Demo gegen Abschiebehaft in Arnstadt: „Wie sollen Menschen das aushalten?“
Erst in den Knast, dann in den Flieger: Thüringen richtet eine Haftanstalt für Abschiebungen ein. Doch gegen die Pläne regt sich Protest.
Zum Orgateam der Demo gehören Mara Brand vom Bündnis Seebrücke und Yusuf Hassan. Sie kritisieren, das Abschiebegefängnis behandle Schutzsuchende so, als hätten sie Straftaten begangen. „Aber ob man in diesem Abschiebegefängnis landet, hängt ja nicht davon ab, ob man kriminell ist“, sagt Hassan. In Thüringen verschiebe sich der Diskurs gegen Geflüchtete insgesamt. „Der Abschiebeknast ist ja keine isolierte Maßnahme. Dazu kommt die Einführung des sogenannten Sicherheitspakets oder die Bezahlkarte in allen Landkreisen“, sagt Brand.
Die beiden heißen eigentlich anders, aber wollen ihre Namen nicht veröffentlichen, um „nicht in den Fokus zu geraten“. Wessen Fokus? Den der Behörden, erklärt Brand. „Die Kriminalisierung linker Bewegungen nimmt zu.“ Und Hassan ergänzt, er habe Sorge vor rassistischer Diskriminierung. „Lieber wäre mir, ich könnte ganz offen reden“, schiebt er noch hinterher.
Yusuf Hassan kam im Oktober 2015 als Geflüchteter nach Thüringen. In der kleinen Stadt Ohrdruf habe ihn vor allem eins geprägt: Ungewissheit. Die tägliche Sorge, ob Deutschland seinen Asylantrag anerkenne oder nicht, das sei quälend und nervenaufreibend gewesen. „Wenn das für mich schon schlimm war, wie muss es dann erst den Menschen gehen, die mit ihrem Abschiebebescheid im Knast sitzen? Wie soll ein Mensch das aushalten“, fragt er.
Trennungsgebot bei Abschiebegefängnissen
Laut dem Bundesinnenministerium stehen derzeit 790 Abschiebehaftplätze in Deutschland zur Verfügung. Ausreisepflichtige Menschen können auf richterliche Anordnung inhaftiert werden, damit sie sich nicht der Abschiebung entziehen können. Wie viel Menschen vergangenes Jahr hinter Gittern auf ihre Abschiebung warten mussten, könne das Ministerium nicht beantworten – das sei Ländersache.
Allerdings ergab letztes Jahr eine Abfrage der Nachrichtenagentur epd bei den Bundesländern, dass im Schnitt ein Großteil der Zellen leer bleibe. Demnach waren in Hessen im ersten Halbjahr 2024 durchschnittlich knapp 37 von 80 Plätzen belegt, in Baden-Württemberg rund 33 von 51, in Nordrhein-Westfalen 84 von 175 Plätzen, in Rheinland-Pfalz 26 von 40.
Thüringen hatte seit 2014 keine eigenen Abschiebehaftplätze, sondern kooperierte dafür mit Rheinland-Pfalz. Dass nun Ende Juni wieder zehn neue Haftplätze entstehen, dafür ist auch Thüringens Justiz- und Migrationsministerin Beate Meißner (CDU) verantwortlich. Zu Begründung dafür verweist Meißner auf eine Umfrage bei den Thüringer Kommunen, laut der es Bedarf für 200 Unterbringungen in Abschiebehaft pro Jahr gebe.
Perspektivisch sollen die zehn Plätze in Arnstadt auf bis zu 37 ausgebaut werden. Wie viel das kostet, lasse sich aktuell noch nicht genau sagen, heißt es aus dem Ministerium. Für Meißner sei die Abschiebehaft ein wichtiger Bestandteil des Plans der Regierung in Thüringen, bei dem sie das Trennungsgebot achten wolle.
Weil es sich bei der Abschiebehaft um keine Strafhaft handelt – also die Insassen keine verurteilten Straftäter:innen sind – müssen Abschiebegefängnisse von regulären Vollzugsanstalten getrennt sein, so sieht es die europäische Rückführungsrichtlinie vor. Abschiebegefängnisse müssen sich „in der Ausgestaltung davon unterscheiden, wie Strafgefangene inhaftiert sind“, heißt es etwa in einem Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) von 2022 dazu.
Um diesen Vorgaben in Thüringen gerecht zu werden, richtet das Ministerium die Abschiebehaft im Gebäude des bisherigen Jugendarrests ein. Das sei „baulich und räumlich von der Justizvollzugsanstalt Arnstadt abgetrennt“, erklärt das Ministerium auf Anfrage der taz. Der Jugendarrest weicht wiederum auf ein leerstehendes Gebäude der JVA aus. Außerdem, erklärt das Ministerium, sollen sich die Haftbedingungen von denen des regulären Justizvollzugs unterscheiden. Es seien etwa „großzügigere Besuchsregelungen, Aufschlusszeiten, etc.“ geplant.
Frank Gockel vom Bundesfachverband zur Unterstützung von Menschen in Abschiebehaft (BUMAH) bezweifelt allerdings, dass ein abgegrenztes Gebäude reicht, um dem Trennungsgebot nachzukommen. Er verweist auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Juli 2014: Demnach sei die Unterbringung „in einem besonderen Gebäude auf dem Gelände einer gewöhnlichen Haftanstalt keine Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung“. Die Haftanstalt wäre demnach unrechtmäßig.
Allerdings: Bis der BGH darüber entscheidet, wie das rechtlich in Arnstadt so ist, dürften Jahre vergehen, vermutet Gockel. Der Klageweg ist lang.
Unterstützung in der Abschiebehaft
Gockel engagiert sich seit mehr als 30 Jahren für Menschen in Abschiebehaft. Es gebe viele Möglichkeiten, um Inhaftierte zu unterstützen, erklärt er. „Bereits ein Gespräch kann für die Inhaftierten eine willkommene Abwechslung darstellen und zur Stabilisierung beitragen.“
Zudem halte Gockel es für wichtig, wenn Besucher:innen „Vorgänge in Abschiebehaftanstalten sichtbar machen“, um Einblick in den ansonsten abgeschotteten Bereich zu ermöglichen. Dabei befürworte er, Menschen vor Ort aktiv einzubinden.
Doch wie ist die Stimmung dazu in Arnstadt? Die Stadtverwaltung informiert auf ihrer Website, für die Bürger:innen habe die neue Abschiebehaft auf dem Gelände der JVA „keine spürbaren Auswirkungen“. Die „untergebrachten Personen dürfen das gesicherte Gelände nicht verlassen“. Eine Formulierung, die an die Kritik von Yusuf Hassan erinnert, dass Geflüchtete durch die Abschiebehaft kriminalisiert werden.
Für die Demonstration am Samstag, berichtet Mara Brand, sei es nicht einfach zu mobilisieren. Im ländlichen Raum gebe es kaum Ansprechpartner:innen. Linker Aktivismus konzentriere sich in Thüringen vor allem auf drei Städte: Erfurt, Jena, Weimar. Trotzdem appelliere sie an die Zivilbevölkerung in Arnstadt, „die Schrecken des Abschiebegefängnisses abzufedern“.
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