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75 Jahre GrundgesetzDiktatur des Proletariats

Die Verfassung der DDR musste von Stalin abgenickt werden. Nach der Wende wurde die Chance auf ein gemeinsames Grundgesetz vertan.

Foto: Katja Gendikova

S talin ließ 1936 eine neue Verfassung für die Sowjetunion verkünden. Sie ging als „Stalinsche Verfassung“ in die Geschichte ein. Darin war das Recht auf Arbeit, die Gleichberechtigung der Frau, die Freiheit der Religion, Rede-, Versammlungs-, Demonstrations- und Pressefreiheit, Vereinigungsfreiheit, das Briefgeheimnis oder auch die „Unverletzlichkeit der Person“ garantiert.

Kein einziger dieser Paragrafen – wie viele andere dieser Verfassung – hatte einen wirksamen Realitätsbezug. Wer sich darauf berief, galt als Staatsfeind und wurde entsprechend behandelt. Es existierte keine Instanz, kein Verfassungsgericht, das hätte angerufen werden können. Über allem thronte die Kommunistische Partei, die allein, intransparent und nach „Lage der Dinge“ entschied, was „richtig“ und „falsch“, wer warum und wofür sanktioniert, verfolgt, bestraft oder erschossen wurde.

Bild: imago
Ilko-Sascha Kowalczuk

Jahrgang 1967, geboren in Ostberlin, Publizist und Historiker mit Schwerpunkt Aufarbeitung der SED-Diktatur. Von 1995 bis 1998 ehrenamtliches sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ des Deutschen Bundestags. 2019 berief ihn die Bundesregierung in die Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“. 2019 erschien sein Buch „Die Übernahme: Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“. In Kürze erscheint seine Biografie „Der deutsche Kommunist“ über Walter Ulbricht. (taz)

In der „Diktatur des Proletariats“ war kein belastbares Rechtssystem vorgesehen. Oder, wie Stalin es mit Bezug auf Lenin 1924 ausdrückte: „Die Diktatur des Proletariats ist die durch kein Gesetz beschränkte und sich auf Gewalt stützende Herrschaft …“

Als sich die Kommunisten nach der Befreiung vom Nationalsozialismus im Mai 1945 daranmachten, in ihrem deutschen Machtbereich, der Sowjetischen Besatzungszone und dem Ostsektor Berlins, ihre Herrschaft zu errichten, legten sie großen Wert darauf, formale Kriterien eines volksdemokratischen Systems zu berücksichtigen. Dazu zählte eine Verfassung.

Im September 1946 verabschiedete die SED-Führung „Grundrechte des deutschen Volkes. Der Weg zur Einheit Deutschlands“, eine Vorarbeit für eine neue Verfassung. Dieser Grundrechtskatalog mit 20 Artikeln war an einer parlamentarisch-bürgerlichen Demokratie orientiert. Die SED müsse sich als die einzige Partei profilieren, die konsequent für Frieden eintrete. Nur die restlos überwundene alte Gesellschaftsordnung und die Etablierung einer „demokratischen Ordnung“ unter Führung der SED garantiere Frieden.

Vom Kreml abgenickt

Schon im August 1946 überreichte der einflussreichste deutsche Kommunist, Walter Ulbricht, dem Kreml einen Verfassungsentwurf. „Verfassungsfragen sind Machtfragen“, betonte er. Der Entwurf spiegelte einen Kompromiss zwischen bürgerlichen Ansprüchen auf ordnungspolitische Bewahrung und sozialistischen Zukunftsvorstellungen einer anders strukturierten Wirtschaft auf der Grundlage staatlicher Vorgaben.

In einem scheindemokratischen Verfahren ist zwischen Ende 1947 und Sommer 1949 eine Verfassung für die „Deutsche Demokratische Republik“ ausgearbeitet worden. Im März 1948 stellte Stalin fest, dass diese Verfassung nicht besonders demokratisch zu sein brauche, um die Leute nicht zu verschrecken, doch müsse sie demokratisch genug sein, „um von den besten Elementen in West und Ost akzeptiert werden zu können“. „Demokratisch“ war in der Lesart der Kommunisten nur, was sich in der Sowjetunion und den Volksdemokratien staatspolitisch entwickelte: Föderalismus, Gewaltenteilung, ein Rechtsstaat waren nicht vorgesehen, sondern nur ein Scheinparlament; die KP als führende Kraft.

