Anti-Feminismus auf dem Land: „Schiefheilung“ bedrohter Männlichkeit
Die Ablehnung von Feminismus geht oft einher mit der Idealisierung ländlicher Idylle. Über die Verbindungen von Autoritarismus und „Provinzialität“.

D ie jüngsten Wahlergebnisse der AfD haben deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland gezeigt, es gab aber auch ein auffälliges Gefälle zwischen den großen Städten und der Provinz. In ländlich geprägten Gegenden sind konservative oder gar rechtsextreme Einstellungen sowie die dahinter stehenden autoritären Haltungen offenbar weiter verbreitet. Das gilt auch für das Thema Antifeminismus: Patriarchale Geschlechterbilder und feste Rollenzuschreibungen passen bestens zur Romantisierung der guten alten Zeit und eines harmonischen Landlebens – einer Welt, die (scheinbar) noch in Ordnung ist.
Johanna Niendorf, Fiona Kalkstein, Henriette Rodemerk und Charlotte Höcker vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig behandeln in ihrem gerade erschienenen Buch ein bislang wenig untersuchtes Forschungsfeld. Den Begriff Provinzialität interpretieren sie nicht als rein räumliche Kategorie, sondern unter Bezug auf den Philosophen Theodor Adorno als Weltanschauung: als ein Denken in fixen Kategorien, das Reflexion und Ambivalenz ablehnt, statt dessen autoritäre Lösungen befürwortet und daher von der politischen Rechten mobilisierbar ist.
Thomas Gesterkamp ist Politikwissenschaftler und Autor für Radio und Printmedien in Köln. Eines seiner Themengebiete sind die deutschen Gewerkschaften.
In ländlichen Regionen finden diese Geisteshaltung bessere Voraussetzungen. Doch in den Metropolen und besonders an ihren peripheren, oft unterprivilegierten Rändern kann es ebenfalls große Ressentiments etwa gegen Geflüchtete oder gegen Feminismus und weibliche Emanzipation geben. Umgekehrt leben selbstverständlich auch in Kleinstädten und Dörfern Menschen, die diese Vorbehalte nicht teilen.
Der britische Autor David Goodhart hat das Begriffspaar „Somewheres versus Anywheres“ in die soziologische Debatte eingeführt. Nach seinem plakativen Schema stehen sich heimatverbundene Bodenständigkeit auf der einen Seite und ein entwurzelter, international orientierter Kosmopolitismus auf der anderen Seite gegenüber. Die Deutungsmuster und Lebensstile dieser beiden Milieus sind zwar nicht immer klar voneinander abzugrenzen, dennoch zeigt sich eine klare geografische Verteilung: „Somewheres“, die Dagebliebenen, wohnen meist in der Provinz oder in kleinbürgerlich geprägten Vororten, „Anywheres“, die (N)Irgendwos, dagegen im Zentrum der großen Städte. Zu entsprechenden Schlussfolgerungen kommen dann Wahlanalysen ebenso wie wissenschaftliche Studien nach dem Motto: Der ländliche Raum tickt rechts. Doch wie stimmig ist dieses Klischee?
Ergebnisse einer Untersuchung nicht besonders aufschlussreich
Die Leipziger Forscherinnen sehen zumindest Anhaltspunkte dafür. Antifeminismus und Provinzialität verbinde die „Idealisierung einer Vergangenheit, die es so nie gegeben hat, und die autoritäre Sehnsucht nach Eindeutigkeit“. Die dazu passenden Einstellungen und Verhaltensweisen sind klare Hierarchien, rigide Konventionen und der Verweis auf Sündenböcke. Zentraler Bezugspunkt sei „die Rückkehr zu einer vormodernen Ländlichkeit, mit tradierten patriarchalen Familienstrukturen und einer überschaubaren Gemeinschaft“. Die in diesem Umfeld praktizierten Herrschaftspraktiken lassen zugunsten von Zusammenhalt und Stabilität keine Differenzierung zu, abweichendes Verhalten wird streng geahndet.
Die Wissenschaftlerinnen ziehen eine Verbindung zum deutschen Wort „Heimat“, das bezeichnenderweise in anderen Sprachen gar nicht existiert. Mit diesem Begriff wandten sich modernisierungskritische Strömungen schon Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gegen Aufklärung, Demokratie und die Zumutungen der Industrialisierung. Anknüpfend an die Epoche der Romantik stilisierte man statt dessen die Natur und das bäuerliche Leben als unverdorben, moralisch höherwertig und in sich ruhend.

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Neben theoretischen Erklärungsversuchen stellen die Wissenschaftlerinnen auch eigene empirische Forschung vor. Die Ergebnisse des Projekts „Geschlechterdemokratie im Erzgebirge“, einer Region an der Grenze zu Tschechien mit besonders großen Wahlerfolgen der AfD, sind leider nicht besonders aufschlussreich. Der analytisch herausgestellte Sozialtypus „Die wachsame Nachbarschaft“ bleibt in seiner Beschreibung wenig konkret. Besonders fiel dem Forschungsteam auf, wie „Bekundungen eigener Toleranz gegenüber queeren Formen des Begehrens wiederholt untergraben werden“. Eine heteronormative Geschlechterordnung verschränke sich mit ländlicher Identität, so entstehe ein „rigides Normengefüge, welches durch Sanktionsandrohungen zum allgemeinen Bezugspunkt wird“.
Rolf Pohl, Sozialpsychologe an der Universität Hannover, betrachtet Rechtsextremismus, Autoritarismus und Antifeminismus als Resultate einer gekränkten Männlichkeit. Ihm zufolge fühlen sich vor allem prekarisierte Männer in durch Arbeitslosigkeit und Armut geprägten Lebenslagen durch Frauenemanzipation und Genderdebatten bedroht. Ähnlich argumentiert der US-amerikanische Männerforscher Michael Kimmel mit seiner These von den „Angry White Men“, deren Wahlentscheidungen wesentlich zu den Erfolgen von US-Präsident Donald Trump beigetragen hätten. Einen vorgeblichen Rettungsanker finden verunsicherte Männer in der maskulinistischen Berufung auf ein imaginäres „wahres“ Mannsein.
Pohls Kollege Sebastian Winter glaubt, dass Ängste so fehlgeleitet ihren Ausdruck finden – und deutet das aus psychoanalytischer Perspektive: Die Betroffenen heilten „ihr Unbehagen schief, formen es unbewusst um, nehmen Sorgen das Leidvolle und entäußern sie dann als Hass und Ressentiment“. Verlusterfahrungen würden auf diese Weise verdrängt. Diese Haltung bezeichnet Winter als „provinziell“, schränkt aber ein: Provinzialität finde sich nicht „nur auf dem Dorf“, sie treffe dort nur auf besonders fruchtbaren Boden. Wo „jede jeden kennt“, könne mehr davon wuchern als in „anonymen, aber zugleich dem Fremden gegenüber offeneren, urbaneren Kontexten“.
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