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der leitartikelDie Afghanistanpolitik der Bundesregierung ist unmenschlich und rechtswidrig

Von Martin Sökefeld

Abschiebungen sofort starten und die humanitäre Aufnahme beenden – darauf reduziert sich die Afghanistanpolitik der Bundesregierung. In den vergangenen Tagen zeigte sich, dass diese Politik nicht nur unmenschlich, sondern in Teilen rechtswidrig ist. Da hatte CSU-Innenminister Dobrindt erklärt, er wolle direkt mit den Taliban verhandeln, um Abschiebungen zu ermöglichen – und der Internationale Strafgerichtshof erließ Haftbefehle gegen den Taliban-Regierungschef und gegen ihren Obersten Richter. Ihnen werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, weil sie Frauen und Mädchen ihrer Rechte berauben. Will Dobrindt tatsächlich dieser Regierung mit seinen Verhandlungen Anerkennung verschaffen?

Martin Sökefeld ist Professor am Institut für Ethnologie der Ludwig-­Maxi­milians-­Uni­ver­si­tät München.

In der pakistanischen Hauptstadt Islamabad warten immer noch rund 2.300 Af­gha­n*in­nen da­rauf, nach Deutschland kommen zu können. Es handelt sich um Menschenrechtsaktivist*innen, Frauen­recht­le­rinnen, Jour­na­list*in­nen, LGBTQI+-Personen, Mit­ar­bei­te­r*in­nen der afghanischen Vorgängerregierung, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) als besonders Gefährdete anerkannt hatte. Thorsten Frei, damals noch Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion und heute Kanzleramtsminister, erklärte Ende April, alle Aufnahmezusagen sollten mit dem Ziel, diese zurückzunehmen, überprüft werden. Die Rücknahme der Zusagen bedeutet, dass die Betroffenen jeglichen Schutz verlieren. Pakistan schiebt seit Anfang dieses Jahres massiv nach Afghanistan ab. Inzwischen gibt es genügend Berichte, dass Abgeschobene in Afghanistan schweren Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Ermordung ausgeliefert sind.

Ein Gutachten des Strafrechtlers Robert Brockhaus kommt zu dem Schluss, dass sich Bundesregierung und involvierte Be­am­t*in­nen wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen, sollte eine Person, der die Aufnahmezusage entzogen wurde, durch Abschiebung nach Afghanistan zu Schaden kommen. Das Verwaltungsgericht Berlin entschied am 7. Juli in einem Eilverfahren, dass die Bundesregierung einer Afghanin und ihrer Familie, die eine Aufnahmezusage haben, das Visum für Deutschland unverzüglich erteilen muss.

Aber die gnadenlos unmenschliche Politik der Bundesregierung gegenüber den Af­gha­n*in­nen geht weiter. Warteten vor einigen Wochen noch 2.600 Personen in Islamabad, sind es inzwischen nur noch gut 2.300. Die verringerte Zahl heißt nicht, dass die Bundesregierung zwischenzeitlich Af­gha­n*in­nen nach Deutschland geflogen hätte. Nein, die Reduktion kommt zustande, weil extrem gefährdete Menschen aus den Aufnahmeprogrammen geworfen und dann nicht mehr gezählt werden. Sie sind der pakistanischen Abschiebungspolitik schutzlos ausgeliefert. Die Bundesregierung lehnt jegliche Verantwortung für sie ab, obwohl sie mit der Rücknahme der Zusage massiv zu ihrer Gefährdung beiträgt.

Will Dobrindt den Taliban Anerkennung verschaffen?

Auch diejenigen, die noch im Programm sind, sind keineswegs sicher. Die pakistanische Regierung stellte den internationalen Aufnahmeprogrammen ein Ultimatum: Bis Ende Juni 2025 müssen Af­ghan*in­nen das Land verlassen haben, sonst werden sie abgeschoben. Die Bundesregierung hat dieses Ultimatum verstreichen lassen. Vor gut einer Woche stürmte die pakistanische Polizei ein Gästehaus, in dem Wartende untergebracht sind, und nahm elf Menschen fest, die in ein Abschiebelager gebracht wurden. Durch Intervention der deutschen Botschaft kamen sie wieder frei. Man muss davon ausgehen, dass solche Fälle zunehmen. Es ist unklar, ob die Botschaft dann noch intervenieren kann.

Illustration: Robert Samuel Hanson

Diese unmenschliche Politik ist in erster Linie ein Projekt der Union. In der SPD regt sich Widerspruch. Viele SPD-Abgeordnete haben schon der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte nur mit Bauchschmerzen zugestimmt. Gefährdete Af­gha­n*in­nen sind davon auch betroffen. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Natalie Pawlik, forderte gegenüber der taz, dass die Aufnahmezusagen für Af­gha­n*in­nen eingehalten werden müssen. Auch Lars Castellucci, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung (beide SPD), pochte da­rauf, die Schutzversprechen einzuhalten. „Versprechen, die man gibt, sind einzuhalten“, schreibt er auf X. Castellucci sollte am Freitag (bis nach Redaktionsschluss) den UN-Sonderberichterstatter für Afghanistan Richard Bennet in Berlin treffen. Die beiden wollten sicher auch die Menschenrechts- und Gefährdungslage besprechen.

Die Union fordert stets, „irreguläre“ Migration zu beenden. Tatsächlich beendet sie mit den humanitären Aufnahmeprogrammen einen wichtigen Weg der regulären Migration. Den gefährdeten Af­gha­n*in­nen bleibt damit nichts anderes übrig, als sich auf der Suche nach Schutz selbst auf den gefährlichen Weg nach Europa zu machen.

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