Im Dezember 1948 ist die künftige Verfassung der DDR von Stalin genehmigt worden. Verabschiedet wurde sie schließlich am 30. Mai im Folgejahr. Deutschland wurde in Artikel 1 als unteilbare Republik deklariert, wobei das Papier – anders als das Grundgesetz – keine Artikel enthielt, die Wege zur Wiedervereinigung aufzeigten. Am 7. Oktober 1949 erfolgte die Staatsgründung mit der Inkraftsetzung der Verfassung durch die Provisorische Volkskammer. Drei Tage zuvor hatte Gerhart Eisler in einer Sitzung der SED-Führung unmissverständlich verkündet: „Wenn wir eine Regierung gründen, geben wir sie niemals wieder auf, weder durch Wahlen noch andere Methoden.“

Nicht mal das Papier wert

Im Prinzip ist damit die Verfassungsgeschichte der DDR auserzählt. Sie war zu keinem Zeitpunkt das Papier wert, auf dem sie geschrieben und millionenfach verbreitet wurde. Mein Vater hat sie als Student 1958 durchgearbeitet. Er war noch nicht SED-Mitglied, aber bereits auf „gutem Wege“ vom dogmatisch-gläubigen Katholiken zum dogmatisch-gläubigen Kommunisten. An der Stelle in der Verfassung, in der festgelegt wurde, dass die Regierung „unparteiisch zum Wohle des Volkes und getreu der Verfassung und den Gesetzen“ zu arbeiten habe, unterstrich er „unparteiisch“ und fügte an den Rand ein Fragezeichen ein. Ja, das kollidierte mit der leninistischen Theorie und auch mit der DDR-Realität.

Das Grundgesetz nannte die SED-Führung ein amerikanisches Diktat, das der DDR-Verfassung diametral entgegenstehe

Das westdeutsche Grundgesetz nannte die SED-Führung ein amerikanisches Diktat, eine antidemokratische Verfassung, die der DDR-Verfassung diametral entgegenstehe. Diese Erzählung blieb von der SED unangetastet bis zum Untergang der DDR. Zehn Tage nach DDR-Gründung im Oktober 1949 verabschiedete die SED-Führung einen Beschluss, der die „führende Rolle“ der Partei festschrieb – gegen die Verfassung. Kein Gesetz, keine Verordnung, keine Verwaltungsmaßnahme durfte von der Regierung oder Volkskammer verabschiedet werden, ohne dass zuvor der SED-Parteivorstand oder die zuständige Abteilung im SED-Apparat diese selbst beschlossen hatten. Es entstand bei der SED eine Doppelstruktur, die die staatlichen Verwaltungsstrukturen spiegelte. Zugleich beschloss die SED-Spitze, dass im Staatsapparat nur Personen arbeiten dürften, die der Partei ergeben waren.

Die erste DDR-Verfassung beinhaltete einen Artikel, der bis 1958 die Grundlage für politische Verfolgungen abgab. Artikel 6 regelte, dass „Boykotthetze“ bestraft würde. Darunter konnte alles fallen, was der parteiischen Justiz einfiel – Zehntausende Urteile, darunter auch Todesurteile, sind mit dem Verweis „Boykotthetze“ gefällt worden. 1958 kam ein „Strafergänzungsgesetz“ heraus, das nunmehr „Staatsverrat“, „Spionage“, „Hetze“, „Staatsverleumdung“, „Sabotage, „Diversion“ und anderes konkretisierte, sodass Artikel 6 in der Strafrechtspraxis seine Bedeutung verlor. Ulbricht brachte auf den Punkt, was ohnehin galt: Gesetze hätten „der Entfaltung der Macht“ zu nützen. Staat und Recht bilden den „Hebel der sozialistischen Umwälzung“.

