?Das sind jetzt nur die Anfänge der Problembeschreibung. Jetzt fragen wir die europäische Bevölkerung. Danach wären wir wahrscheinlich froh, wenn auch nur ein kleiner Teil des bisherigen Asylverfahrens überlebt. So sieht es aus! alles andere, lieber Redakteur, ist VÖLLIG lebensfremd! Die Menschen machen doch jetzt schon "zu" !! Träumer unterschätzen ständig die Macht des Faktischen!

  • Das Grundgesetz gab in einem durchaus sympathischen Anfall von Hybris einen individuellen Rechtsanspruch für alle. Die Vorstellung, dass Deutschland alle Verfolgten der Erde, z. B. halb Afrika oder alle indischen Frauen aufnehmen könne, ist absurd. Das an dieser Stelle immer gebrachte Argument "Aber die kommen ja gar nicht alle zu uns" wird im Zeitalter der Globalisierung mit jedem Tag weiter widerlegt.



    Wir sollten uns ehrlich machen und den individuellen Rechtsanspruch durch großzügige Kontingente ersetzen, statt merkelhaft erst die Arme auszubreiten und dann Stolperdrähte zu spannen. Das macht die Sache planbar und vor allem schnell, für alle Beteiligten.

  • Es ist keine Lücke, sondern das Asylrecht wurde faktisch abgeschafft.



    Da aber einerseits das Recht auf Asyl ein Menschenrecht ist, und als Grundrecht in der Originalfassung des Grundgesetzes verankert wurde, andererseits aber Grundrechte nach dem Ewigkeitsartikel im Wesensgehalt nicht geändert werden dürfen, ist meiner Abschätzung nach der derzeitigen Artikel 16 des Grundgesetzes selbst verfassungswidrig!

    • @Unvernunft:

      Erst mal lesen, bevor man wild in der Gegend herumschreibt! Gem. Art. 79 GG unterfallen von den Grundrechten lediglich die Art. 1 und 20 GG dem ewigen Bestandsschutz. Der Rest, also auch Art. 16a GG kann mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag und -rat jederzeit geändert werden.

  • Zum Thema Verfassung empfehle ich auch diesen Zeitpodcast:

    www.zeit.de/politi...ung-politikpodcast