4 Milliarden für den Fiskus: Die größte Erbschaftsteuer in der Geschichte der Republik
Was in diesem Land möglich wäre, wenn alle reichen Leute angemessen Steuern zahlen würden! Doch auch Familie Thiele hat das nicht freiwillig getan.

E s ist ein Montag im April, als im Finanzamt Kaufbeuren im Allgäu die Sachbearbeiterin Ute (Name von der Redaktion erfunden) ihren Rechner startet. Während der graue Kasten hochfährt, überbrückt Ute die Wartezeit mit einem Besuch in der Kaffeeküche und einem Gespräch mit Kolleginnen (das Wetter: gut; das Wochenende: schön; das Angebot in der Kantine: na ja). Ute füllt ihre Tasse (Aufschrift: „Amt, aber sexy“) und geht zurück an ihren Arbeitsplatz, wo sie routinemäßig den Kontostand ihres Arbeitgebers checkt. Ute verschluckt sich an ihrem Kaffee. Träumt sie?
4.000.000.000. Neun Nullen.
So oder doch ganz anders muss es zugegangen sein im Finanzamt Kaufbeuren, als dort vor einigen Wochen die höchste je geleistete Erbschaftsteuer in der Geschichte der Bundesrepublik einging. Knapp 4 Milliarden Euro musste Familie Thiele, reich geworden mit der Herstellung von Bremsen, zahlen. 2021 war der Patriarch gestorben, die Überweisung im April wurde erst jetzt publik. Aber dafür, dass Reichensteuern ein linkes Lieblingsthema sind, ist es recht still. Woran liegt das?
Vermutlich daran, dass die Nachricht schmerzhaft in Erinnerung ruft, dass es sich um einen Einzelfall handelt. Was in diesem Land möglich wäre, wenn alle reichen Leute angemessen Steuern zahlen würden! Doch realistischerweise wird es dafür auch in den nächsten 75 Jahren keine politischen Mehrheiten geben. Dafür stehen die SPD und die Union mit ihren Namen. Und trotzdem: 4 Milliarden Euro, das ist mehr als die Summe, die für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung steht.
Alles irgendwie richtig und skandalös. Alles aber auch bekannt und achselzuckend hingenommen. Mit Umverteilung pur erreicht man keine Mehrheit in diesem Land, schon gar nicht, wenn es gegen „Familienunternehmen“ geht, die cleverste Marketingidee des deutschen Kapitals. Denn wer hat schon etwas gegen Familien?
Die Thieles werden über die Runden kommen
Deshalb probieren wir es mal anders. Das Beispiel der Familie Thiele zeigt nämlich, dass Steuervermeidung nicht glücklich macht.
Denn wie die FAZ recherchiert hat, haben wir den Geldsegen an den Fiskus wohl einem Familienstreit zu verdanken. Eigentlich sollte die Erbschaftsteuer nach dem Tod des Patriarchen durch die Gründung einer Stiftung weitgehend vermieden werden. Doch das Konstrukt wurde zu spät fertig, was an einem Streit zwischen Witwe, Tochter und Testamentsvollstrecker gelegen haben soll. Dieser soll lange auf einem Anteil bestanden haben, der sich am Wert des zu vollstreckenden Testaments bemisst. Von bis zu 200 Millionen Euro ist die Rede.
Ein Notar – ein Vertreter eines Berufsstands also, der fürs Vorlesen von Texten bezahlt wird (schöne Grüße an den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb an diesem Wochenende) – sollte für seine nicht gerade anspruchsvolle Tätigkeit, die schon heute von jeder künstlichen Dummheit übernommen werden könnte, ein Vermögen erhalten. Und eine Familie entzweite sich beinahe im Streit um das schnöde Geld.
War es das wert? Nein. Auf 15 Milliarden wurde das Erbe der Thieles ursprünglich geschätzt. Selbst nach der größten Erbschaftsteuer der Geschichte dürfte die Familie also knapp über die Runden kommen.
Das Finanzamt Kaufbeuren ist übrigens, anders als im klischeehaften Beginn dieser Kolumne dargestellt, dieses Jahr als das schnellste Finanzamt Bayerns ausgezeichnet worden. Kaufbeuren selbst darf seinen neuen Reichtum nicht behalten, das Geld wird weitergeleitet und gelangt über den Länderfinanzausgleich auch nach Berlin. Wenn wir hier das nächste Mal einen hart verdienten Steuereuro verprassen, werde ich an Ute denken, an die Thieles und daran, dass Familie doch über alles geht.
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