Eine neue nutzlose Verfassung

Am 1. Dezember 1967 erklärte er, es werde eine Kommission zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung eingesetzt. Die Verfassung von 1949 habe dem Sozialismus den Weg bereitet. Nun komme es darauf an, die Hauptaufgabe zu lösen, „den entfalteten Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung.“ Die neue Verfassung sollte weiter suggerieren, in der DDR würden Grund- und Menschenrechte garantiert. Tatsächlich ging es darum, die „führende Rolle der SED“ in der Verfassung festzuschreiben und die DDR als souveränes, selbstständiges, unabhängiges Völkerrechtssubjekt zu behaupten. Ulbricht zeigte sich stolz, dass in der DDR bereits das „bürgerliche Prinzip der Gewaltenteilung“ beseitigt worden sei.

Am 6. April 1968 ist die neue Verfassung mit einem Volksentscheid angenommen worden. Immerhin sind niemals zuvor oder später so viele Gegenstimmen und Nichtwähler offiziell eingeräumt worden: rund 700.000, knapp 6 Prozent der Stimmberechtigten. Die Verfassung schrieb die führende Rolle der SED fest und definierte die DDR als einen „sozialistischen Staat deutscher Nation“. Insgesamt ähnelte diese Verfassung in vielen Punkten, zuweilen bis in die Formulierungen, der Stalinschen Verfassung. 1974 kam es zu einer Veränderung – jeder Bezug auf die deutsche Nation und Gesamtdeutschland wurde getilgt, zugleich kam es zu einem Bekenntnis, unlösbarer Bestandteil „der sozialistischen Gemeinschaft“ zu sein. Ein Passus, der rückwirkend den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag 1968 legitimierte und zugleich präventiv vorsorgte.

Das Grundgesetz wurde dem Osten übergestülpt

Am 1. Dezember 1989 wurde der Führungsanspruch der SED aus der Verfassung gestrichen. Nur eine Woche später begann der Zentrale Runde Tisch zu tagen, um freie Wahlen in der DDR vorzubereiten. Eine Arbeitsgruppe befasste sich mit einer neuen DDR-Verfassung. Erst etwa drei Wochen nach den Wahlen am 18. März 1990 legte sie einen Verfassungsentwurf vor. Die Volkskammer befasste sich nicht damit. Die Vereinigung nach Art. 23 des Grundgesetzes – Beitritt zum Geltungsbereich des GG – stand auf der Tagesordnung. Der im Grundgesetz immer noch bestehende Art. 146 – Verabschiedung einer neuen Verfassung über die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung – fand keine Mehrheit, weder vor noch nach dem 3. Oktober 1990.

Eine neue Verfassung hätte die deutsche Einheit auf eine politisch-kulturell-mental andere Ebene heben, ihr ein Dokument der Gemeinsamkeit geben können. Auch heute könnte die Anwendung von Art 146 GG etwas bewirken – nämlich De­mo­kra­t*in­nen in der Gesellschaft das Selbstbewusstsein zurückgeben, dass sie in einer großen Mehrheit sind und nicht die linken und rechten Extremisten, die das dauernd für sich reklamieren. Dafür allerdings braucht es Mut und die Einsicht, dass Verfassungen nicht allein Angelegenheit von Ju­ris­t*in­nen sind, sondern der ganzen Gesellschaft gehören.

Heute gibt es keine demokratische Verfassung auf der Welt, die so viele Veränderungen und Ergänzungen erfuhr wie unser Grundgesetz in den letzten 30 Jahren. In der DDR berief ich mich oft auf die Verfassung, um meine Kritik am SED-Staat mit dessen eigenen Papieren zu untermauern. Heute hätte ich gern eine moderne Verfassung, deren Zustandekommen allein ein Schlag ins Gesicht der Demokratie- und Freiheitsfeinde von links und rechts sein könnte.

