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Victim Blaming bei BelästigungSelber schuld, schreibt der Kriminaldirektor auf Instagram

Ein Polizist aus Aalen, der für Sexualdelikte zuständig ist, gibt mutmaßlich Frauen die Schuld an Sexismus im Netz. Sein Arbeitgeber prüft Konsequenzen.

Die Hochspringerin Johanna Göring Foto: Sven Beyrich/imago

Zu einer bitteren Erkenntnis konnten Betroffene sexueller Gewalt vergangene Woche in einer Kommentarspalte auf Instragram gelangen. Die Kanäle der Sportschau und des „SWR Sport“ hatten auf der Plattform einen Beitrag über die Ungleichbehandlung von Leistungssportlerinnen und ihre Sexualisierung im Netz gepostet. Die Hochspringerin Johanna Göring ist in dem Post zu sehen. Sie berichtet, wie sie in Kommentaren auf sozialen Medien auf ihren Körper reduziert werde, dabei ein unwohles Gefühl bekomme und sich deswegen in der Öffentlichkeit aktiv schützen müsse.

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Schnell tauchten unter dem Beitrag sexistische Bemerkungen und Beleidigungen auf. Hinter den Urhebern scheinen meist Männer zu stecken – glaubt man zumindest den Namen und Profilbildern. Das Social-Media-Team der Sportschau und von SWR Sport musste sogar aktiv um „einen fairen und respektvollen Umgang“ werben.

Beim Scrollen in der Kommentarspalte stach unter den sexistischen Aussagen eine besonders heraus. Ein User mit dem Namen „ml22.bike“ schrieb: „Leider gibt es viel zu viele (Frauen), die genau das provozieren und damit kokettieren. Und das wird sich nie ändern, das Netz ist voll davon.“ Mit „das“ ist wohlmöglich die Sexualisierung durch Männer gemeint. Um diese Ansicht zu unterstreichen, folgt ein grimmiges Unamused-Face-Emoji. Wer hinter „ml22.bike“ steckt, ist im selben Kommentar zu lesen: „Martin L., Leiter einer Kriminaldienststelle, die Sexualdelikte bearbeitet.“

L., und das lässt sich sehr einfach über sein Profil herausfinden, ist selbst sportbegeistert und Hobbyradler. Tatsächlich arbeitet er als Führungskraft bei der Polizei in Aalen. Laut Angaben in seinem LinkedIn-Profil lehrt er zudem an der Deutschen Hochschule der Polizei und ist unter anderem Experte für IT-Forensic – während er selbst reichliche Spuren beim Kommentieren im Netz hinterlässt. Sein Motto auf LinkedIn lautet: „Es gibt keine Probleme – nur ungelöste Aufgaben.“

Nachfrage bei seinem Dienstherren, der Polizei Aalen: Ein Sprecher informiert, dass man aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes personenbezogene Daten weder nennen noch auf Anfrage bestätigen könne. Indirekt wird aber klar, dass L. dort wirklich arbeitet und die Aussagen unter dem Instagram-Post mutmaßlich getätigt hat. „Der gegenständliche Kommentar erfolgte nicht in dienstlicher Funktion, sondern privat“, informiert der Sprecher weiter schriftlich.

Polizei prüft „beamtenrechtliche Maßnahmen“

Die Aussagen seien nun Gegenstand von eingeleiteten Maßnahmen gegen den leitenden Polizisten. Der hat inzwischen seinen Kommentar gelöscht, damit sind auch mehrere kritische Antworten von empörten Use­r*in­nen weg. Alles ist aber auf Screenshots dokumentiert – das Netz vergisst nie. Einige Nut­ze­r*in­nen hatten darauf hingewiesen, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt bei der Polizei selten Hilfe bekommen, oft nicht ernst genommen oder sogar retraumatisiert oder von Polizisten belästigt werden.

Die Polizei Aalen werde zeitnah eine Stellungnahme des Beamten einholen, um die Umstände des Kommentars zu ermitteln, heißt es vom Sprecher. Anschließend werde geprüft, ob und gegebenenfalls welche „beamtenrechtliche Maßnahmen erforderlich sind“. Auch disziplinarrechtliche Maßnahmen könnten zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden.

Die Polizei Aalen beteuert, dass Vertrauen in ihre Arbeit Grundlage für ihre Akzeptanz und damit für die innere Sicherheit sei. Vor allem Betroffene von sexualisierter Gewalt könnten weiterhin auf die Arbeit der Polizei bauen und sollten sich weiterhin an sie wenden. Ob sich um entsprechende Fälle weiterhin Martin L. kümmern wird, bleibt erst mal offen. Sein Instagram-Account ist mittlerweile aber nicht mehr öffentlich zugänglich.

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14 Kommentare

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  • Was sagt Herr Merz dazu.? Was sagen seine/unsere Töchter?

  • Egal was man von der Aussage hält, aber da sagt einer seine persönliche Meinung und muss nun mit Disziplinarmaßnamen rechnen. Ein toller Dienst für die Meinungsfreiheit!

