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Von IDF getötete Jour­na­lis­t:in­nenWer setzt sich für sie ein?

Felix Wellisch

Kommentar von

Felix Wellisch

2024 wurden erneut mehr Jour­na­lis­t:in­nen in Gaza getötet als sonst wo auf der Welt. Wer glaubt, die Folgen blieben auf den Ort beschränkt, irrt sich.

Fo­to­jour­na­lis­t:in­nen protestieren im Oktober in Madrid gegen die Tötung ihrer Kol­le­g:in­nen in Gaza Foto: David Canales/sopa images/imago

H inter den 29 laut Reporter ohne Grenzen im vergangenen Jahr im Gazastreifen getöteten Journalistinnen und Journalisten stehen Namen und Geschichten.

Etwa die von Mariam Abu Dagga, einer Fotojournalistin unter anderem für die Nachrichtenagentur AP. Die Mutter eines damals 13-jährigen Jungen machte Ende August noch Bilder vom Einschlag einer Panzergranate in das Al-Nasser-Krankenhaus, bevor sie Minuten später von einem zweiten Schuss getötet wurde.

Oder Anas al-Scharif. Der Korrespondent des katarischen Fernsehsenders Al Jazeera wurde Anfang August mit seinem gesamten Fernsehteam durch einen Luftangriff getötet. In einem Pressezelt. Neben einem Krankenhaus.

Das humanitäre Völkerrecht wird die meisten dieser Angriffe kaum decken, unabhängig davon, ob wie bei al-Scharif möglicherweise eine Nähe zur Hamas bestand. Nicht nur blieb Israel fast immer belastbare Belege über eine Hamas-Mitgliedschaft schuldig, den Schutz von Journalisten würde eine solche nicht aufweichen, wenn sie nicht militärisch aktiv sind. Stattdessen sprechen mehrere Angriffe in schneller Abfolge auf Presseleute und Ersthelfer wie im Nasser-Krankenhaus eher für mehrfache Kriegsverbrechen.

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Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Wir sollten uns an die Getöteten erinnern, nicht nur, weil sie Menschen mit Eltern, Geschwistern und Kindern waren, sondern weil ihr Tod nicht ohne Konsequenzen bleiben darf. „Ich fürchte, dass ich genauso enden könnte“, sagte Malak Tantesh, die bis zu ihrer Ausreise auch für die taz aus Gaza berichtete, im September im Interview und fragte sich: „Wenn ich getötet würde, würde sich die Welt für mich einsetzen?“ Wenn wir erlauben, dass palästinensische Journalisten ohne Strafe getötet werden, wird es früher oder später alle treffen. Das ist bereits jetzt deutlich zu spüren.

Israel hat die Regeln über den Einsatz militärischer Gewalt in einem bewaffneten Konflikt in den zwei Jahren seit dem Hamas-Terror am 7. Oktober mit Füßen getreten. Spürbare internationale Konsequenzen gab es kaum.

Luftangriffe wegen Müllverbrennung

Wo diese Entgrenzung hinführt, lässt sich nun beinahe täglich beobachten: Ende November wurden israelische Soldaten dabei gefilmt, wie sie im Westjordanland zwei unbewaffnete, gefangene militante Palästinenser exekutierten. Polizeiminister Itamar Ben Gvir beförderte den befehlshabenden Offizier.

Nahost-Debatten

Der Israel-Palästina-Konflikt wird vor allem in linken Kreisen kontrovers diskutiert. Auch in der taz existieren dazu teils grundverschiedene Positionen. In diesem Schwerpunkt finden Sie alle Kommentare und Debattenbeiträge zum Thema „Nahost“.

Vergangene Woche schlug der rechtsextreme Knessetabgeordnete Zvi Sukkot im Umweltausschuss vor, Müll verbrennende Palästinenser im Westjordanland mit Luftangriffen zu töten. Die anwesende Umweltministerin Idit Silman pflichtete ihm bei und nannte Müllverbrennung eine „Form von Terrorismus“.

Die Radikalisierung trifft auch die eigene Bevölkerung. Eine Vision von Israel mit Todesstrafe, schwachen Bürgerrechten und eingeschränkter Pressefreiheit ist längst keine ferne Dystopie mehr. Die ideologische Härte, mit der Israels rechte Regierung ihre antidemokratischen Vorstellungen durchdrückt, macht auch vor israelischen Journalisten nicht Halt.

Mit einigen Ausnahmen haben viele von ihnen das Vorgehen gegen ihre palästinensischen Kollegen schweigend hingenommen, wenn nicht gar offen gerechtfertigt. Doch Pressefreiheit lässt sich nicht auf der einen Seite schützen, auf der anderen ignorieren.