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22 Kommentare

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  • Die Anwendung von Art. 146 GG wäre mehr als angebracht gewesen. Jetzt allerdings spielt es auch schon keine Rolle mehr.

  • 9G
    94799 (Profil gelöscht)

    Die Chance auf eine Volksabstimmung über eine Verfassung wurde nicht "vertan" sondern aktiv von der westlichen Politikerkaste verhindert nach dem unausgesprochenden Motto "wo kommen wir denn dahin wenn die Bürger über ihre Rechte und Pflichten per Volksabstimmung entscheiden" - ferner ist nicht auszuschliessen das die Westler Angst davor hatten dass die Ostler da Sachen in die Verfassung bringen zu den Themen Wohnraum, Gesundheit, Arbeit etc. die der westlichen Kapitalisten-/Spekulantenkaste nicht "in den Kram passen".



    Ich bin geborener Westler und 1989 ausgewandert nach Portugal.

  • Man kann sich immer wat schöneres wünschen - aber im Gegensatz zur DDR-Verfassung ist das Grundgesetz in weiten Teilen ja ...nun sagen wir.... bearbeitbar. Und verkennen wir nicht den westbundesdeutschen oder vielleicht sogar gesamtdeutschen Hang zum Perfektionismus... Wenn hier auch nur Klimageld an Studenten gezahlt. oder Hochwasserkatastrophenhilfe organisiert werden muss, dauert das 2 Jahre...Ich bin nicht sicher, ob die Beratungen zu einer neuen gesamtdeutschen Verfassung heute - 30+ Jahre später schon abgeschlossen wären...



    Und die vorherrschende Meinung zur deutschen Einheit ist wohl: es gab ein Zeitfenster in der sie möglich war - und einen Kanzler samt schwäbischem Machtadlatus, die auf keinen Fall einen 2-Bundesstaat riskieren wollten, in dem sie nicht komplett das Sagen hatten. Und eine breite Mehrheit in den späteren Neuen Ländern für längeres Gekungel hätte es damals wohl auch nicht gegeben - vielen hat schon das Gemauschel um den Einigungsvertrag zu lange gedauert - sie wußten ja nicht, in was für einen Laden sie da einheiraten...



    Und wer hätte für "den Osten" denn in der Verfassungsrunde sitzen sollen ? Ich wette, alte SED-Kader aus der 2.+3. Reihe hätten sich reingedrängelt. Und in welchem Verhältnis - mengenmässig hätte die alte BRD wohl immer die entscheidende Mehrheit behalten...Und eine 50:50 Besetzung wäre im Westen nicht vermittelbar gewesen...



    Wie sagen die Briten: "water under the bridge"...



    Wer will kann ja zusehen, ob er den jetzigen Text verändert kriegt. Tipp: rübermachen in den Westen und so tun als wär man Wessi - dann ist der Widerstand gegen Vorschläge nicht so dicke.....;-))

  • “Mögen hätten wir schon gewollt,

    Die Gemeinsame Verfassungskommission (GVK) wurde Ende November 1991 durch die beiden deutschen Gesetzgebungsorgane Bundestag und Bundesrat eingesetzt, um sich nach Art. 5 des Einigungsvertrages „mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen, insbesondere



    in Bezug auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern entsprechend dem Gemeinsamen Beschluß der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990, in Bezug auf die Möglichkeit einer Neugliederung für den Raum Berlin/Brandenburg abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 des Grundgesetzes durch Vereinbarung der beteiligten Länder, mit den Überlegungen zur Aufnahme von Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz sowie



    mit der Frage der Anwendung des Artikels 146 des Grundgesetzes und in deren Rahmen einer Volksabstimmung.“



    Das Gremium konstituierte sich am 16. Januar 1992 und war ein Kompromiss aus der Bestätigung des bisherigen Grundgesetzes und der Forderung nach einer neuen Verfassung für das vereinte Deutschland. Unter dem Vorsitz von Henning Voscherau (SPD) und Rupert Scholz (CDU) erörterten die 64 Mitglieder durch die Vereinigung notwendig gewordene Grundgesetzänderungen. Es ging dabei vor allem um eine Neubestimmung der Kompetenzen von Bund und Ländern in der Gesetzgebung,



    die Frage einer abschließenden Volksabstimmung über die Grundgesetz-Reform gemäß Art. 146 GG, eine Erweiterung der Grundrechte durch die Aufnahme von sogenannten Staatszielen wie Umweltschutz oder den Ausbau der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, sowie eine Prüfung, ob einzelne Artikel nicht aufgrund der Europäischen Integration neu formuliert werden müssten oder gar zu streichen seien.