    • @dingel-dongel:

      Einfach mal ins Beamtenrecht schauen.

  • Man kann auch viel in so einen Kommentar hineininterpretieren. Es ist doch richtig, dass es Frauen gibt, die sich so verhalten, wenn auch kaum eine Mehrheit. Ich sehe aber keinen Vorwurf, dass sich ein Opfer sexualisierter Gewalt oder jemand, der sich wie Frau Göring dadurch unwohl fühlt, so verhalten hätte. Insofern sehe ich hier kein Victim-Blaming. Gemeint war z.B. vielleicht, dass manche Frauen sich so verhalten, wodurch andere dann ebenfalls sexualisierter wahrgenommen werden.

    • @Berliner99:

      Durch ihren Kommentar wird deutlich, dass sie das Problem gar nicht verstehen.



      Die Frauen könnten auch nackt durch die Gegend laufen. Die Männer müssen sich trotzdem im Griff haben. Wir leben ja nun schon länger nicht auf den Bäumen und können dem Rückenmark den Neokortex entgegensetzen.



      Wenn man sich aber so in der Welt umschaut ist Rückenmark scheinbar gerade wieder im Kommen, Denken ist scheinbar zu anstrengend für viele. Auch was Rassismus betrifft.

  • Instagram ist da das falsche Medium. Ein wissenschaftlich fundierter Artikel o.ä. hätte solche steilen Thesen belegen müssen. Sonst ist das anekdotische, gefärbte Wahrnehmung L.s und nicht mehr.



    Ich möchte gar nicht ausschließen, dass es auch "Kokettier"-Fälle geben kann, doch das dermaßen diffusdenkend zu unterstellen und sogar noch mit "Martin L., Leiter einer Kriminaldienststelle, die Sexualdelikte bearbeitet." vermeintliche Fachkompetenz in die Schale werfen, das ist schon schräg (Zum Glück hat er immerhin nicht auf "Töchter" verwiesen).



    Vielleicht ist Herr L. lieber anderswo bei der Polizei unterwegs.

  • Und wieder verstehe ich die heterosexuelle Welt nicht - natürlich schau ich Sport, wenn ich die spezielle Disziplin nicht selbst betreibe und mir Technik abgucken will, in erster Linie wegen der schönen (in meinem Fokus Männer-)Körper. Sind wir ehrlich, in den paar-Sekunden-Interviews, bei Leichtathletik auch gerne während der Körper noch damit beschäftigt ist, das Sauerstoff-Defizit auszugleichen, ist wenig Substanz um die Sportler:innen wegen ihrer Persönlichkeit wertzuschätzen.

    Da ist auch niemand dran "Schuld" - in so fern ist der Kommentar des Polizisten Schwachsinn - das ist einfach die menschliche Natur. Vielleicht auch nur die männliche, aber ich habe doch den Verdacht dass da mal wieder die patriarchale "Keuschheitserwartung" an Frauen zuschlägt. Und gegebenenfalls die Unfähigkeit einiger Männer, ihre Bewunderung eines schönen Körpers zivilisiert zu formulieren.

  • Es kann nicht sein das eine Mann mit so einer Meinung zu sexualisierter Gewalt eben Opfer schützen und für sie Ermitteln soll.



    Wenn Präsidien gefüllt sind mit solchen Beamten, erklärt sich wieso eine Ehemalige Kollegin bei Anzeige Online Stalkings bei Ihrer Polizei, gesagt bekommen hat der Mann seie wohl nur verliebt in Sie und man solle doch in einem Gespräch versuchen seine Emotionen zu glätten.

  • Er scheint somit ja eh schon zuallermindest als Führungskraft in der Kripo ungeeignet zu sein. Und im Sachgebiet zur Gänze.

    "[...] ist unter anderem Experte für IT-Forensic – während er selbst reichliche Spuren beim Kommentieren im Netz hinterlässt."

    Und spätestens damit als Lehrkraft dann doppelt. Das ist alles zusammen schon mehr als nur peinlich, drum sollte man solche Leute versuchen, besser aufzuklären (Hoffnung stirbt zuletzt) und dahin versetzen, wo sie möglichst keinen Schaden anrichten können. Weder für die Polizei, noch für Kriminalitätsopfer, die sich an sie wenden.

    • @yoda:

      Ordnungsamt?

  • „Der gegenständliche Kommentar erfolgte nicht in dienstlicher Funktion, sondern privat“, informiert der Sprecher weiter schriftlich.": Schon von Merz gelernt, der will das verschandelte Stadtbild auch nicht als Kanzler reinigen, sondern als CDU-Vorsitzender.

  • In Deutschland gehört die Polizei auch zum Stadtbild.

  • Was also hat die Sportlerin falsch gemacht, lieber Herr Kommissar? Hätte sie die Beine beim Hochsprung geschlossen halten sollen?



    Soviel männliche Dummheit allein gehört schon bestraft!

    • @Il_Leopardo:

      Leider zeigt der Rest der Kommentare unter dem SWR Beitrag das Frauen in unserer Gesellschaft weder jemals respektiert noch sicher sein werden