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Grüne mit Säugling im BundestagEs ist 2025, Baby!

Kersten Augustin
Kommentar von Kersten Augustin

Hanna Steinmüller hält als erste Abgeordnete eine Rede im Bundestag mit Baby vor dem Bauch. Bemerkenswert, dass das noch bemerkenswert ist.

Baby vorm Bauch: Hanna Steinmüller mit Anhang am Dienstag im Bundestag Foto: dts/imago

H aben Sie die Generaldebatte im Bundestag verfolgt? Sie haben wenig verpasst. Bundeskanzler Friedrich Merz hat mal wieder gegen die Grünen gewettert. Alles weitere lesen Sie bekömmlicher beim Kollegen Stefan Reinecke hier.

Überraschender war dagegen der Auftritt der grünen Abgeordneten Hanna Steinmüller, die bereits am Vortag eine Rede hielt. Worum es ging, dazu später mehr. Doch von der Rede bleibt nicht der Inhalt in Erinnerung, sondern ein Foto. Steinmüller trug während der Rede als erste Abgeordnete ihr schlafendes Kind in einer Trage vor dem Bauch.

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Steinmüllers Rede im Bundestag

Steinmüller mit Baby vorm Bauch hinter dem Rendnerpult im Bundestag
Steinmüller mit Baby vorm Bauch hinter dem Rendnerpult im Bundestag

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Das Bild ging viral und löste Begeisterung („Diese Szene schreibt Bundestags-Geschichte“, Bild) aber auch Ablehnung aus („PR-Show oder Zeichen für Signal für Familienfreundlichkeit“, Focus). Steinmüller wird seitdem mit Post überflutet, in der ihr Instrumentalisierung vorgeworfen oder gefragt wird, wo denn der Vater sei.

Wenn eine Mutter in der Öffentlichkeit etwas tut, reden alle gerne mit, und wenn sie es dann noch als Erste tut, dann eröffnet das den Raum für Projektionen. Nur: Es ist nicht die Schuld einer Hanna Steinmüller, dass sie die Erste ist. Dass Deutschland im Jahr 2025 ein familienpolitisches Entwicklungsland ist. Die Frage muss eher lauten: Warum erst jetzt?

Bloß nicht aufwecken

Denn jetzt mal ganz praktisch: Jede und jeder, der mal ein Baby in der Trage hatte, das eeeeendlich eingeschlafen ist, weiß, dass man alles tut, aber das Kind nicht ablegt. Und wenn man auf die Toilette muss oder einen Termin hat, und sei es eben am Rednerpult – dann muss das Kind halt mit.

Die Aktion sei „nicht geplant“ gewesen, sagt Steinmüller der taz. Abgeordnete können keine Elternzeit nehmen, sie teile sich mit ihrem Mann die Woche auf und übernehme das Kind an zwei Tagen die Woche. Dienstags sind normalerweise keine Plenartage, sondern Fraktionssitzungen. Nur wegen der Haushaltswoche habe sie an einem Tag sprechen müssen, an dem sie das Kind dabei hat. Ein Kollege habe ihr angeboten, das Kind solange zu nehmen, aber, siehe oben: „Wenn ich ihn dann ablege, macht er Rabatz.“

Bereits vor der Sommerpause war Steinmüller mit ihrem Kind im Plenum, aber noch nicht am Pult. Damals schon bekam sie viele Reaktionen, Zustimmung und Ablehnung. Ich durfte mein Kind auch nicht mitnehmen, schreiben Leser. Steinmüller thematisiert das auf ihren Kanälen: „Wir müssen über Vereinbarkeit reden!“

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Man muss, und da sind wir wieder bei den Projektionen, unweigerlich an die familienpolitische Bilanz der Grünen denken, die bis vor kurzem immerhin die zuständige Ministerin stellten. Um es wohlwollend zu sagen: Wie gut für die Abgeordnete und ihr Kind, dass sie nicht auf eine Kindergrundsicherung angewiesen sind, an der die Grünen gescheitert sind. Und wie gut, die neue Regierung nun viele Milliarden Euro in den Ausbau von Kitas stecken will. So muss das arme Kind, wenn es etwas älter ist, vielleicht nicht mehr allzu oft mit in den Bundestag mitkommen. Denn da laufen finstere Gestalten rum, Abgeordnete, die klingen, als seien sie selbst noch in der Trotzphase.

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Apropos Trotzphase: Bemerkenswert ist auch, dass ausgerechnet Julia Klöckner nun die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bundestag vorantreibt. Seit sie Präsidentin ist, müssen Abgeordnete nicht mehr um eine Ausnahmegenehmigung betteln, wenn sie ihren Säugling mit ins Plenum nehmen wollen. Klöckner, die bisher nicht gerade damit auffiel, in ihrem Haus Diversität zu fördern, hat mit deutscher Mutterschaft offenbar kein Problem. „Ich habe viele politische Differenzen mit Frau Klöckner, aber bei der Vereinbarkeit ermöglicht sie mehr als bisher“, sagt Steinmüller.

Inhaltlich ging Steinmüller nicht viral

Man kann Steinmüllers Kind nur wünschen, dass es im Bundestag trotz der gruseligen Gestalten dort eine gute Zeit hat. Nach einigen Stunden im Büro wird nämlich auch das netteste Kind zur Sau, heißt es aus Elternkreisen der taz-Redaktion.

Wenn Steinmüllers Kind einmal erwachsen ist, kann es sich dann das Bild von sich selbst im Bundestag stolz an die Wand hängen. Hoffentlich hat bis dahin dann auch mal ein Vater dort vorne mit der Trage gestanden.

Steinmüller selbst wünscht sich, dass ihre fachpolitischen Themen einmal die Aufmerksamkeit bekämen wie ein Foto mit Babytrage. Doch auch bei Instagram merke sie, dass ihre Beiträge über den Struggle der Vereinbarkeit viel häufiger geteilt werden.

Tun wir zum Schluss deshalb einmal so, als wären Reden mit Babytrage im Bundestag schon Normalität, und wenden uns den Inhalten zu. Die wohnungspolitische Expertin Steinmüller sprach über ein wichtiges Thema, den Mangel an Wohnraum. „Reden ist Silber, Haushaltstitel sind Gold“, sagte sie über die Pläne der Regierung. Dann kritisierte sie die fehlenden Zuschüsse für die Wohngemeinnützigkeit und die WG-Garantie, obwohl die Regierung beides im Koalitionsvertrag versprochen habe.

Zugegeben, klingt noch nicht nach einem viralen Hit.

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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23 Kommentare

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  • Erstaunlich (für mich), dass „Mann" und „männlich" im Artikel und in den Kommentaren bisher jeweils nur 1x vorkommen.

  • Schon beeindruckend, wie ernst Politiker ihren Job nehmen. Da lacht das Herz.

    Bundestagsdebatten kann man doch als Videokonferenz abhalten, dann geht das auch mit homeoffice und man kann sich nebenbei noch um die Wäsche kümmern.

  • „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst." (scnr):



    www.youtube.com/watch?v=NUWqohDayBE

    • @StarKruser:

      Pardon, habe die Quelle vergessen.. Schiller, Wallenstein

  • Der Bundestag hat einen echt geilen Kindergarten: www.bundestag.de/b...kindertagesstaette

  • Finde ich gut. Wenn nur jeder seine Kleinkinder ins Plenum mitbringen würde, wäre garantiert aufmunternd, weniger ernst und auch lustig, wenn die Kleinen mal schreien oder durch die Reihen krabbeln.

  • Der Kleine hat wohl tief und fest geschlafen. So hat er wahrscheinlich nichts gehört und somit auch keine bleibenden Schäden davongetragen, bei den Reden von Merz und Chrupalla...

  • Hat sich bei all den Diskussionen mal jemand gefragt, was für das Kind das Beste ist?



    Hab ich auch noch nie gehört, wenn es darum geht, dass Eltern ihre Kinder früh schon in Kitas bringen. Das Kindeswohl sollte uns doch auch irgendwie interessieren und über Profit und Karriere stehen. Dazu gehört auch, dass Alleinerziehende und Paare in Not unterstützt werden.



    Aber das scheint ja gegen den Zeitgeist zu schein, u.a., weil gerade der Sozialstaat geschrotet werden soll.

  • Ich finde, dass Neugeborene und Babys nichts auf der Arbeit verloren haben. Nur in Ausnahmefällen sollte man diese mitbringen. Wenn es eben nicht anders geht.



    Ich bin für den Ausbau von Betreuungsplätzen und dafür das die Qualität und Abdeckung weiter ausgebaut werden, so das man, wenn man es möchte, Arbeit und Erziehung gut vereinbar sind. Da müssen wir als Gesellschaft mehr investieren.



    Aber Kinder benötigen Aufmerksamkeit und Betreuung, diese können in einem Vollzeitjob nur schwer nebenher aufgebracht werden. Auch braucht niemand weinende und schreiende Kinder, wenn man eigentlich arbeiten müsste. Das stresst die Eltern und die Kollegen und wird am Ende dem Kind auch nicht gerecht.



    Das Frau Steinmüller ihr Kind (welches gerade tief und fest geschlafen hat) bei der Rede mit dabei hatte, hat vielleicht einen guten Symbolcharakter, es sollte aber nicht die Regel sein.

  • Babys in die Arbeit mitzunehmen finde ich jetzt nicht so gut.

    Und das eigene Kind für die politische Agenda einzuspannen auch nicht.

    • @Generator:

      Wir entwickeln uns zu einer zunehmend kinderfeindlichen Gesellschaft. Ich bin oft im sogenannt globalen Süden. Der Unterschied im gesellschaftlichen Umgang mit Kindern ist enorm. Im Bundestag sitzt auch die AfD, die gegen Kinderrechte ist. Von daher finde ich es richtig.

      • @Andreas J:

        Das Recht eines Kindes sollte IMHO unter anderem sein, dass es nicht im Fernsehen und allen anderen Medien weltweit herumgezeigt werden sollte um politisch Punkte zu machen.

  • Ein Säugling sollte überall getragen werden können. Das ist entwicklungsgemäß wichtig.

  • Als ich davon im Radio hörte dachte ich auch erst es handelt sich um einen Rückblick auf die 1980er als die Grünen erstmals in den Bundestag eingezogen waren. Hat schon lange gedauert, dass sich hier was bewegt hat und jetzt ja auch eher durch einen Zufall.

  • "Apropos Trotzphase: Bemerkenswert ist auch, dass ausgerechnet Julia Klöckner nun die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bundestag vorantreibt. Seit sie Präsidentin ist, müssen Abgeordnete nicht mehr um eine Ausnahmegenehmigung betteln, wenn sie ihren Säugling mit ins Plenum nehmen wollen."



    Wieso Trotzphase und wieso bemerkenswert?



    Die Union ist seit jeher äußerst familienfreundlich. Auch die Mütterrente ist ihr Verdienst.



    Sie definiert halt den Begriff Familie in seiner ursprünglichen wertkonservativen Form.



    Das kann man gerne als überholt ansehen und ich frage mich auch öfter, wie lange die Union diesen Zwiespalt von latenter Homophobie, aber gleichzeitig zum Beispiel mit Spahn als bekennendem Homosexuellen als Fraktionsvorsitzenden noch aufrechterhalten will, aber bemerkenswert oder eine Trotzphase Klöckners sehe ich hier nicht.

    • @Saskia Brehn:

      Wo zeigt die Union latente Homophobie?

      Auch die gleichgeschlechtliche Ehe ging auf die CDU zurück. Auch wenn Frau Merkel, da einen cleveren politischen move gemacht hat.

      • @Hitchhiker:

        Das ist komplett falsch.

        Die Öffnung der Ehe und jeder kleine Schritt dorthin wurde gegen den erbitterten Widerstand von CDU/CSU erkämpft.



        LGBT müssen der Union für absolut gar nichts dankbar sein.

        Dahingegen Leute wie Spahn und Weidel der politischen Linken in Deutschland.

        • @Suryo:

          Die CDU war in den letzten Jahrzehnten fast immer in der Regierung beteiligt und somit hat sie auch die Gesetze mitgestaltet.

          Und doch bleibt die Frage, was die CDU momentan als latent und Homophob ausweist.

          Ich hab mein Leben nie die CDU gewählt, weil ich ihr Weltbild nicht mag.

          Zu Spahn und Weidel die sind sicher ihren Parteien dankbarer als den Linken. Zwei mindestens Stockkonservative welche von der CDU und der AFD die Möglichkeit hatten in solche Spitzenpositionen zu kommen. Mit ihrer Einstellung hätten sie es bei den anderen Parteien nicht geschafft.



          Bei denen man übrigens auch selten jemanden findet der weit von der Mehrheit abschneidet.

  • Schon in den frühen 80igern fand ich es unmöglich, dass ich angeglotzt wurde, als ich meine Kinder in der Öffentlichkeit stillte, oder sie als Säuglinge mitgetragen wurden. Dass es im Bundestag nicht erlaubt war, wusste ich bisher noch nicht. Das ist eine Schande und eine gewaltige Diskriminierung von Müttern. Mehr geht eigentlich nicht! Und dann das Gewäsch, wo ist der Vater des Kindes, der könnte doch übernehmen. Habt ihr noch alle Tassen Schrank - im 21. Jahrhundert.



    Klar, kostenlose Krankenversicherung als verheiratete Frau, Ehegattensplitting, unbezahlte Care Arbeit, Minijob usw.

    Politiker (männlich) macht weiter so und zementiert die alten Rollenbilder: Kinder, Küche, naja die Kirche ist ein wenig out!

  • Großartig!



    Wenn die Normalität extrem stressiger Alltage sichtbar und allgemein akzeptiert wird, sind alle endlich angekommen.



    Und: Unterschätze niemals die Aufnahmefähigkeit der Kinder jeglichen Alters.



    Chapeau!

  • Es ist ja gut, dass es möglich ist, ein Baby mit in den Plenarsaal und ans Rednerpult zu nehmen.

    Besser wäre es wenn es genug Betreuungsmöglichkeiten gäbe, so dass Eltern ihren Nachwuchs nicht mit zur Arbeit nehmen müssen. Die Atmosphäre eines Plenarsaals ist ja nicht gerade Ideal für Babys.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Säuglinge gehören zu den Eltern. Wenn es gesäugt wird vor allem zur Mutter. Das Kind wird im Bundestag schon keinen Schaden nehmen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Was ist denn an der Atmosphäre eines Plenarsaals nicht so ideal?

      Zu allem was mir einfällt, fallen mir Orte ein die wesentlich überfüllter, stickiger, lauter und sonst was sind. Und da käme niemand auf die Idee zu sagen der Ort sein nicht geeignet.