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10 Jahre nach Anschlag auf Charlie HebdoDen Verstand nicht verlieren

Harriet Wolff
Kommentar von Harriet Wolff

Der islamistische Anschlag auf „Charlie Hebdo“ lehrt uns: Nur humorvolle Kaltblütigkeit lässt uns ideologische Verbohrtheit halbwegs ertragen.

Sonderausgabe von Charlie Hebdo zehn Jahre nach dem Anschlag Foto: Martin Lelievre/afp

W ie komisch sind Idioten? Doofe Frage? Mitnichten. Wer auch nur halbwegs ein Herz und einen funktionierenden Denkapparat hat, kann nur komisch finden, was etwa ein bräsig und menschenfeindlich agierender Donald Trump als unvermeidlich kommender US-Präsident und sein narzisstischer Tech-Kumpan Elon Musk an Unterste-Schublade-Brutalo-Fake-Fetzen in die Welt setzen. Also komisch im Sinne von lächerlich, nicht lustig.

Und dennoch: Diese beiden – letztlich sind es Pechritter von höchst trauriger Gestalt, die permanent der Weltöffentlichkeit perfide Größenwahnsinniges, Hass und Hetze bescheren – benehmen sich, wenn man bei ihnen von Benehmen sprechen will, besser: sie gerieren sich so derart absurd, dass es doch schon wieder – lustig ist, ginge es nicht so traurig verroht bei ihnen und in ihrem mit Cash überquellenden Lager zu, dass einem immer wieder das Lachen vergeht.

Wären da also nicht die von solchen Knallchargen niedergeknüppelten zentralen Werte wie Humanismus, Toleranz und Demokratie, die es zu verteidigen gilt: Man könnte sich einfach und schlicht und folgenlos beömmeln über Idioten wie Trump und Musk und andere gefährlich mächtige und fast ausnahmslos männliche Vertreter ihrer Art aus Religion, Politik oder Wirtschaft. Leider reicht das nicht, es wird immer weniger reichen.

30 Jahre Wahrheit bei der taz

Schluss mit lustig also? Keineswegs, nie und nimmer, das wäre ja noch hässlicher, so, als hätten wir bisher umsonst gelacht. „Ridentem dicere verum“ – lachend die Wahrheit sagen: Das ist nicht nur das Motto der seit über 30 Jahren existierenden täglichen satirischen Wahrheit-Seite der taz. Es sollte auch immer wieder das Motto sein in der Auseinandersetzung mit Engstirnigkeit, Borniertheit und politischer Amnesie.

Wie ging es nach dem 7. Januar 2015 weiter?

Mit dem perfiden Anschlag auf „Charlie Hebdo“ fing 2015 eine islamistische Angriffsserie in Frankreich an. Was am 7. Januar geschah, wie es weiterging.

Lachend die Wahrheit sagen, die natürlich niemand, auch wenn ideologische Fanatiker rund um den Globus das anders sehen und herausschreien, zur Gänze kennt, geschweige denn sie restlos durchdringt (Smiley!).

Denn es geht in diesen weiträumig verfahrenen Zeiten unter nicht wenigen anderen wichtigen To-dos auch darum, Humor und einen klaren Kopf zu bewahren. Komme, was wolle: Wir brauchen einen tatkräftigen, allen Übeln und Kümmernissen zum Trotz beschwingten, möglichst angstfreien Fatalismus. Es muss und darf auch gelacht werden über all diese viel zu vielen fies gelaunten, dümmlichen und leider oft gemeingefährlichen Trottel.

Manche Dinge sind nicht lustig

Die Redaktion der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo – und ja, hier zum eigentlichen Anlass dieses Meinungsstücks – verkörpert seit 55 Jahren via ihrer Texte, Cartoons und Karikaturen rotzig, trotzig und letztlich ungebrochen genau jenes nonchalante Paradoxon. Und das auch nach dem verheerenden Brandanschlag, der 2011 die damaligen Pariser Redaktionsräume verwüstete, und noch viel stärker nach dem brutalen islamistischen Anschlag auf die Redaktionskonferenz von Charlie Hebdo am Mittwoch, dem 7. ­Januar 2015.

Denn trotz dieses entsetzlichen und traumatisierenden Vorfalls, bei dem insgesamt zwölf Menschen erschossen wurden von den Attentätern Saïd und Chérif Kouachi, die sich zu Al-Qaida im Jemen bekannten, und bei dem viele, viele Menschen an Seele und Körper verletzt wurden: Charlie Hebdo zeichnet immer noch eine gegenüber weltlichem wie religiösem Schwachsinn komplett unerschütterliche, beißend humorvolle Grundhaltung aus. Das muss man erst mal hinkriegen – und das darf man in der journalistischen und künstlerischen Umsetzung als Außenstehende getrost auch mal geschmacklos, brachial, nicht lustig finden.