    Zahlreiche gesellschaftliche Gruppierungen versuchten, durch Initiativanträge Einfluss zu nehmen. Letztlich blieb es aber, besonders in der Föderalismusreform, bei marginalen Empfehlungen zur Korrektur des Grundgesetzes.



    => Wikipedia

    • @Lowandorder:

      ps btw but not only - euch tazis -

      a 🥱 & a 🥱 ins Stammbuch der Unberaten Unbedarften! Woll



      Es war federführend euer “Cheffinnensache“ Demokratiebuddy Mielke auf Rädern - ja Wolfgang die Briefumschläge Schäuble!



      Der alle diesbezüglichen Ansätze systematisch torpediert hat •

      kurz - Wie autoritätsfixiert muß frauman eigentlich sein - um auf so eine abgewixte Schmonzesfigur reinzufallen!

  • Ich hätte dazu eine Menge zu sagen, aber lassen wir es mal bei einem Beispiel:

    "Die erste DDR-Verfassung beinhaltete einen Artikel, der bis 1958 die Grundlage für politische Verfolgungen abgab. Artikel 6 regelte, dass „Boykotthetze“ bestraft würde. Darunter konnte alles fallen, was der parteiischen Justiz einfiel – Zehntausende Urteile, darunter auch Todesurteile, sind mit dem Verweis „Boykotthetze“ gefällt worden. 1958 kam ein „Strafergänzungsgesetz“ heraus, das nunmehr „Staatsverrat“, „Spionage“, „Hetze“, „Staatsverleumdung“, „Sabotage, „Diversion“ und anderes konkretisierte..."

    Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an das erste "Strafergänzungsgesetz" der Bundesrepublik, auch als das erste "Blitzgesetz" Adenauers bekannt:



    Dies ermöglichte es der Justiz, geradezu jeden Bundesbürger wegen Hochverrats, Spionage, Hetze usw. anzuklagen, der auch nur einmal in der DDR Freunde oder ein Theater besucht hatte. Üblicherweise waren die Verdächtigen schnell gefunden: Linke.

    Es gab über 200.000 Strafverfahren über 10.000 Leute kamen teils jahrelang in den Knast.



    Ach ja, wann wurde dieses Gesetz erlassen?



    1950.



    Und blieb und blieb und blieb bis in die 60iger.



    Klingt nach1A Rechtsstaat, oder?

  • "Darin war das Recht auf Arbeit, die Gleichberechtigung der Frau, die Freiheit der Religion, Rede-, Versammlungs-, Demonstrations- und Pressefreiheit, Vereinigungsfreiheit, das Briefgeheimnis oder auch die „Unverletzlichkeit der Person“ garantiert. Kein einziger dieser Paragraphen – wie viele andere dieser Verfassung – hatte einen wirksamen Realitätsbezug."

    Doch, die sozialen Grundrechte wie "Recht auf Arbeit", "Gleichberechtigung der Frau" hatten in der DDR sehr wohl einen wirksamen Realitätsbezug im Unterschied zu den bürgerlichen Rechten wie Pressefreiheit, Demonstrationsrecht usw.

    Man könnte fast sagen, in Westdeutschland war es umgekehrt.

    Deshalb wäre die ideale Verfassung eine Kombination von sozialen und bürgerlichen Grundrechten. Das war natürlich von der westdeutschen Politikelite nicht gewollt.

