120. Geburtstag von Ralph Bunche: Der vergessene Superdiplomat
Der US-Amerikaner spielte 1949 eine große Rolle in der Schlichtung des Nahostkonflikts. Er bekam als erster Schwarzer den Friedensnobelpreis.
In Harvard hatte er promoviert, in Afrika zu Kolonialpolitik geforscht und für die UN hatte er das Abkommen verhandelt, das 1949 den Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten beendete. Ralph Bunche war 1950 der erste Schwarze, der den Nobelpreis für Frieden erhielt.
Er hatte es satt. In seiner Suite im Hotel des Roses auf der Insel Rhodos schrieb der Diplomat Ralph Bunche an seine Frau in New York: „Ich rede, argumentiere, dränge und drohe Tag und Nacht, um diese sturen Leute zu einer Einigung zu bringen.“
Es war Februar 1949, und diese sturen Leute waren Delegationen aus Israel, Ägypten, Jordanien, Syrien und dem Libanon. Feinde residierten da zusammen in dem orientalisch anmutenden Prachtbau am Mittelmeer, Kriegsgegner während einer Feuerpause.
Ralph Bunche, 46 Jahre alt, schwarzer US-Amerikaner, war von den Vereinten Nationen entsandt, um mit den Parteien einen Waffenstillstand auszuhandeln. Aus aktueller Sicht, geprägt vom Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 und den Folgen, scheinen es beinahe unschuldige Zeiten gewesen zu sein. Die UNO war noch im Entstehen, eine Organisation voller Optimismus. Mit ihrem offiziellen Segen war der Staat Israel nach dem Grauen des Holocaust gegründet worden. In arabischen Regionen grassierte noch nicht der radikalislamische Fundamentalismus.
Aber seit der Staatsgründung Israels im Mai 1948 attackierten die Armeen der arabischen Anrainer die neuen Nachbarn. Den UN-Beschluss, parallel ein arabisches Palästina und einen jüdischen Staat Israel zu etablieren, lehnte die arabische Seite ab. Und die Presse beider Parteien beargwöhnte die UNO, die sie versöhnen sollte.
Feldforschung im kolonialen Afrika
Bunche besaß einen Fundus an Erfahrungen, auch aus Jahren der Feldforschung im kolonialen Afrika für seine Dissertation in Harvard 1934, und als Berater des US-Außenministeriums bei der Gründung der Vereinten Nationen. Analytisch kühl, war er auch passionierter Demokrat und Internationalist. Außerdem war Bunche, ehemals Star im Basketball, Autorität und Teamplayer in einem.
Für die Verhandlungen wollte er weg vom hochexplosiven Szenario Nahost, an einen neutralen, ungestörten Ort. Daher die Insel, das Hotel. Dort war Bunche nach drei Monaten Marathon in verqualmten Konferenzräumen – fast alle rauchten Zigaretten, auch Bunche – erschöpft. Manchmal wollte er all die Halsstarrigen einfach nach Hause schicken.
An sich klang sein Credo hell. „Ich bin positiv voreingenommen gegenüber Arabern wie Juden“, hatte er gesagt, darauf bauend, „dass beide gute, ehrbare und im Kern friedliebende Völker sind, ebenso fähig, Frieden zu schließen wie Krieg zu führen.“ Mit der Haltung ging er nach Rhodos.
Dort besiegte der brillante Stratege zwar alle, Israelis wie Araber, im Billard. Und alle vertrauten ihm, weitgehend, jedenfalls. Doch die Hotelgäste vertrauten einander nicht. Ihr erhitzter Argwohn und ihre Intrigen hatten Bunches Geduld enorm strapaziert. Dennoch war er für den Job wie geschaffen, so als hätte seine bisherige Karriere ihn unausweichlich auf diese Insel katapultiert. Dass Bunche Erfolg haben würde, als „peace broker“ berühmt werden und 1950 den Nobelpreis für Frieden erhalten sollte, ahnte allerdings damals weder er noch irgendwer.
Aufgewachsen in der Zeit der Rassentrennung
Ralph Johnson Bunche kam am 7. August 1904 in armen Verhältnissen in Detroit zur Welt. Der Vater war Barbier, die Mutter musizierte als Amateurin am Klavier und verfasste Gedichte für ein Lokalblatt. Die Großmutter, Lucy „Nana“ Taylor Johnson, war noch in der Sklaverei geboren worden.
Beide Eltern starben, als Ralph ein Teenager war. Darauf zog die energische „Nana“ mit ihm und seiner Schwester nach Los Angeles, wo der Junge als Zeitungsverkäufer und Teppichleger jobbte. Später erinnerte sich Bunche bitter, dass er als Schwarzer nicht ins Schwimmbad durfte, um sich nach der Arbeit zu erfrischen.