Man muss es aber in einer Demokratie im Rahmen der geltenden Gesetze zu Kunst- und Meinungs- und Pressefreiheit hinnehmen und aushalten. Und im besten Falle dagegenhalten, wenn illegitime, antidemokratische Regime oder gar sogenannte Gottesstaaten die eine weltliche oder gar göttliche und garantiert immer komplett unlustige, humorbefreite und allermeist auch frauen-, queer- und liebesfeindliche Wahrheit brutal durchdrücken wollen.

Eitelkeit ist kein guter Ratgeber

Werden etwa religiös konnotierte Cartoons oder Karikaturen zum eindimensionalen, sehr oft aus ihrem Kontext gerissenen und quer durch alle sozialen Medien gejagten Politikum, wird das, was Privatsache von uns allen ist, nämlich der religiöse Glaube oder Unglaube, so verhandelt, als wenn mit nur einer einzigen Zeichnung wir selber, unser Innerstes angegriffen würde. Es geht aber bei sitzender, gutgemachter Satire nicht darum, einzelne Menschen fertigzumachen.

Es geht darum, lächerliche Hauruckideologien und dogmatischen Starrsinn, die ohne Unterlass seit Erfindung und Start dieser Welt herumwabern und klar denkende, mitfühlende Menschen seit immer schon nerven und behindern, mit Esprit und Verve zu entlarven. Es geht darum, selbsternannten Obermuftis und Pharisäern jeglicher Couleur die Luft zum Weiterherumpesten gescheit und beherzt herauszulassen, sie nachhaltig, überlegt und mit Weitsicht lächerlich zu machen. Und es geht darum, wo immer möglich und sinnvoll, humane Alternativen aufzuzeigen.

Merci dafür an Wolinski und Cabu, Tignous, Elsa Cayat, Philippe Honoré, Mustapha Ourrad und Bernard Maris! Der bei dem feigen islamistisch motivierten Anschlag vom 7. Januar 2015 ebenfalls ermordete Charlie Hebdo-Chefredakteur Stéphane Charbonnier alias Charb schrieb über sein umstrittenes Medium zwei Jahre zuvor in einem Debattentext in Le Monde übrigens brachial-zärtlich Folgendes: „Charlie Hebdo ist ein Kind des Mai 1968, der Freiheit, der Unverschämtheit. Aber wir verteidigen den Menschen und seine universellen Werte.“

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Harriet Wolff
Wahrheit-Redakteurin
Seit 2013 bei der taz-Wahrheit, zeitweise auch Themenchefin in der Regie und Redaktionsrätin. Außerdem Autorin mit Schwerpunkt Frankreich-Themen
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12 Kommentare

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  • In jedem Falle darf Satire nicht alles, aber sie darf alles,



    wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte geht;



    ob alles zu machen sinnvoll ist,



    ist eine andere Frage.

    Satire ist kein Selbstzweck, weil sie sich erheitern will,



    sondern ein Kampf für Meinungsfreiheit,



    die von Diktatoren, großen und kleinen,



    nicht nur grob unterdrückt, sondern zerstört wird.

  • Danke, dass Sie diese Gedanken geteilt und veröffentlicht haben!

  • Bei allem Aber, welches sich in unsere Gedanken schleichen könnte -



    JE SUIS TOUJOURS ET ENCORE CHARLIE!



    ✏️✏️✏️✒️✒️✒️📝📝📝🖍🖍🖍🖌🖌🖌🖋🖋🖋

  • Ernst zu nehmen sind in Religion und Weltanschauung sowieso nur diejenigen, die ihr Umsetzen der reklamierten Auffassung an sich selbst zuerst verwirklichen bzw. danach streben, anstatt es Anderen aufzuzwingen.



    Beim Aufzwingen geht das Einhalten der jeweiligen Gebote nämlich als Erstes flöten.

  • "Nur humorvolle Kaltblütigkeit lässt uns ideologische Verbohrtheit halbwegs ertragen."



    Es ist eben nicht immer einfach, soviel zu lachen wie man müsste...

  • Toller Kommentar, der mir ins Herz und ins Hirn geht. Danke sehr!



    Was einzig auf halber Strecke dorthin stecken bleibt, ist die beiläufige Floskel von „fast ausschließlich Männern“. Nach Thatcher, Le Pen, Meloni, Weidel und anderen (wer verantwortet eigentlich gerade den Plan, die Handlungsspielräume von NGOs einzuschränken?) sollte sich herumgesprochen haben: It‘s not the gender, stupid!



    Daher hier noch Material für Satiriker* und Karikaturistinnen*:



    In Zeiten, da Typenmodelle, sei‘s von CGJung, aus der Astrologie oder sonst wo her, noch hip waren, hätten manche vielleicht von den „weichlich-weiblichen“ Gesichtszügen Herrn Orbans oder dem „charmant-maskulinen Auftreten“ von Frau Meloni gesprochen.



    Schubladen kann man halt nie oft genug entmüllen. Dass das auch für die Satire gilt, hat hier Frau Straßenburg auf den Punkt gebracht.

  • Für Harriet Wolff

    Der Artikel für Charlie Hebdo/



    Den Verstand nicht verlieren

    VIELEN DANK

  • Wie aus meinem Herzen! Dogmas u Dieses: Weil wir wissen das wir richtig sind, müssen alle anderen falsch sein. Schließlich ist Gott, Karl Marx, Buddha, Mammon$Geld od Atheismus u die liebe Logik, AUF UNSEREN SEITE!! Und jeder der das nicht genauso sieht wie wir, muss gequält, unterdrückt, Nieder-gemacht, umerzogen, noch schlimmer; getötet werden!

    Deswegen schätze ich



    Franziskus von Assisi so sehr :"



    Ein Heiliger der traurig-(trübsinnig) ist, IST ein trauriger Heiliger!!"



    Humor u vorallem Eigenhumor, als wichtiger Teil eines spirituellen Trainings war für ihn essentiell.



    Deswegen entwickelten die Ur-Franziskaner Techniken um sich selbst, absichtlich lächerlich zu machen,in den Augen der Öffentlichkeit. Was die witzigsten humoristischsten Stilblüten trieb.



    Jedenfalls sind wunderschöne Story's überliefert zB die Ur-Franziskaner in England. Die Nichts zu essen hatten. Keine gescheite Kleidung für das Klima hatten. ABER man Kilometerweit im Umkreis, lachen, Witze machen, Frohmütig, hören könnte. Tag und Nacht!!



    Und deswegen einen extrem schnellen Zulauf von Novizen hatten. Das ist es jetzt was wir brauchen! Denn alle diese "Kaiserlein" sind nackt "ohne Kleidung" und lächerlich!!!

  • Eine furchtbare Tat, begangen von religiösen Fanatikern. Da ist nichts zu rechtfertigen, egal ob man der Meinung ist, dass man den Glauben anderer respektieren sollte oder nicht. Hier hätte man natürlich Kritik äußern können, aber nicht Menschen ermorden. Ich fand es aber bezeichnend, wie schnell man nicht mehr Charlie war, als die Zeitschrift sich wenig später mit dem Bild des ertrunkenen Kindes am Strand unter dem "Goldenen M" gegen "uns" und unsere Ignoranz von rund 20.000 Toten jedes Jahr im Mittelmeer richtete. Das war plötzlich "widerlich" und "geschmacklos", und Satire durfte da dann nicht mehr alles.

    • @ANonnyMouse:

      Zitat ANonnyMouse: "...mit dem Bild des ertrunkenen Kindes am Strand ... gegen uns und unsere Ignoranz..."

      Das Bild des Ertrunkenen als Protest, das hat schon Fotografie-Pionier Hippolyte Bayard erfunden, als Selbstportrait, als Protest dafür, dass er keine finanzielle Anerkennung der französischen Regierung erhielt für seinen Anteil an der Erfindung der Fotografie. Das war durch seinen Protest implizit auch die Erfindung der satirischen Fotografie.

    • @ANonnyMouse:

      Satire ist eine Form, kein Inhalt und daher nicht per se progressiv. Überspitzt gesagt: auch Rechtsradikale können Karikaturen zeichnen. Nun ist CH nicht im klassischen Sinne rechtsradikal, aber doch Sprachrohr einer sich radikalisierenden Mitte, die ihr Ressentiment gegen Linke und „Ausländer“ gern mit einem aufklärerischen Habitus verkauft (was auch nicht neu ist: Broder, Lobo und ähnliche haben dieses Geschäftsmodell ja auch für sich entdeckt). Das legitimiert keinen, die Kunst- und Pressefreiheit gilt schließlich auch für dieses Milieu und ist ein Wert, den es an sich zu verteidigen gilt. Ob man sich allerdings mit einem Medium identifizieren muss, das vor allem die Verachtung der Privilegierten für den Mob artikuliert, kann man bezweifeln.

      • @O.F.:

        Islamisten stehen rechts der AfD...