Es braucht internationalen Druck

Zwar droht ihnen nicht der Tod, doch eine Reihe von Gesetzesvorschlägen dürfte massive Einschränkungen bringen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll abgewickelt, Verbote von Medien leichter werden. Selbst der populäre Armeesender Galei Zahal soll abgeschaltet werden. Kulturerbe-Minister Amichai Eliyahu sagte jüngst: Medien in Israel stünden „nicht unter Artenschutz“.

Auch Angriffe und Behinderungen gegen internationale Reporter durch Siedler und israelische Sicherheitskräfte im Westjordanland häufen sich und zeugen von einer um sich greifenden Akzeptanz, dass Angriffe auf Journalisten vertretbar sein können.

Die jüngste Diffamierungskampagne mehrerer Springer-Medien und offizieller israelischer Stimmen gegen die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann zeigt: Die Delegitimierung von Berichterstattung macht auch vor internationalen Medien nicht halt.

Die 220 seit Kriegsbeginn getöteten Journalistinnen und Journalisten in Gaza wurden nicht im Verborgenen, sondern manche von ihnen vor laufender Kamera getötet. Diese Fälle müssen aufgearbeitet und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Im heutigen Israel wird das nicht passieren, gefordert sind die internationale Gemeinschaft und internationaler Druck. Bleibt der aus, bestätigt es die Täter und trifft am Ende alle.

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Felix Wellisch
Korrespondent
berichtet für die taz aus Israel und den palästinensischen Gebieten. Geboren 1989. Er hat Politik- und Sozialwissenschaften in Jena, Dresden und Kairo studiert und die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. Ernst Cramer & Teddy Kollek-Fellow.
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11 Kommentare

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  • In Kriegsgebieten sind nicht nur Journalisten gefährdet, auch ganz normale ZivilistInnEn, welche zu Kamera oder Handy greifen und Videos von den Schrecken drehen, die sich um sie herum ständig abspielen, einfach um Zeugnis davon abzugeben, etwa durch upload in social Media. Diese ganz normalen Leute geraten in zumindest so extremen Konflikten wie in Gaza auch ganz schnell direkt ins Visier der Soldateska. Freie Berichterstattung ist kein Privileg von JournalistInnEn mehr, sie ist Menschenrecht.

  • Auch die NATO ist zu tödlichen Angriffen auf Journalisten fähig. Am 23.04.1999 hat die NATO den serbischen TV Sender RTS in Belgrad gezielt bombardiert. 16 Mitarbeiter wurden getötet. Konsequenzen? Aufarbeitung?

  • "Die jüngste Diffamierungskampagne mehrerer Springer-Medien und offizieller israelischer Stimmen gegen die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann ..."

    Wieso wird die Kritik an v. d. Tann auf die Springer-Presse und offizielle israelische Stimmen verengt? Hier 2 Links zu Kritik an v. d. Tann, die weder aus Israel noch von der Springer-Presse stammen:



    1. Anetta Kahane, Amadeu Antonio Stiftung: www.belltower.news...chlagseite-163501/



    2. Michaela Dudley, hat schon oft für die taz geschrieben: www.mena-watch.com...phie-von-der-tann/

    Auch deutsche Juden wie der ÖRR-Journalist Lorenz Beckhardt oder Charlotte Knobloch, die v. d. Tann ebenfalls kritisiert haben, gehören weder zur Springer-Presse noch zu den offiziellen israelischen Stimmen.

    Und: Einerseits Meinungsäußerungen aus den Springer-Medien, deren Journalisten dasselbe Grundrecht auf Meinungsfreiheit haben wie v. d. Tann, als "Diffamierungskampagne" zu framen, aber andererseitsAnas Al-Sharif vom Propagandasender Al-Jazeera des Hamas-Finanziererstaats Katar mit dem harmlosen Wort "Korrespondent" zu bezeichnen, ist inakzeptabel.

    • @Budzylein:

      Grad Mal in die von Ihnen verlinkten Artikel geschaut.. Ganz schön esoterisch wird Frau von der Tann hier der Antisemitismus aus den Gesichtszügen abgelesen. Peinlich.

      Soviel also zur Frage, ob es eine "Diffamierung" sei.

      Ich hoffe, für Sie, dass Sie noch andere Quellen haben.

    • @Budzylein:

      Ja, und u.a. natürlich die von ihnen zusätzlich angeführten nichtoffiziellen israelischen Stimmen. Hätte vollstädigkeithalber mit aufgeführt werden können. Glauben Sie, dass mit der Nichterwähnung etwas bestimmtes beabsichtigt war?