Sein Intellekt mobilisierte ihn gegen die Diskriminierung. Schon als Schüler herausragend, bekam er ein Stipendium der University of California, wo er Internationale Beziehungen studierte, eher er Stipendiat in Harvard wurde. 1930 heiratete der elegante, souveräne Akademiker die Lehrerin Ruth Ethel Harris, eine Weiße, mit der er drei Kinder bekam. Neben einer Professur an der Howard University, einer privaten, afroamerikanischen Hochschule in Washington, arbeitete er immer öfter als Regierungsberater.
Ab 1941 leitete Ralph Bunche die Abteilung Afrika im Office of Strategic Services (OSS). Gefragt war seine Expertise zu den Kolonien, die Schauplätze des Zweiten Weltkriegs waren und nach Unabhängigkeit strebten.
Prozess der Dekolonisierung
Kal Raustiala betont in seiner 2023 bei Oxford University Press erschienen exzellenten Biografie den bisher übersehenen enormen Einfluss Bunches auf den Prozess der Dekolonisierung und die Vereinten Nationen. 1946 wurde Bunche Direktor des Treuhandrats der Vereinten Nationen für die Mandatsgebiete des Völkerbunds.
Oft war Bunche Zeuge von Unrecht und Rassismus, etwa während der Katanga-Krise im Kongo wie bei Einsätzen in Indien und Kaschmir. Der UN-Beamte sah die Organisation als global friedensstiftende Kraft, und auf seine Initiative gehen die UN-Blauhelme zurück: Er rief in der Suez-Krise die erste UN-Friedensmission ins Leben.
In seinem Plädoyer für die Unabhängigkeit der Kolonien warnte er zugleich vor abrupten Veränderungen. Von Panafrikanismus oder gar der Sowjetunion hielt er nichts, Kwame Nkrumah oder Patrice Lumumba waren ihm zu ideologisch. Seine Sympathien lagen weniger bei Malcolm X als bei Martin Luther King, mit dem er 1965 an einem Protestmarsch teilnahm. Für den Patrioten Bunche galt: „Rassistische Vorurteile, Antisemitismus und Antikatholizismus sind allesamt unamerikanisch und schaden der Einigkeit der Gesellschaft.“
Ermordung seines Vorgesetzten
Ein Gewaltereignis hatte ihn besonders geprägt: Der Mord an seinem UN-Vorgesetzten, Graf Folke Bernadotte, am 17. September 1948 in Jerusalem. Bernadotte, Präsident des schwedischen Roten Kreuzes, war als Chefvermittler der UN-Mission in Palästina, Ralph Bunche war sein Vize. Er hätte neben Bernadotte im Wagen sitzen sollen, war jedoch in Haifa aufgehalten und durch einen Franzosen ersetzt worden. Der starb ebenfalls durch die Schüsse von zionistischen Extremisten, die der UNO misstrauten. Im Echo des weltweiten Schocks wurde Ralph Bunche über Nacht der neue Kopf der UN-Mission in Palästina und erhielt den noch dringender gewordenen Auftrag, Frieden zu stiften.
Eine der Lehren aus diesem Stück Diplomatiegeschichte: Verhandlungen zwischen erbitterten Gegnern dürfen Monate dauern und profitieren von einem geschützten, erstklassigen Rahmen. Außerdem zeigt sich, wieder einmal: Vermittler dürfen, können unkonventionell sein.
Eine der Episoden illustriert das gut. Frustriert beorderte Bunche einmal das ägyptische wie das israelische Team in seine Suite. Er holte einen Schmuckteller aus einer Schublade, schön bemalt mit grünen und blauen Schleifen. Darauf stand: „Armistice Negotiations Rhodes 1949“. Waffenstillstands-Verhandlungen, Rhodos 1949. „Nach der Unterzeichnung bekommt jeder so einen als Souvenir“, verkündete Bunche. „Unterzeichnet ihr nicht“, donnerte er, „dann zerbreche ich diese Teller über euren Köpfen!“ Alle mussten lachen – vielleicht sogar über sich selber.
Ende Februar 1949 kam das israelisch-ägyptische Abkommen zustande, gefeiert bei einem Pingpongturnier mit gemischten israelisch-ägyptischen Teams. Als Ende Juli auch Syrien unterschrieben hatte und die „Grüne Linie“ für den Waffenstillstand gezogen war, konnte Bunche endlich zurück nach New York, wo er am Broadway mit Konfetti empfangen wurde wie ein Held.
Den Friedensnobelpreis 1950 wollte er zunächst nicht annehmen, er gebühre der UNO, nicht ihm. Nur der Generalsekretär konnte ihn zur Annahme überreden. 1954 wurde Bunche stellvertretender Generalsekretär. Nahezu bis an sein Lebensende, 1971, blieb er im Dienst. Seine zu Unrecht vergessenen Verdienste lohnen die Entdeckung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren