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Anti-Feminismus auf dem Land„Schiefheilung“ bedrohter Männlichkeit

Kommentar von Thomas Gesterkamp

Die Ablehnung von Feminismus geht oft einher mit der Idealisierung ländlicher Idylle. Über die Verbindungen von Autoritarismus und „Provinzialität“.

Es ist immer noch nötig, für Feminismus auf die Straße zu gehen, wie am 14. Juni in Zürich Foto: Ennio Leanza/dpa

D ie jüngsten Wahlergebnisse der AfD haben deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland gezeigt, es gab aber auch ein auffälliges Gefälle zwischen den großen Städten und der Provinz. In ländlich geprägten Gegenden sind konservative oder gar rechtsextreme Einstellungen sowie die dahinter stehenden autoritären Haltungen offenbar weiter verbreitet. Das gilt auch für das Thema Antifeminismus: Patriarchale Geschlechterbilder und feste Rollenzuschreibungen passen bestens zur Romantisierung der guten alten Zeit und eines harmonischen Landlebens – einer Welt, die (scheinbar) noch in Ordnung ist.

Johanna Niendorf, Fiona Kalkstein, Henriette Rodemerk und Charlotte Höcker vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig behandeln in ihrem gerade erschienenen Buch ein bislang wenig untersuchtes Forschungsfeld. Den Begriff Provinzialität interpretieren sie nicht als rein räumliche Kategorie, sondern unter Bezug auf den Philosophen Theodor Adorno als Weltanschauung: als ein Denken in fixen Kategorien, das Reflexion und Ambivalenz ablehnt, statt dessen autoritäre Lösungen befürwortet und daher von der politischen Rechten mobilisierbar ist.

Thomas Gesterkamp

Thomas Gesterkamp ist Politikwissenschaftler und Autor für Radio und Printmedien in Köln. Eines seiner Themengebiete sind die deutschen Gewerkschaften.

In ländlichen Regionen finden diese Geisteshaltung bessere Voraussetzungen. Doch in den Metropolen und besonders an ihren peripheren, oft unterprivilegierten Rändern kann es ebenfalls große Ressentiments etwa gegen Geflüchtete oder gegen Feminismus und weibliche Emanzipation geben. Umgekehrt leben selbstverständlich auch in Kleinstädten und Dörfern Menschen, die diese Vorbehalte nicht teilen.

Der britische Autor David Goodhart hat das Begriffspaar „Somewheres versus Anywheres“ in die soziologische Debatte eingeführt. Nach seinem plakativen Schema stehen sich heimatverbundene Bodenständigkeit auf der einen Seite und ein entwurzelter, international orientierter Kosmopolitismus auf der anderen Seite gegenüber. Die Deutungsmuster und Lebensstile dieser beiden Milieus sind zwar nicht immer klar voneinander abzugrenzen, dennoch zeigt sich eine klare geografische Verteilung: „Somewheres“, die Dagebliebenen, wohnen meist in der Provinz oder in kleinbürgerlich geprägten Vororten, „Anywheres“, die (N)Irgendwos, dagegen im Zentrum der großen Städte. Zu entsprechenden Schlussfolgerungen kommen dann Wahlanalysen ebenso wie wissenschaftliche Studien nach dem Motto: Der ländliche Raum tickt rechts. Doch wie stimmig ist dieses Klischee?

Ergebnisse einer Untersuchung nicht besonders aufschlussreich

Die Leipziger Forscherinnen sehen zumindest Anhaltspunkte dafür. Antifeminismus und Provinzialität verbinde die „Idealisierung einer Vergangenheit, die es so nie gegeben hat, und die autoritäre Sehnsucht nach Eindeutigkeit“. Die dazu passenden Einstellungen und Verhaltensweisen sind klare Hierarchien, rigide Konventionen und der Verweis auf Sündenböcke. Zentraler Bezugspunkt sei „die Rückkehr zu einer vormodernen Ländlichkeit, mit tradierten patriarchalen Familienstrukturen und einer überschaubaren Gemeinschaft“. Die in diesem Umfeld praktizierten Herrschaftspraktiken lassen zugunsten von Zusammenhalt und Stabilität keine Differenzierung zu, abweichendes Verhalten wird streng geahndet.

Die Wissenschaftlerinnen ziehen eine Verbindung zum deutschen Wort „Heimat“, das bezeichnenderweise in anderen Sprachen gar nicht existiert. Mit diesem Begriff wandten sich modernisierungskritische Strömungen schon Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gegen Aufklärung, Demokratie und die Zumutungen der Industrialisierung. Anknüpfend an die Epoche der Romantik stilisierte man statt dessen die Natur und das bäuerliche Leben als unverdorben, moralisch höherwertig und in sich ruhend.

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Neben theoretischen Erklärungsversuchen stellen die Wissenschaftlerinnen auch eigene empirische Forschung vor. Die Ergebnisse des Projekts „Geschlechterdemokratie im Erzgebirge“, einer Region an der Grenze zu Tschechien mit besonders großen Wahlerfolgen der AfD, sind leider nicht besonders aufschlussreich. Der analytisch herausgestellte Sozialtypus „Die wachsame Nachbarschaft“ bleibt in seiner Beschreibung wenig konkret. Besonders fiel dem Forschungsteam auf, wie „Bekundungen eigener Toleranz gegenüber queeren Formen des Begehrens wiederholt untergraben werden“. Eine heteronormative Geschlechterordnung verschränke sich mit ländlicher Identität, so entstehe ein „rigides Normengefüge, welches durch Sanktionsandrohungen zum allgemeinen Bezugspunkt wird“.

Rolf Pohl, Sozialpsychologe an der Universität Hannover, betrachtet Rechtsextremismus, Autoritarismus und Antifeminismus als Resultate einer gekränkten Männlichkeit. Ihm zufolge fühlen sich vor allem prekarisierte Männer in durch Arbeitslosigkeit und Armut geprägten Lebenslagen durch Frauenemanzipation und Genderdebatten bedroht. Ähnlich argumentiert der US-amerikanische Männerforscher Michael Kimmel mit seiner These von den „Angry White Men“, deren Wahlentscheidungen wesentlich zu den Erfolgen von US-Präsident Donald Trump beigetragen hätten. Einen vorgeblichen Rettungsanker finden verunsicherte Männer in der maskulinistischen Berufung auf ein imaginäres „wahres“ Mannsein.

Pohls Kollege Sebastian Winter glaubt, dass Ängste so fehlgeleitet ihren Ausdruck finden – und deutet das aus psychoanalytischer Perspektive: Die Betroffenen heilten „ihr Unbehagen schief, formen es unbewusst um, nehmen Sorgen das Leidvolle und entäußern sie dann als Hass und Ressentiment“. Verlusterfahrungen würden auf diese Weise verdrängt. Diese Haltung bezeichnet Winter als „provinziell“, schränkt aber ein: Provinzialität finde sich nicht „nur auf dem Dorf“, sie treffe dort nur auf besonders fruchtbaren Boden. Wo „jede jeden kennt“, könne mehr davon wuchern als in „anonymen, aber zugleich dem Fremden gegenüber offeneren, urbaneren Kontexten“.

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12 Kommentare

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  • Ergo:



    Nichts genaues weiß man nicht.

    Als wär die (menschliche Gedanken-)Welt so einfach zu erklären ...

  • "... behandeln in ihrem gerade erschienenen Buch ein bislang wenig untersuchtes Forschungsfeld. "

    Die hier referierten pauschalisierten Aussagen sind doch nicht wirklich neu, oder? Was daran ist also wenig untersucht?

    Antifeminismus und Provenzialität wird historisch angerissen, aber die Historie ist viel vielfältiger als das man es pauschal abhandeln könnte. Da sind unbedingt Details und Bezüge gefragt.

    Am Besten ist aber der Absatz "Ergebnisse des Projekts [....] sind leider nicht besonders aufschlussreich. "

    Deshalb werden sie auch nicht weiter beschrieben? War das Projekt nicht sinnvoll?



    Und auf was bezieht sich das "leider"? Entsprachen die Ergebnisse nicht den Erwartungen? Wurde mit vorgefertigten Meinungen in eine Studie gegangen? Gibt es vielleicht so manches Konstrukt nicht?

    Es bleiben also mehr Fragen als Antworten.

  • Liebe Hedele und Farmer,



    bitte den Text nochmals genau lesen, lohnt sich (diesen oberlehrer:innnenhaften Duktus darf man sich ob des oberflächlichen Kommentierens erlauben). Es geht nicht um die Diffamierung von Heimat, von Provinz sondern um ein Tiefenverständnis des neuen Antifeminismus von dem selbstverständlich auch die weiblichen Gegenparts nicht ausgenommen sind. Herzlichen Dank an Herrn Gesterkamp.

    Mit respektvollen Grüßen

  • Was für eine Fremdwörterwolke, um "Wissenschaftlichkeit" zu markieren!



    Und wenn einfach selbstbestimmt denkende junge Frauen nun einmal häufiger mobil in die Stadt/in den Westen ziehen als eher Traditionelle und als junge Männer, wie Statistiken nahelegen? Und das schon viel erklärt?

  • An dieser Form der Spaltung der Gesellschaft stimmt etwas nicht. Bei der AfD wehren wir uns gegen Rassismus, Antifeminismus, Schwulenhass, Demokratiezerstörung und Totalitarismus. Nur weil jemand den Heimatstil dem Bauhaus vorzieht, Blasmusik statt Jazz hört, Heurigen statt Matetee trinkt, ist er noch kein Nazi und Frauenhasser. Man kann sehr wohl konservativ und Demokrat sein. Wir müssen die Räume für unsere Demokratie weiten und nicht verengen. Für mich sind ein wichtiges Element hierfür die Kirchen, die es in jedem Dorf gib. Menschenhass verträgt sich, bei aller Heuchelei, nicht mit ihren Mauern.

    • @hedele:

      Keiner hat gesagt, dass Heuriger, Blasmusik und Heimatstil mit Nazitum gleichzusetzen ist. Allerdings sollte vielleicht nicht jedem, der derlei Dinge nicht mag, vorgeworfen werden, er würde genau dies tun.

    • @hedele:

      Dee Kark? Mach Bosse!

      Wie sagte großes Bruderherz von Downunder am Telefon als von der an sich handfesten Großtante nicht nur allang ehr feines Hus am Riesebusch kirchlich weggefunden! Nee ook dat familienbekannte Testament abhanden war!



      Paster Arzt/Afteiker Lehrers - Kirche im Dorf lassen! Gaa mi aff gaa mi loos!



      Nicht umsonst der härteste norddütsche Fluch “is ja kein tonn katolsch warrn!“



      SH - ländlich geprägt braun bis auf due Knochen & dabei (keine Meldepflicht bei den Tommys) blieb es einschließlich de Kark bis gut in die 70er •



      (Durch die Nazi-“Literartur“ tankte ich mich als Jugendlicher auf den Höfen der Altvorderen



      Das - Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“ Joesph Goebbels



      Joseph. Goebbels



      Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei. Eine historische Darstellung in Tagebuchblättern (Vom 1. Januar 1932 bis zum 1. Mai 1933) [2. Auflage



      ließ ich mitgehen!

      “Dee Kaark??! “ Nich to glööben un rein tonn katolsch warrn •

      • @Lowandorder:

        Hier mal Nordkirche in medias res



        www.nordkirche.de/...r-ns-vergangenheit



        Erfreulich - “dat hett ever wat duert!“ • & zu der Allseeligmachenden reicht es Kardinal Meißner zu zitierren! Newahr



        “Ein Paar von euch sind mir lieber - als drei von denen!“



        Normal

        Na Mahlzeit

    • @hedele:

      Natürlich kann man konservativ und Demokrat sein. Aber von denen hört man nichts mehr im Kampf um unsere Demokratie.

      • @Andreas J:

        Mein Schwiegervater ist Stadtratsmitglied in Sachsen. Ich würde ihn als liberal/konservativ bezeichnen ("konservativ" im Erzgebirge und in Berlin bedeutet übrigens etwas anderes).

        Bei jeder Gesprächrunde unter Bekannten, bei jeder Stadtratsitzung und dem dazugehörigen Quatsch der AfD-Fraktion, bei jedem Smalltalk in der Innenstadt, bei jeder Feier muss er sich mit diesem Mist herumschlagen und sich von "besorgten Bürgern" anhören, dass die Altparteienpolitik ja zu nichts führt. Jeder freundliche Mensch kann im nächsten Augenblick anfangen über Ausländer zu wettern. Der hat deutlich mehr Gegenwind als ich junger "Großstadtlinker". Der verteidigt am Samstagmorgen beim Bäcker mit einem flotten Spruch die Demokratie. Ich denke es gibt viele Menschen, die sich als koservativ bezeichnen würden aber eine klare Haltung zum Menschenhass haben. Und ich denke, dass es sehr auf diese Menschen ankommt.

        • @drum:

          Sehr gut geschrieben! Es kommt nur auf die an! Die Blase die sich schon mit Keywords gegenseitig das Richtige oder wahlweise Falsche versichern kann, bewegt gesellschaftlich gar nix. Weil Zement gar nix beweglich machen kann, schon gar nicht in den Köpfen.

  • Nach dem Absatz: "In ländlichen Regionen finden diese Geisteshaltung bessere Voraussetzungen. Doch in den Metropolen und besonders an ihren peripheren, oft unterprivilegierten Rändern kann es ebenfalls große Ressentiments etwa gegen Geflüchtete oder gegen Feminismus und weibliche Emanzipation geben. Umgekehrt leben selbstverständlich auch in Kleinstädten und Dörfern...." , habe ich aufgehört zu lesen.



    Wenn hier schon analysiert werden soll, dann machen Sie doch bitte erst mal eine für den Text geltende Begriffsbestimmung und halten sich dann auch daran. Ländlicher Raum, Provinz, Kleinstadt.... ich kann nur annehmen Berlin, Köln, Frankfurt, München, jeweils das Zentrum. Die anderen ca. 70 Mio die hier im Lande leben, die sind dann der Rest. Neulich in der TAZ: Provinzstadt Freiburg, Provinzmetropole Leipzig und so....schon klar.



    So gesehen ist dann jede Analyse einfach, möglichst hohe Flughöhe und dann mit dem groben Kamm einmal übers Land. Nicht gut!