    Gerade gestern habe ein Gespräch zwischen Gerhard Schröder und Gregor Gysi gesehen, wo der Altkanzler noch einmal seine ausdrückliche Unterstützung für Helmut Kohls Anschlusspolitik formuliert hat. In dieser Frage passte kein Blatt zwischen SPD, CDU und FDP - fast wie bei einer Einheitspartei.

    • @Uns Uwe:

      Realitätsbezug gab es in der DDR nur bei Zustimmung zur SED Realität, sobald man freiheitliche demokratische Bedürfnisse beanspruchte, begann das Ende seines freien Lebens.

    • @Uns Uwe:

      In der alten BRD gab es nie eine Einheitspartei, dies ist eine DDR-Projektion. Auch heutzutage gibt es ein Mehrparteiensystem. Dass sich Parteien in Grundsatzfragen einig sind, ist in einer funktionierenden Demokratie völlig normal und hat mit Einheitspartei nichts zu tun. Der BEITRITT nicht ANSCHLUSS ( Anschluss ist NS-Sprache) war legitim und effektiv. Art. 146 wäre nur legitim gewesen, es hätte Jahre gedauert, bis eine neue Verfassung fertig gewesen wäre. Dies sind akademische Träume, völlig realitätsfern. Die DDR-Bürger wollten mehrheitlich den Beitritt nach Art. 23, deshalb war er demokratisch legitimiert und für die damalige Situation der beste Weg. Er wurde auch nicht von den westdeutschen Parteien den DDR-Bürgern oktroyiert. Es war die freie Entscheidung der DDR-Bürger. Sie entschieden über das „neue Deutschland“, alles hineingeschwurble von verpasster Chance verkennt die damalige Lage und sind Blütenträume. Auch heutzutage ist das GG sehr wohl fähig, gegen Extremisten einen guten Schutz zu gewährleisten, man muss es nur kennen und konsequent anwenden.

      • @Peter Stolz:

        Immer wieder erheiternd - daß das alte Schlachtroß Apologetik der alte Klepper denn doch nicht ausstirbt! Gellewelle.



        Es ist wie mit den Läusen und den Flöhen - kannste beide haben! Woll



        Short cut - Mann hätte das eine ja tun (drohender Zeitablauf etc) - das andere aber nicht lassen müssen! Newahr.



        Normal Schonn.



        (den übrigen pro domo Schmonzes - ganz bei ehna! Gelle - 🙀🥳🥹 - ;)((

        • @Lowandorder:

          Es ist nicht so entscheidend, ob "die progressiven Bürger:innen der DDR und der BRD " das so gewollt haben - denn die waren und sind auf beiden Seiten eine ziemlich kleine Minderheit....

          • @Monomi:

            Wie meinen?

            Ein öffentlicher verfassungsgebender Prozess - über das Grundgesetz hinaus - würde einer Verankerung der konsensualen Grundprinzipien unserer res publica - im öffentlichen Bewußtsein zur Folge haben •

      • @Peter Stolz:

        Die Bevölkerung in der DDR ist zu den Bedingungen der Wiedervereinigung gar nicht befragt worden und schon gar nicht gab es Zeit für eine gründliche öffentliche Debatte.

        Vielmehr haben die Parteispitzen in West und Ost über die Köpfe der "Ossis" hinter verschlossenen Türen Tatsachen geschaffen. Es sollte schnell gehen und die Gesetze der BRD dem Osten 1:1 übergestülpt werden.

        Auf diese Weise sind die sozialen Anteile der DDR-Verfassung im Müll der Geschichte entsorgt worden.

        Ich glaube nicht, dass die progressiven Bürger:innen der DDR und der BRD das so gewollt haben, die andere politische Seite der Medaille dagegen sicherlich schon.

        Wie gesagt, das Ganze lief top-down, die demokratische Basis wurde ignoriert.

        Siehe auch:



        www.tagesspiegel.d...e-aus-6479425.html

        • @Uns Uwe:

          "Die Bevölkerung in der DDR ist zu den Bedingungen der Wiedervereinigung gar nicht befragt worden"

          Aber ja doch: Volkskammerwahl 1990.

