Erneuerbare Energien: Solaranlagen rauben sich gegenseitig die Erlöse
Solarstromanlagen machen sich gegenseitig die Erträge kaputt. Marktanalysten gehen davon aus, dass auch Speicher das Problem kurzfristig nicht lösen können.

Konkret soll der Marktwert einer Kilowattstunde Windstrom aus Anlagen an Land in den nächsten drei Jahren auf rund 5,6 Cent sinken. Für Photovoltaikanlagen erwarten die Analysten einen noch größeren Rückgang auf nur noch rund 3,7 Cent. Je nach Wetterjahr könnten die Werte sogar noch drastischer sinken – und je nach Anlagenzubau ohnehin.
Die Marktwerte sind jene Preise, die ein Anlagenbetreiber erzielt, wenn er den anfallenden Strom ungefördert und ohne Zwischenspeicherung am Spotmarkt verkauft. Am Spotmarkt ergibt sich für jede Viertelstunde ein neuer Preis, schlicht mathematisch generiert aus Angebot und Nachfrage. Somit hängt bei schwankenden Erzeugern, wie Wind und Solar, der mittlere Marktwert des Stroms davon ab, in welchen Stunden der Strom anfällt.
Das führt dazu, dass sich vor allem die Solarstromanlagen, die typischerweise weitgehend zeitgleich ihren Strom erzeugen, die Erträge gegenseitig kaputt machen. Denn immer, wenn viel Solarstrom anfällt, ist dieser angesichts des hohen Angebots kaum noch etwas wert. Von Kannibalisierung spricht die Branche.
Solarstrom ist in der Erzeugung billig
Entsprechend niedrig ist im Sommer inzwischen der betreffende Marktwert. Im Mai fiel er nach Berechnungen der Übertragungsnetzbetreiber für die Photovoltaik auf knapp unter zwei Cent je Kilowattstunde. Damit erreichte der PV-Wert nur noch knapp 30 Prozent jenes Wertes, den ein Grundlastkraftwerk im gleichen Zeitraum erzielte (6,7 Cent pro Kilowattstunde).
Diese 30 Prozent sind der niedrigste Monatswert in der Geschichte der Photovoltaik. Zwar ist die Erzeugung von Solarstrom sehr billig, doch das bringt wenig, wenn der Strom vor allem dann verfügbar ist, wenn er keine nennenswerten Erlöse mehr generiert.
Die aktuelle Analyse von Enervis macht wenig Hoffnung, dass sich die Marktwerte durch den Aufbau von Speicherkapazitäten schnell stabilisieren werden. „Mit einer kurzfristigen Trendumkehr bei der Kannibalisierung ist vorerst nicht zu rechnen“, sagt Christian Schock, Analyst bei Enervis. Zwar boome derzeit „das Thema Speicher“, gleichwohl könne der Ausbau „mit dem geförderten Zuwachs der Erneuerbaren noch nicht Schritt halten“.
Ausweg im langfristigen Ausbau von Co-Location-Speichern
Viele Betreiber ignorierten diese Entwicklungen noch, heißt es bei Node Energy. „In der Praxis sehen wir, dass die Hälfte der Betreiber in Deutschland noch nicht die Dramatik ihrer künftigen Erlösentwicklung realisiert hat“, sagt Firmengründer Matthias Karger. Viele Betreiber hätten sich angesichts bislang sicherer Zahlungen auf Basis des Erneuerbare-Energien-Gesetzes kaum mit echten Marktwerten beschäftigt. „Das verhindert einen realistischen Blick auf die Zukunft“, sagt Karger.
Auswege sieht Node Energy langfristig im Ausbau von Co-Location-Speichern. Das sind solche, die sich noch vor dem Einspeisepunkt der Erzeugungsanlagen befinden und es damit ermöglichen, dass die Einspeisung ins öffentliche Netz um einige Stunden verschoben wird. Damit könnten „Kannibalisierungseffekte besser ausgeglichen werden“.
Eine andere Variante seien sogenannte PPAs (Power Purchase Agreements), betont Node Energy. Damit sind zumeist mehrjährige Stromlieferverträge zwischen Stromproduzenten und Stromabnehmern gemeint. Da der Auftraggeber der aktuellen Marktanalyse solche Verträge anbietet, liegt dieser Tipp freilich nahe.
Das grundsätzliche Problem der Kannibalisierung lösen PPAs unterdessen nicht – sie können allenfalls jenen Marktakteuren günstigere Konditionen sichern, die die Entwicklungen früher erkennen als andere.
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