      • @Oliver Söffge:

        Ich weiß nicht, was der Autor beabsichtigt hat. Aber wenn in einem Israel kritisierenden Artikel in der taz in Bezug auf die Kritik an v. d. Tann allein die Springer-Medien und die offiziellen israelischen Stellen genannt werden, entsteht der Eindruck, die Kritik komme nur vom israelischen Staat, der bekanntlich eine rechte Regierung hat, und von der ebenfalls unter Linken (und nicht nur diesen) in aller Regel als rechts eingestuften Springerpresse. Und dieser Eindruck, die Kritik komme nur "von rechts", ist falsch und zudem geeignet, jegliche Kritik an v. d. Tanns Berichterstattung als "rechts" abzuqualifizieren, was dann bei linken Lesern dazu führen kann, dass sie sich gar nicht mehr inhaltlich damit auseinandersetzen wollen.

    • @Budzylein:

      Da führen Sie ja zwei wirklich sachliche und vor allem unvoreingenommene Beobachterinnen des Nahost-Konfliktes an, um zu beweisen, dass die Vorwürfe gegen Sophie von der Thann begründet und keine Kampagne seien. Auch Mena-Watch ist ja für seine Objektivität bekannt. So wurde dort gerade in einem denkwürdigen Artikel sehr ausgewogen über Pläne der Netanjahu-Regierung zur Wiedereinführung der Todesstrafe in Israel nachgedacht.

      • @Klabauta:

        Die Anzahl der "objektiven" Beobachter des Nahost-Konflikts in Deutschland dürfte im Promillebereich liegen. Spätestens dann, wenn man eine Bewertung abgibt, wird man nahezu zwangsläufig nicht mehr so richtig "objektiv" sein. Ich stehe der Hamas z. B. nicht "objektiv" gegenüber, was allerdings nicht bedeutet, dass mir die Fakten egal sind. Mit ging es in meinem Kommentar vor allem darum, zu zeigen, dass v. d. Tann nicht nur von Israel und der Springerpresse kritisiert wird.

        Im Übrigen: Nehmen Sie mal - auch wenn Sie es wahrscheinlich anders sehen - als Gedankenexperiment an, Sie wären der Meinung, dass v. d. Tann eine Hamas-Sympathisantin und -propagandistin sei, Lügen verbreite und Fakten unterdrücke: Was wäre dann eigentlich gegen eine "Kampagne" (ohne "Diffamierung") gegen sie zu sagen? Kampagnen, also der Versuch, mit Äußerungen die öffentliche Meinung zu beeinflussen und politischen Druck auszuüben, sind als solche ja nicht verkehrt, sondern gehören in einer Demokratie zum Tagesgeschäft. Die verdienstvolle "Stern"-Ausgabe mit den 374 Frauen, die erklärten "Wir haben abgetrieben", war z. B. auch Teil einer Kampagne, nämlich für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts.

        • @Budzylein:

          Im Falle Sophies von der Tann handelt es sich aber nicht um eine Kampagne wie die des Stern damals (Die Frauen klagten sich selbst an), sondern um eine Diffamierungs-Kampagne wie sie im Buche steht, wie Reporter ohne Grenzen festgestellt hat:

          www.reporter-ohne-...n-sich-solidarisch

          • @Klabauta:

            In Ihrem Link werfen die Reporter ohne Grenzen (ROG) aber nur Israel, vor allem dessen Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, eine Diffamierungskampagne gegen v. d. Tann vor, nicht jedoch den deutschen Kritikern.

            Und: Die ROG haben in der Veranstaltung, in der v. d. Tann den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis erhielt, ebenfalls diesen Preis (als Sonderpreis) erhalten, sodass es nicht verwundert, dass diese Organisation v. d. Tann verteidigt.

            Die ROG haben übrigens auch selbst eine Medienkampagne geführt, und zwar zum Schutz palästinensischer Journalisten in Gaza ( www1.wdr.de/kultur...sten-gaza-100.html ). Bemerkenswert ist, dass in dem verlinkten WDR-Bericht nur die Rede von israelischen Angriffen sowie von der israelischen Zugangskontrolle nach Gaza war. Nicht erwähnt wurde, dass Journalisten in Gaza auch vor der Hamas geschützt werden müssen, die in Lebensgefahr sind, wenn sie etwas berichten, das der Hamas nicht passt. Die ROG selbst haben diese Gefährdung durchaus genannt, allerdings eher als Randnotiz am Ende ihres Berichts: www.reporter-ohne-...urnalisten-in-gaza

  • Die Exekution von Shirin Abu Akhlek bleibt unerwähnt, gehört aber genauso hierzu.