          Die Mehrheit der DDR-Bürger hat den Kurs der CDU gewählt. Es konnte alles gar nicht schnell genug gehen für die meisten DDR-Bürger. D-Mark und westliche Konsumgüter; alles von vorher war plötzlich schlecht. Und heute jammern die gleichen Akteure und die von ihnen großgezogenen Menschen darüber, dass ihnen vom Westen alles übergestülpt worden und die ostdeutsche Wirtschaft vom Westen bewusst kaputt gemacht worden sei. Dass da auch die eigenen Konsumentscheidungen eine entscheidende Rolle gespielt haben können, wird ignoriert und AFD gewählt, wo ihnen dann der Bernd aus dem Westen erzählen kann "Dafür sind WIR nicht '89 auf die Straße gegangen."

          • @Bussard:

            ""Die Bevölkerung in der DDR ist zu den Bedingungen der Wiedervereinigung gar nicht befragt worden"

            Aber ja doch: Volkskammerwahl 1990."

            Das war keine Abstimmung über die Verfassung und schon gar keine Diskussion über ein neues gesamtdeutsches Grundgesetz.

            "Die Mehrheit der DDR-Bürger hat den Kurs der CDU gewählt. Es konnte alles gar nicht schnell genug gehen für die meisten DDR-Bürger. D-Mark und westliche Konsumgüter ..."

            Das war im ersten Moment die Priorität, stimmt. Aber irgendwann setzt bei den meisten das Nachdenken ein.

            Die CDU mit Kohl an der Spitze setzte auf den Sensations- und Überrumpelungseffekt des plötzlichen Mauerfalls. Das machen gute Versicherungsverkäufer genau so.

        • @Uns Uwe:

          Soziale Anteile der DDR Verfassung im Müll der Geschichte entsorgt?



          Ich habe bis 1988 in der DDR gelebt, meine Oma hatte 340,- Mark Rente, ich kenne keine sozialen Anteile in der DDR die in irgendeiner Weise das Leben erleichtern konnten.

  • Ich fände es sinnvoll, wenn Verfassung nach spätestens 75 Jahren automatisch und periodisch überarbeitet werden. Natürlich in einem Verfahren, in dem das Bewahrenswerte übernommen wird. Aktuell hat man aber den Eindruck, die Gesellschaft wird auf Dokument eingeschworen, auf das sie nur geringen Einfluss hat. Auch mit Blick auf politische Bildung fehlt ein Anlass, der viele Menschen verfassungspolitisch mobilisiert.

    • @DieLottoFee:

      Eigentlich wird die Verfassung recht regelmäßig mit 2/3 Mehrheit aktualisiert - ich finde, das hat bislang recht gut funktioniert.

  • Das erschließt sich vielleicht nur ehem. DDR-Bürgern ...



    Das Grundgesetz diente vielen danach geschriebenen Verfassungen als Vorbild, es ist nicht nur gut, es ist hervorragend. Es wird angepasst, es lässt sich anpassen. Auch das eine Stärke.



    Die Idee, das eine "gemeinsame" Verfassung eine einende Wirkung entfalten würde, finde ich ziemlich naiv.



    Und ich sage klar: es gibt keinen Begründung, auch nur irgend etwas an der besten Verfassung der Welt zu ändern.

    • @JanHamburg:

      Die beste Verfassung der Welt, unser Grundgesetz ist das beste was es gibt und wird von der AfD täglich mit den Füßen getreten.

    • @JanHamburg:

      Ich bin ganz ihrer Meinung und sehe das zu 100 Prozent genauso!

  • WIE wenig die Grundrechte unseren Politikern am Herzen liegen zeigt nicht nur die ständige Bastelei am Art 16a.



    Es zeigt sich auch daran, wie "großzügig" gerade die Artikel zu den grundlegenden Menschenrechten (um)interpretiert werden.



    Und wie oft versuchen die Koalitionäre ihre politischen Ideen und Phantasien im GG zu parken weil die dort veimeintlich sicher (vor Nachfolgeregierungen) sind ?